Vögel füttern im Winter?

Star (Sturnus vulgaris), Vogel des Jahres 2018. Foto: Michael Graf (Oflow) / CC BY-SA 3.0 DE

Dramatisches Vogelsterben: Naturnahe Lebensräume sind in Monokulturen und Großstädten kaum noch zu finden

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In Deutschland gibt es immer weniger Singvögel. Laut dem NABU sind in den letzten zwölf Jahren 12,7 Millionen Brutpaare verloren gegangen. Demnach verschwanden 25 Millionen Vögel verschiedenster Arten - 15 Prozent des gesamten Vogelbestandes. Eine der wichtigsten Ursachen für diese Entwicklung dürfte in der veränderten Futtergrundlage liegen.

Rund 60 Prozent aller heimischen Vögel ernähren sich von Insekten. Verschwinden sie, gehen die Vogelbestände zurück. So haben Wissenschaftler an 2000 Orten in Deutschland, die seit 1990 regelmäßig überwacht werden, eine stetig abnehmende Vielfalt festgestellt. Glaubt man dem niederländischen Ökologen Hans de Kroon, sind selbst bisher häufige Arten wie Spatzen und Elstern seltener anzutreffen als früher.

Viele Arten wie Stare, Buchfinken oder Wintergoldhähnchen können in den ausgeräumten Agrarlandschaften kaum noch überleben. Eine der Ursachen ist auch hier der massive Insektenschwund. Erst im Oktober erregte eine Studie Aufmerksamkeit, die auf das dramatische Insektensterben in Deutschland hinwies.

Eigens hierfür hatten Wissenschaftler den Fang aus Insektenfallen, die in 62 Naturschutzgebieten aufgestellt worden waren, über einen Zeitraum von 27 Jahren ausgewertet. Im Ergebnis war die Biomasse von flugfähigen Insekten um mehr als 75 Prozent zurückgegangen.

Nichts mehr zu holen

Der Spatz, auch Sperling genannt, gilt als besonders anpassungsfähig. Einst folgte er dem Menschen in die von ihm erbauten Siedlungen, wo er gerne Brotkrümel und Essensreste aufpickt. Neben Sämereien, Getreide, Knospen, Obst gehören aber auch Wirbellose zu seinem Nahrungsspektrum.

So brauchen die Spatzenküken Fleisch in Form von Insekten. Außerdem lieben Spatzen ähnlich wie Stare, Buchfinken oder Wintergoldhähnchen unordentliche Ecken mit Hecken, Blühkräutern und Wildpflanzen. Doch die sind in den sauber aufgeräumten Vorgärten mit den kurz gehaltenen Rasen immer seltener zu finden. In Großstädten wie Hamburg und München sind Spatzen selten geworden.

Noch in den 1950er Jahren fanden die einheimischen Vögel auf den Getreidefeldern und Kartoffeläckern über eine Million Tonnen Samen von Feldkräutern. Heute ist auf den restlos abgeernteten, gespritzten Feldern so gut wie nichts mehr zu holen. Es gibt kaum noch Brachflächen und Wiesen mit Blühkräutern, auf denen Insekten, von denen sich auch Vögel ernähren, ihre Nahrung finden.

Im Gegensatz zu heute gab es früher an den Stadträndern auch mehr Kleintierhaltung mit Hühnern, Kaninchen, Schafen oder Pferden - da fiel für die Vögel das eine oder andere an Futter ab. Außerdem bauen Spatzen ihre Nester vorzugsweise an Gebäuden, unter Dächern oder in Baumhöhlen.

Doch den sauber sanierten Häusern fehlt es an Nischen und Winkeln, die zum Nisten geeignet wären. Spatzen baden auch sehr gerne im Staub - doch bei der zunehmenden Flächenversiegelung haben sie dazu kaum noch Gelegenheit.

Füttern - aber richtig

Vögel müssen heute weiter fliegen, um satt zu werden. Futtermangel setzt sie unter Stress. Zudem verbrauchen sei bei Frost und Schnee viel mehr Energie, um ihre Körpertemperatur aufrechtzuerhalten. Da kann das Füttern mit Sonnenblumenkernen, Körnermischungen und Fettringen ein Beitrag sein, um ihr Überleben zu sichern.

Der Buchautor Peter Berthold, bekannt durch sein Buch Vögel füttern, aber richtig, ist sogar der Ansicht, dass man Vögel mangels Futterquellen in der Natur das ganze Jahr über füttern sollte. Die Gefahr, dass Futterstellen auch Räuber wie Eichhörnchen, Rabenvögel oder Katzen anlocken, schließt der Ornithologe aus. Für die gebe es in der Stadt andere Futterquellen.

Durch deren gezielte Fütterung könnte man die Angriffe minimieren. Dass sich die Vögel an ungereinigten Futterhäuschen mit Krankheiten anstecken, hält er ebenfalls für unwahrscheinlich. Ein guten Schutz biete ihnen zum einen ihre hohe Körpertemperatur (45°C), zum andern ihr gutes Immunsystem. Der Vogelfutterexperte empfiehlt eine Mischung aus vielfältigen Sämereien, weichen Getreideflocken und viel Fett, vor allem Meisenknödel.

Der NABU hingegen rät von einer ganzjährigen Fütterung ab. Die Futterstellen würden fast ausschließlich von Vogelarten genutzt, die in ihrem Bestand nicht gefährdet seien. Bezweifelt wird auch, ob in Wintern ohne Eis und Schnee eine Fütterung überhaupt sinnvoll ist.

Denn, so das Argument, selten erreichen die Fütterungen in Städten und Dörfern mehr als 10 bis 15 Vogelarten, darunter Meisen, Finken, Rotkehlchen und Amseln - und deren Populationen seien weitgehend stabil. Die wirklich gefährdeten Arten hingegen tauchen an den Futterplätzen gar nicht auf. Von einem Wiederaufbau der Artenvielfalt durch Ganzjahresfütterungen könne daher keine Rede sein.

Arterhaltung geht nur in naturnahen Landschaften

Der Landesbund für Vogelschutz in Bayern e. V. wiederum erklärt ganzjährige Futterangebote für unschädlich, vorausgesetzt, sie sind der Jahreszeit und den Bedürfnissen der Vögel angepasst. Für viele Menschen sind Vogelfutterplätze zudem eine Möglichkeit, mit der Natur in Kontakt zu kommen.

Allerdings dürfen Wildvögel von ihrem natürlichen Lebensraum nicht isoliert betrachtet werden. Vielfältig strukturierte, natürliche Lebensräume sind für das Überleben der meisten Wildvogelarten daher wichtiger als Fütterungen.

Außerhalb der Städte helfen Ackerrandstreifen und Stoppelfelder, den Tieren zu überleben, in der Stadt ist das Anbringen von Nistkästen hilfreich. Gartenbesitzer sollten in jedem Fall auf Schneckenkorn und chemische Unkrautvernichtungsmittel verzichten und dafür gezielt Beerensträucher wie Eberesche, Schlehen, Hagebutten, Felsenbirnen, Weißdorn, Sanddorn oder Berberitzen anpflanzen.

Bäume, Stauden, Sträucher und Kräuter bilden verschiedene Etagen, in denen Vögel nicht nur vielseitige Nahrung, sondern auch Rückzugsmöglichkeiten finden. Auch Zapfen tragende Nadelgehölze und Obstbäume sind als Futterquellen nicht zu unterschätzen.

Sönke Hofmann vom NABU rät von Exoten wie Kirschlorbeer und Rhododendron dringend ab. Gerade Kirschlorbeer sei nicht nur giftig, sondern verdränge auch die heimischen Sträucher in freier Wildbahn. Und damit verschwindet die Nahrungsgrundlage für Insekten und Vögel.

Damit die Vögel möglichst lange von den Früchten und Samen profitieren, dürfen Sträucher oder Bäume erst gegen Ende des Winters geschnitten werden. Äste und Laub, unter die Sträucher geschoben oder entlang der Zäune aufgeschichtet, bieten Lebensraum für Insekten und andere Kleintiere.