Mordgeschichten

Ungelogen, kein wahres Wort im ganzen Buch.

Über Politiker, ihre Biografien - und Verbrechen

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Auch die alten Lateiner wussten es schon: das Wichtigste an der Historia war der besondere Clou, um nicht zu sagen, der Witz, bei der Geschichte. Nicht, dass Caesar ermordet wurde, sondern dass sogar Brutus auf ihn eingestochen hat, bleibt letztlich in der Erinnerung haften.

Und: Geschichte wird erst durch Morde schön. Das sonst vielleicht bloß langweilig aufeinander Geschichtete des einst Geschehenen erhält dadurch eine eigene Würze, es wird zur Mordgeschichte.

Die beliebteste Serie von History-Titeln in den USA trägt im Titel daher auch immer das gleiche Wort "Killing…" — egal, ob die dargestellten Geschichtsgrößen irgendetwas miteinander zu tun hatten oder nicht. "Killing Jesus", "Killing Hitler", "Killing Kennedy" und "Killing Reagan" heißen die ersten vier Bände. Der potenziell interessanteste erste Band, über Jesus, ist zugleich der langweiligste. Er bringt eine Reihe apokrypher Texte, die Jesus nach der Kreuzigung in Tibet oder auf einem Raumschiff verorten.

In der spannendsten, weil romanhaftesten Darstellung der Serie geht es dagegen nur um das versuchte Attentat auf Ronald Reagan, der ja in Wirklichkeit gar nicht real ermordet wurde. History wird hier tatsächlich zur ("bloßen") Story, tiefere Einsichten lassen sich daraus nicht gewinnen. Wie in einem Roman werden die zwei Erzählstränge, immer wieder abwechselnd, aufgegriffen, bis endlich der nichtsahnende Präsident der USA und sein Möchtegern-Mörder, John Hinckley, aufeinandertreffen.

Der eben erst 70 gewordene Präsident ist seit zwei Monaten im Amt, Hinckley, der zu diesem Zeitpunkt, am 30 März 1981, zwei Monate vor seinem 26. Geburtstag steht, feuert sechsmal, aber nur eine Kugel, die zufällig an der schusssicheren Fensterscheibe der Präsidentenlimo abprallt, dringt, vorerst unbemerkt, in Reagans Körper ein. Das kleinkalibrige Projektil macht, etwa einen Zoll (2,5 cm) vom Herzen entfernt, in der linken Lunge des Präsidenten Halt.

Die Beinahe-Ermordung Reagans enthält allerdings zahlreiche farbige Details, die sich besonders gut für Small Talk mit Unbekannten auf Parties oder bei ansonsten uninteressanten politischen Veranstaltungen eignen.

(a) Bekannt ist die Episode, wie Reagan, weil man ihn zunächst für unverwundet hielt, in Richtung Weißes Haus kutschiert, dann aber doch, mit reichlicher Verspätung, endlich im Krankenhaus eingeliefert wurde. Zu den operierenden Ärzten, kurz vor der Narkose, scherzte er noch: "Please tell me you’re all Republicans." ("Bitte sagen Sie mir, dass Sie alle Republikaner sind.") Der ausführende Chefarzt Giordano antwortete: "We’re all Republicans today." ("Heute sind wir alle Republikaner.") Der unverwüstliche Reagan, der, wie dieser Wortwechsel beweisen soll, auch im Angesicht des Todes noch seinen Humor behielt, wurde denn auch 10 Tage nach der Operation wieder entlassen, als hätte er nur einen leichten Schwächeanfall erlitten.

(b) Der Attentäter, John Hinckley, hatte die Tat verübt, um der Schauspielerin Jodie Foster zu imponieren, in die er sich unsterblich veliebte, nachdem er sie in der Rolle einer kindlichen Bordsteinschwalbe in "Taxi Driver" gesehen hatte. Foster, geboren Ende 1962, war ein amerikanischer Kinderstar, und spielte 1976 gleich mehrere Rollen als "verruchtes Flittchen", so auch als "Talulah" in der Gangster-Parodie "Bugsy Malone."

Ihren Auftritt als kindliche Prostituierte "Iris" in "Taxi Driver", an der Seite eines psychopathischen Killers (dargestellt von Robert de Niro) hatte sie noch als 12jährige absolviert.

Zur Zeit des Attentats war sie allerdings bereits 18.

(c) Hinckleys Familie hatte geschäftliche Beziehungen (im Öl-Business) mit der Familie von George Bush, dem Vize-Präsidenten unter Reagan und Nachfolger Reagans sowie Vater des späteren Amtsinhabers George W. Bush. Zufällig hatte Hinckleys älterer Bruder Scott eine Verabredung zum Dinner mit einem der Bush-Söhne, Neil Bush, die ursprünglich auf den Tag nach dem Attentat angesetzt war. Als bekannt wurde, dass der böse Bruder versucht hatte, den Präsidenten zu ermorden, wurde aber auch der "gute" Bruder prompt wieder ausgeladen.

(d) Der amerikanische Krimi Autor Elmore Leonard diskutierte die Tatwaffe und Jodie Foster in seinem Krimi "Split Images", der 1981 fast unmittelbar nach dem Attentat erschien. Die Fotos dazu finden sich heute - beliebig vergrößerbar - auf Wikipedia.

Kurioserweise sieht man Hinckley nicht, wie er auf Reagan schießt, aber ein Mann in der Menge sieht aus, als wäre er Lee Harvey Oswald, genau in dem Moment, als er von Jack Ruby in Dallas erschossen wird.

e) Leonards Krimi präsentiert in der Hauptrolle einen mordlüsternen, psychopathischen Millionär namens Robbie Daniels. In der Audiobook-Version von 1996 verleiht der Star-Vorleser George Guidall diesem Millionär eine Stimme, die schon damals alle Parodisten zur Imitation geradezu herausforderte.

(f) John Hinckley bewahrte sich seine Fixierung auf Jodie Foster auch in der Psychiatrie. Als ihm 1999 gestattet wurde, seine Sicherheitsverwahrung fallweise zu unterbrechen, schmuggelte er prompt wieder Material über Jodie Foster zurück in die Anstalt.

(g) Hinckley hatte in weniger als zwei Sekunden sechs Schüsse abgegeben, und dabei neben Reagan auch noch drei weitere Umstehende verletzt, darunter Reagans Pressesprecher James Brady, der einen Kopfschuss oberhalb des linken Auges erlitt, an dem er 43 Jahre später über eine Spätfolge der Schussverletzung starb.

(h) Zu Reagans Hundertstem veröffentlichte der jüngere seiner beiden Söhne, Ron Reagan, eine Biographie, in der er den Beginn der Demenz seines Vaters bereits 1983 verortete. Als Auslöser dafür nannte er die Kugel Hinckleys, die sich fast bis zum Herzen des Präsidenten verirrt hatte.

Kritisiert wurde bei alledem (auch von Reagan's älterem Sohn, Michael Reagan), dass der eigene Sohn dem Vater beginnende Demenz bereits ab 1983 attestierte, womit er die gesamte zweite Hälfte der väterlichen Präsidentschaft, bis 1989, unter einen großen Schlagschatten stellte. Offiziell wurde Reagans Demenz erst 1994 festgestellt.

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