SPD: Wackelt die Delegiertenmehrheit für eine Große Koalition?

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Landesverband Sachsen-Anhalt spricht sich gegen eine erneute Regierungsbeteiligung im Bund aus

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Nach ihrem bislang schlechtesten Nachkriegsergebnis bei einer deutschlandweiten Wahl hatten die Parteiführer der Sozialdemokraten eine Neuauflage der aus historischen Gründen "Große Koalition" genannten Machtteilung mit der Union ausgeschlossen. SPD-Vize Ralf Stegner hatte am 29. September sogar getwittert: "Opposition und Absage an große [sic] Koalition ohne jede Hintertür! Basta! Glaubwürdigkeit der SPD auf dem Spiel!"

Dreieinhalb Monate später, am Freitag, beschloss der über vierzigköpfige SPD-Parteivorstand mit nur sechs Gegenstimmen genau das, was vorher mit Verweis auf die Glaubwürdigkeit der Partei ausgeschlossen wurde (vgl. Sondierungsgespräche: Kein großer Wurf, aber viele Baustellen). Am nächsten Wochenende soll ein Sonderparteitag in Bonn diese Vorstandsentscheidung absegnen.

Dass er das macht, ist gestern ein klein wenig infrage gestellt worden. Der SPD-Landesverband Sachsen-Anhalt, der bei der letzten Landtagswahl 2016 etwa die Hälfte seiner Wähler verloren hatte, sprach sich nämlich mit einer knappen Mehrheit von 52 zu 51 Stimmen und vier Enthaltungen "insbesondere unter Berücksichtigung der ersten Ergebnisse der Sondierungen" gegen die Aufnahme von Koalitionsgesprächen mit CDU und CSU aus und forderte dazu auf "alternative Lösungen zu finden". In dem von der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) und fünf anderen Arbeitsgruppen gestellten Antrag hieß es zur Begründung, der SPD-Vorsitzende Martin Schulz habe in den Sondierungsgesprächen Kernziele wie die Bürgerversicherung nicht durchgesetzt.

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Das sieht man nicht nur in Magdeburg so, sondern auch in Zürich, wo die NZZ gestern aus einer neutralen Schweizer Perspektive heraus konstatierte:

Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz sprach von 'hervorragenden Ergebnissen'. […] In der sechsminütigen Rede nach dem sogenannten Verhandlungsdurchbruch hob er […] aber keinen einzigen inhaltlichen Erfolg hervor. Das liegt auch daran, dass es ihn für die Sozialdemokraten nicht gibt.

Nur sechs von 600 Delegierten

In Sozialen Medien kam der Tweet, mit der der SPD-Landesverband Sachsen-Anhalt gestern seine Entscheidung verkündete, überwiegend recht gut an. Trotzdem ist unwahrscheinlich, dass der Schwung ausreicht, um eine Mehrheit der 600 Delegierten davon zu überzeugen, ihrer Parteiführung die Gefolgschaft zu verweigern. Aus Sachsen-Anhalt kommen nur sechs davon - und auch sie sind nicht an das Votum ihres Landesverbandes gebunden.

Sehr viel zahlreicher und wichtiger sind die Delegierten aus dem Landesverband Nordrhein-Westfalen, dessen Vorsitzender Michael Groschek meint, es gebe dort "positive wie negative Stimmen", aber "viel Skepsis" und keine "Begeisterungsstürme". Im ebenfalls wichtigen Hessen forderte der Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel gestern öffentlich "Korrekturen an zentralen Punkten" wie der Gesundheits-, der Steuer- und der Arbeitsmarktpolitik. Bis Mittwoch oder Donnerstag soll der hessische Landesvorstand deshalb einen Katalog mit konkreten Änderungswünschen erarbeiten.

Schulz will "durch Inhalte überzeugen"

Schulz meinte zu solchen Äußerungen in Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS), er werde die Delegierten auf dem Sonderparteitag am 21. Januar "durch Inhalte überzeugen" - zum Beispiel durch den Hinweis darauf, dass das Rentenniveaus bei 48 Prozent bleiben und die Krankenversicherung zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bezahlt werden soll.

Vielleicht hat sein Auftritt aber auch die gegenteilige Wirkung. So, wie sie die seines Vorgängers Sigmar Gabriel am Samstag in Sachsen-Anhalt gehabt haben könnte, wo der selbstbewusste Außenminister kritisierte, dass die von ihm als vernünftig erachtete Entscheidung des Parteivorstandes überhaupt von einem Sonderparteitag abgesegnet werden muss.

Ungewollt Mitglieder abschrecken könnte aber auch der SPD-Jugendverbandsvorsitzende Kevin Kühnert, der mit einer "NoGroKo-Tour" Werbung gegen die Aufnahme von Koalitionsgesprächen machen will und als Grund dafür unter anderem die Migrationspolitik nennt. In dieser Frage sind viele SPD-Kommunalpolitiker anderer Meinung als der Berliner, der eine medizinische Altersfeststellung von Migranten, die behaupten, minderjährig zu sein, aber nicht so aussehen, mit der Begründung ablehnt, dadurch würden "Leute wie im Zoo begutachtet" (vgl. GroKo: unbeliebt und uneins).

Die Bürger sind sich einer aktuellen repräsentativen Civey-Umfrage für die Funke Mediengruppe nach unsicher, ob die SPD-Delegierten den Wunsch von Schulz, Stegner, Schwesig und Co. erfüllen oder nicht. Fast 45 Prozent der Befragten meinten hier "eher nein" oder sogar "nein, auf keinen Fall".