"Terrorist" oder "junger, gut aussehender Rebell"?

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(Bild: Venezuela, Maduro, Terrorismus)

Wie bezeichnet man einen Ex-Polizisten, der Regierungsgebäude aus der Luft angreift, Sicherheitskräfte erschießt und einen Umsturz propagiert?

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In Venezuela ist am Montag in einer großangelegten Polizeiaktion eine Gruppe gewalttätiger Oppositioneller aufgerieben worden, die für bewaffnete Anschläge auf Regierungsgebäude verantwortlich war. Dabei kam auch der Anführer und ehemalige Polizist Oscar Pérez ums Leben.

Die Mitglieder der Gruppierung waren von den Sicherheitsbehörden des südamerikanischen Landes über ein halbes Jahr lang gesucht worden. Der Zwischenfall zeigt nicht nur die zunehmende Militarisierung des innervenezolanischen Konfliktes zwischen der linksgerichteten Regierung von Präsident Nicolás Maduro und der Opposition. Die Berichterstattung belegt auch, wie zurückhaltend Teile der internationalen Presse mit den Gewalttätern in Venezuela umgehen – durchaus im Einklang mit der Haltung der politischen Führungen in Brüssel und Washington.

Pérez und seine Gruppe hatten im vergangenen Juni von sich reden gemacht, als sie aus einem gekaperten Polizeihubschrauber das Innenministerium in Caracas und den Sitz des Obersten Gerichtshofs angriffen (Opposition in Venezuela geht zu Luftangriffen über). Präsident Maduro sprach damals im staatlichen Fernsehsender VTV von einem terroristischen Putschversuch. Der Sitz des Gerichts liegt im historischen Stadtkern von Caracas in der Nähe mehrerer Regierungsgebäude, darunter der Präsidentenpalast Miraflores.

Schwierigkeiten deutscher Medien mit der Einschätzung

Das politische Motiv war früh klar: In einem Video sprach der Pilot von einem "Angriff auf die Tyrannei", auf einem Transparent am entführten Helikopter der Kriminalpolizei CICP war "Libertad" (Freiheit) und "350" zu lesen, in Anspielung auf den entsprechenden Artikel der Verfassung, der das Recht auf Rebellion definiert. Aus Regierungskreisen hieß es später, vom Helikopter seien 15 Schüsse auf das Innenministerium abgefeuert worden. Danach sei er zum Obersten Gerichtshof weitergeflogen, dort seien vier Granaten fallengelassen worden. Dass niemand verletzt oder gar getötet wurde, war wohl eher ein Zufall.

Sechs Monate hatten sich die gewalttätigen Regierungsgegner auf der Flucht befunden. Dass sie von Strukturen der Opposition beschützt wurden, belegt nicht nur der Umstand, dass sie in der Siedlung El Junquito nahe der Hauptstadt Caracas ausfindig gemacht wurden. Pérez war einige Wochen nach dem Hubschrauberangriff auch auf einer Oppositionsdemonstration in der Hauptstadt aufgetaucht, umringt von Sympathisanten. Das Intermezzo zeigte, dass Teile der politisch zerstrittenen und marginalisierten Opposition offenbar weiterhin Probleme haben, sich von terroristischen Methoden zu distanzieren. Das gilt auch für den ehemaligen Bürgermeister des Großraums Caracas, Antonio Ledezma, der Pérez nun als "Märtyrer" bezeichnete. Ledezma hatte unlängst nach einer umstrittenen Entscheidung den Sacharow-Preis für Menschenrechte des Europäischen Parlaments erhalten .


Genutzt hat Pérez und seiner Gruppierung diese Unterstützung am Ende nichts. In einer großangelegten, zehn Stunden dauernden Aktion wurden die Militanten aufgerieben. Beteiligt waren der Inlandsgeheimdienst, der Militärgeheimdienst, die Nationalgarde, die Sondereinheit FAES und die Nationalpolizei. Bei heftigen Gefechten wurden zwei FAES-Mitglieder getötet und sechs weitere Mitglieder der Sicherheitskräfte verletzt. Oppositionelle Medien sprachen dennoch von einer "Exekution" des Bandenchefs, Ledezma behauptete, das "Todesurteil" sei von Präsident Maduro erlassen worden. Man wolle dies nun vor dem Internationalen Gerichtshof in den Haag thematisieren.

Obwohl die Rollenverhältnisse relativ klar sind und Pérez noch in seinem letzten Interview vor wenigen Tagen von einem baldigen Ende der Regierung sprach sowie mit bevorstehenden Aktionen drohte, taten sich deutsche Medien heute schwer, sachlich zu berichten.

Eine Korrespondentin des ARD-Studio Mexiko-Stadt schrieb von der Tötung mehrerer Aufständischer, Sicherheitskräfte seien gewaltsam gegen eine Rebellengruppe vorgegangen, die von der Regierung "terroristisch" genannt werde. Der Bericht kulminierte in der Beschreibung von Pérez als "der junge, gutaussehende Ex-Polizist". Der von ihm geleitete Angriff im Juni sei verübt worden, so betonte die ARD, "ohne dass Menschen zu Schaden kamen".

Spiegel Online schrieb indes auf Basis von Meldungen der Nachrichtenagenturen AFP und dpa, es handele sich um eine "Gruppe um den "Hubschrauberpiloten" und "prominenten Piloten" Oscar Pérez. Die Einordnung als "Terrorist" findet sich hier auch nach bewaffneten Angriffen und getöteten Polizisten nur in Anführungszeichen.