Griechenland: "Sportmannschaften wählt man für das ganze Leben!"

Kostas Zouraris. Bild: W. Aswestopoulos

Bei politischen Parteien und Überzeugungen ist es jedoch anders: Einblicke in die griechische Seele

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am Montag verabschiedete das griechische Parlament im Eilverfahren ein neues Sparpaket. Mehr als 1500 Seiten, für welche die Parlamentarier zwei Tage Zeit zum Studieren hatten, enthalten das, was im Neusprech der Austeritätsära Reformen genannt wird. Anders als bei den Vorgängerregierungen der Altparteien gab es hinsichtlich der den Wahlprogrammen der Regierung konträr wiedersprechenden keine Abweichler. Im Gegenteil, zu den 153 Regierungsabgeordneten gesellte sich Theodora Megalooikonomou. Die Dame war vor Monaten aus der christlich-konservativ geprägten Union der Zentristen ausgetreten und schloss sich nun SYRIZA an. Parteiwechsel sind in Griechenland nicht selten.

Die frühere Ideologie wird schnell vergessen. Schließlich finden sich in der aktuellen SYRIZA-Fraktion und Regierung zahlreiche frühere PASOK-Politiker, die an der Regierungszeit ihrer ehemaligen Partei kein gutes Haar lassen.

Vollkommen anders sieht es mit der Vorliebe für Sportvereine aus. Hier besteht die Bindung ein Leben lang. Anders als gebrochene Wahlversprechen sind übermäßige Beschimpfungen anderer Vereine bei Politikern eine unverzeihliche Sünde. Während es keine Seltenheit ist, dass Mitglieder einer Familie in ideologisch vollkommen andersgearteten Parteien eine führende Rolle übernehmen, wird der Fanstatus oft vererbt. Die führenden Vereine der beliebtesten Sportarten Fußball und Basketball verfügen über ein eingeschworenes Fanlager, das nicht selten wahlentscheidend ist.

Premiere: Rücktritt eines Mitglieds von Tsipras' Kabinett

Kostas Zouraris, ministerieller Staatssekretär im Ministerium für Bildung, Religion und Sport ist, abgesehen von Dimitris Kammenos, der nur wenige Stunden amtierte, das erste Kabinettsmitglied von Alexis Tsipras Regierung, das mehr oder weniger freiwillig zurücktritt.

Zouraris hatte am Samstag in einer Sendung eines Lokalradios aus Thessaloniki, Metropolis 95.5, über Gott und die Welt philosophiert. Zouraris ist bekannt dafür, dass er sich in einer Art Altgriechisch ausdrückt und gern provoziert. Der 77-Jährige verweist gern auf seinen im biblischen Alter von 102 Jahren verstorbenen Vater, der überzeugter Kommunist, von Magnus Hirschfeld ausgebildeter Sexologe und Mitstreiter von Rosa Luxemburg war.

In seiner Selbstbezeichnung sieht er sich als herrenloser Kommunist, schloss sich jedoch mit seiner Kleinpartei Pyrikafstos Ellada ("Brennendes Griechenland") einer Wahllistengemeinschaft mit den Unabhängigen Griechen an. Bei der Präsentation seiner Partei hatte er die Goldmedaillengewinnerin der Olympischen Spiele von Barcelona, Voula Patoulidou, an seiner Seite. Zouraris präsentiert sich ideologisch teilweise mit kommunistischen Ansichten, antiken Philosophien und betontem Patriotismus. Der Politologe wurde als Teilnehmer an Politiktalkshows in den Neunzigern des vergangenen Jahrhunderts einer größeren Öffentlichkeit bekannt. In der latinisierten Schreibweise seines Namens ist nicht ersichtlich, dass Zouraris eine eigene Schreibweise wählt. Statt des Buchstaben "Eta", der im Neugriechischen ein "i-Laut" ist, und der üblichen Schreibweise entspricht, wählt der eigenwillige Zouraris den griechischen Buchstaben "Iota" für seinen Namen.

Das griechische Parlament. Bild: W. Aswestopoulos

König Fußball regiert

Aus seiner Vorliebe für den nordgriechischen Fußballclub PAOK Thessaloniki hat der von Seiten seines Vaters aus Kreta stammende Zouraris nie einen Hehl gemacht. Diesbezüglich hatte er in der Vergangenheit bereits einmal die Fans des griechischen Serienmeisters Olympiakos Piräus beleidigt. Seitens der Fraktion der Unabhängigen Griechen brachte ihm dies bereits eine "gelbe Karte" ein.

Zouraris Liste verbaler Ausrutscher ist lang. Sie regten jedoch kaum jemanden auf, ließen sie ihn in den Augen der Griechen doch als beachtenswertes, teilweise schrulliges Original erscheinen. Mit altgriechischen Ausdrücken geschmückt erklärte er bei einer Parlamentsrede, dass ihm die Deutschen wortwörtlich "auf die Eier gehen" würden, wenn sie hinsichtlich der griechischen Staatsschulden auf die Kontinuität des Staats verweisen würden, bei der Frage ihrer eigenen Pflicht zur Zahlung der Weltkriegsreparationen jedoch eine andere Ansicht vertreten würden.

Nur wenig Kritik brachte es ihm vor wenigen Wochen ein, als er das ministerielle Verbot der Auslandsklassenfahrten für Schüler mit den Worten, "dann müssen die halt zu einer anderen Zeit ins Bordell gehen" kommentierte. Für befremdliche Reaktionen sorgte allerdings seine Bemerkung: "Es macht nichts, wenn wir ein paar griechische Inseln verlieren." Damit antwortete er auf die Frage nach den Expansionsgelüsten des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Wenig später stellte er klar, dass er ausdrücken wollte, dass ein Verlust der sprachlichen Identität schlimmer wäre als ein Gebietsverlust.

Hinsichtlich der konservativen Haltung seiner Fraktion in Fragen der Rechte für lesbische, schwule oder transsexuelle Bürger distanzierte sich der Frauenheld Zouraris immer wieder. Dabei schwärmte er öffentlich von einem viertelstündigen Kuss, den er mit einem zwei Meter großen Hünen anlässlich einer Gay Pride Parade genossen habe. Die betont konservativen, auf christliche Werte bestehenden übrigen Unabhängigen Griechen wetterten in den Parlamentsdebatten zu den Rechten der Homosexuellen zeitgleich mit Vehemenz gegen jegliche öffentliche Präsenz alternativer Lebensgemeinschaften. Sie vermieden es jedoch, Zouraris Haltung übermäßig zu kritisieren.

Das änderte sich schlagartig als Zouraris in der besagten Radiosendung sein Verhältnis zu den Fans von Olympiakos Piräus beschrieb. Die Fans werden von ihren Gegnern abfällig als Sardellen bezeichnet. Zouraris sprach in feierlichem Ton "Voodoo, Voodoo, Voodoo und eine schwarze Nadel, auf dem unteren Teil meines Zeugungsapparats und im speziellen an der Spitze des unteren Teils sitzen 10.000 Sardellen…".

Er wiederholte diesen Spruch mehrfach und zeigte sich amüsiert über das Schweigen des Moderators. Dieser sprach ihn hilflos auf den Ausdruck "Bulgaren" an, mit dem die Fans von PAOK verunglimpft werden. Das wiederum brachte Zouraris dazu, einen weiteren Traditionsclub zu beleidigen, den Lokalrivalen von PAOK, Aris: "Wer fickt denn schon Aris?"

In Zeiten sozialer Medien verbreiten sich Mitschnitte derartiger Sprüche innerhalb weniger Stunden viral. So auch bei Zouraris. Bis Samstagnachmittag gab es kaum jemanden in Griechenland, der die jüngsten Entgleisungen des für die Bildung der Auslandsgriechen zuständigen Zouraris nicht gehört hatte.

Die Reaktionen der beleidigten Vereine kamen prompt. Sowohl aus der Presseabteilung von Olympiakos als auch aus der von Aris kamen Forderungen nach dem Rücktritt des Beleidigers. Schnell kamen ähnliche Reaktionen aus den Parteibüros der Opposition. Auch seitens des SYRIZA Ortsvereins von Thessaloniki und der Vertretung der Unabhängigen Griechen wurde der Kopf Zouraris gefordert.

Schließlich trat Zouraris Fraktionskollege und Vizepräsident des Parlaments Dimitris Kammenos am Sonntagvormittag vor die Kameras einer Politiksendung. "Entweder er oder ich!", forderte Kammenos, ein glühender Anhänger von Olympiakos und ließ offen, wie er hinsichtlich des Sparpakets im Parlament abstimmen würde, wenn Premierminister Alexis Tsipras und der Parteichef der Unabhängigen Griechen Panos Kammenos nicht handeln würden. Andere Fraktionsmitglieder zogen nach. Hinsichtlich der sozial einschneidenden Maßnahmen der Regierung gab es hingegen inhaltlich kaum Widerspruch. Dimitris Kammenos erklärte dies damit, dass die Wahl eines Sportsclubs für ein Leben lang bindend wäre.

Damit kann der Politiker, der im Parlament laut Verfassung entsprechend seinem Gewissen abstimmt, offenbar unsoziale Maßnahmen, die er ansonsten mit der nationalen Rettung begründet, für die Ehre eines Sportvereins ablehnen. Das dürfte eine interessante Deutung demokratischer Rechte und Pflichten sein.

Die Konsequenzen

Zouraris kam mit seinem eigenen, mit altgriechischen Floskeln gespickten Rücktrittsschreiben einer öffentlichen Demütigung zuvor. Doch Tsipras wollte am Sonntag noch nicht über den Rücktritt entscheiden. Erst nach der nächtlichen Abstimmung im Parlament am Montag, werde der Premier über Zouraris Zukunft urteilen, hieß es.

Es wurde über eine mögliche Kabinettsumbildung spekuliert. Tsipras schob diese jedoch auf. Zunächst übernahm Bildungsminister Gavroglou die Aufgaben von Zouraris. Viel hatte der gute Mann im Ministerium ohnehin nicht zu tun. Es kursieren Berichte darüber, dass er innerhalb einer knapp einjährigen Amtszeit rund 16 Dokumente unterschrieben hat. Bei einer Neubesetzung müsste der Posten an einen weiteren Vertreter der Unabhängigen Griechen gehen. Tsipras Koalitionspartner verfügt über neun Parlamentssitze, hat jedoch sieben Kabinettsmitglieder und einen Parlamentsvize.

Zouraris erfuhr erst am Dienstag, dass Tsipras mittlerweile auf Staatsbesuch in Zypern seinen Rücktritt angenommen hatte. Lange wusste er nicht, ob er noch weiterhin der Parlamentsfraktion der Unabhängigen Griechen angehört. Kaum hatte er seinen Platz in der Fraktion wieder sicher, begann Zouraris wieder mit den fußballerischen Sticheleien.

Er habe keineswegs wegen der Beschimpfung der Vereine seinen Rücktritt erklärt, sagte er im griechischen Fernsehen. Vielmehr hätte er sich aus patriotischen Gründen zurückgezogen, weil in Schulbüchern für Griechen schädliche Unwahrheiten über Çamen stünden, meinte er.

Er sähe zudem keinen Grund sich bei den Fans von Olympiakos oder dem Fußballverein zu entschuldigen, ließ er wissen. Denn schließlich hätten diese ihn aufs Übelste bedroht und beleidigt. Erst wenn sich die Fans bei ihm entschuldigen, möchte Zouraris sein Sprüche überdenken. Gegenüber dem Ortsrivalen von PAOK, Aris FC fühlt sich Zouraris hingegen missverstanden. Es täte ihm leid, wenn die Fans seine Sprüche als beleidigend empfunden hätten, ließ er wissen.