Afrin: Türkische Regierung diktiert Medien-Berichterstattung

Gegenproganda zur türkischen Propaganda. Bild: ANF

Im Noch-Nato-Staat Türkei gibt es keine freien Medien mehr, glaubhaft ist ein Bericht, wie den verbliebenen gleichgeschalteten Medien befohlen wird, Propaganda oder Fake-News zu produzieren

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Die AKP-Regierung hat es geschafft, dass es in der Türkei keine Meinungsvielfalt mehr gibt. Kritische Journalisten werden verhaftet, kritische Medien wurden geschlossen, die politische Opposition wurde weggesperrt. Jetzt kann der türkische Präsident, der sich mit einem Präsidialsystem noch mehr Macht verschaffen konnte und nun schon lange das Land im Ausnahmezustand hält, den verbliebenen Medien in der Türkei diktieren, wie sie über den Krieg der türkischen Streitkräfte mit zum Teil aus islamistischen Militanten bestehenden Söldnermilizen gegen die syrischen Kurden und ihre Verbündeten in Afrin und gegen den Versuch der Entwicklung eines für die Region vorbildhaften säkularen, multiethnischen und demokratischen politischen Systems, in dem die Frauen als gleichberechtigt gelten, berichten sollen.

Man hatte aufgehorcht, als plötzlich nach Beginn des Angriffs auf Afrin von türkischen Politikern und unisono von türkischen Medien nicht nur wie gewöhnlich die PKK direkt mit der syrischen PYD identifiziert wurde, sondern die PYD, die für keine Terrorangriffe auf die Türkei verantwortlich ist, auch für die Anschläge der PKK in der Türkei verantwortlich gemacht wurde, um sie als Terroristen zu brandmarken, vor denen der nationalen Sicherheit der Türkei unmittelbar Gefahr drohe. Als dann aber die Angriffe auch noch damit gerechtfertigt wurden, dass man nicht nur die PYD=PKK bekämpfe, sondern auch den Islamischen Staat, den die syrischen Kurden gerade bekämpft hatten, konnte man eigentlich nur noch mit dem Kopf schütteln. Sollten türkische Regierungspolitiker und Medien wirklich der Meinung sein, dass das die Menschen in der Türkei und die weltweite Öffentlichkeit das glauben?

Man weiß allerdings, dass die AKP-Regierung und allen voran Präsident Erdogan nicht nur überall Verschwörungen wittern, sondern auch hemmungslos Falschmeldungen verbreiten (worüber man sich aber im Westen deutlich weniger aufregt als über die russischen Medien, wohl weil die Türkei noch immer Nato-Mitglied ist, also "zu uns gehört"). Das ist vor allem seit dem Zeitpunkt möglich, als die AKP die Gespräche mit der PKK abbrach und den Kampf gegen die PKK und die Kurden wieder aufnahm, verstärkt durch den Putschversuch, von dem immer noch nicht klar ist, wer tatsächlich dahinter stand und wer ihn geduldet hat.

Seitdem wird jedenfalls die Opposition systematisch ausgeschaltet, während die Medien gleichgeschaltet wurden. So berichtet etwa auch Hurriyet wortgetreu und ohne jede Distanz, dass Regierungschef Yıldırım behauptet, man bekämpfe nicht nur die PYD und die Miliz YPG, sondern auch den IS. Die staatliche Nachrichtenagentur AA schreibt, die Operation Olivenzweig sei gestartet worden, "um PYD/PKK- und IS-Terroristen aus Afrin zu entfernen". Behauptet wird vom stellvertretenden Regierungschef Bekir Bozdag, PKK,YPG, SDF und IS hätten Afrin, bislang ein relativ friedliches Gebiet, in ein "Terrornest" verwandelt. Insinuiert wird, dass auch wegen der Kurden "Hunderttausende von Syrern" in die Türkei geflohen seien. Während die Kurden gegen den IS gekämpft hatten, duldete die Türkei bekanntlich jahrelang die Präsenz des IS um Dscharablus und intervenierte dort erst letztes Jahr, als die Gefahr bestand, dass die SDF den IS vertreiben und den Korridor nach Afrin schließen könnte.

Es wird aber auch klar, wenn man das AKP-Propaganda-Medium Daily Sabah liest, dass es nicht nur darum geht, ein autonomes Kurdengebiet in Afrin und im gesamten Nordsyrien zu verhindern, sondern auch die dort entwickelte Selbstverwaltung zu zerschlagen und den Einfluss der USA in Syrien zurückzudrängen. Da stimmen Moskau und Ankara überein und haben vermutlich den Deal beschlossen, die islamistischen Kämpfer aus Idlib abzuziehen und nach Afrin zu bringen, so dass Damaskus Idlib und die Türkei Afrin unter Kontrolle bringt.

"Auch der Islamische Staat solle als Operationsziel dargestellt werden"

Liest man türkische Medienberichte, so weiß man zwar, dass sie die Haltung der Regierung wiedergeben und keineswegs mit der Wirklichkeit übereinstimmen müssen, sondern vielmehr Fake-News oder schlicht Propaganda sind, aber das Zusammenspiel zwischen Medien und Regierung/Militär macht jetzt ein Bericht des kurdischen Senders ANF deutlich. Dieser ist ebenso parteiisch, in dem Fall scheint er aber verständlich zu machen, was man in den türkischen Medien liest.

Der Erdogan treu ergebene Regierungschef Yildirim soll türkischen Medienvertretern bei einem Treffen deutlich gemacht haben, wie sie über die türkische Afrin-Operation berichten sollen. Anwesend bei dem Treffen waren nach dem Bericht auch Vizekanzler Bekir Bozdağ, der Verteidigungsminister Nurettin Canikli, der AKP-Vizevorsitzende Mahir Ünal und der Staatssekretär Fuat Oktay. Ausgegeben wurden 15 Punkte der Berichterstattung, die man tatsächlich überall wiederfindet. In der Übersetzung von Civaka-Azad, wo es einen Ticker zu Afrin gibt, sollen die türkischen Medien den Angriff so darstellen. Daran werden sich die Medien auch halten, wenn sie nicht verboten oder ihre Journalisten in Haft genommen werden wollen:

  • Im Vordergrund der Berichterstattung solle stehen, dass die Operation zum Schutz der Zivilbevölkerung stattfinde.
  • Man solle vorsichtig mit ausländischen Quellen umgehen, da sie Türkei feindliche Nachrichten verbreiten würden.
  • Bei der Verbreitung ausländischer Nachrichtenquellen solle stets das nationale Interesse im Vordergrund stehen.
  • Stets solle betont werden, dass die türkische Armee mit größter Vorsicht in Bezug auf die Zivilbevölkerung vorgehe.
  • Nicht nur die PKK und PYD sollen als Ziel der Operation dargestellt werden. Auch der Islamische Staat solle als Operationsziel dargestellt werden.
  • In der Berichterstattung solle betont werden, dass sich türkische Soldaten nicht in Lebensgefahr befänden.
  • Stets solle betont werden, dass die Operation mit türkischen Waffen durchgeführt werde.
  • Es sollen keine Aufnahmen verbreitet werden, die türkische Soldaten in Gefahr zeigen.
  • Es solle nicht über Proteste in der Türkei gegen die Angriffe auf Afrin berichtet werden.
  • Es solle allergrößte Vorsicht bei der Berichterstattung über getötete türkische Soldaten an den Tag gelegt werden.
  • Die ausländische Berichterstattung über die Afrin-Operation solle nicht übernommen werden.
  • Menschen, die sich negativ über die Operation äußern, sollen in den türkischen Medien kein Gehör finden.
  • Es sollen keine Nachrichten veröffentlicht werden, welche die PKK oder PYD bestärken könnten.
  • Die Medien sollen sich der Regierung und der von der AKP damit beauftragten Verantwortlichen Bekir Bozdağ und Mahir Ünal bedienen, um an Informationen über die Operation zu gelangen.

Auch im Ausland hat die gelenkte türkische Berichterstattung schon Erfolg. Nicht zuletzt auch darin, dass die Söldner, die von der Türkei eingesetzt werden, nach Vorgabe als "Freie Syrische Armee" (FSA) bezeichnet wird. Diese 2011 entstandene militante, aber nichtreligiöse Gruppe hat sich längst aufgelöst, die jetzt so benannten Verbände wurden schon lange von Saudi-Arabien, Katar oder den Vereinigten Arabischen Emiraten finanziert. In den Söldnertruppen finden sich ehemalige IS-, al-Qaida- oder Ahrar al-Scham-Kämpfer. Im Gegensatz zu den Kurden sind es vorwiegend islamistische Männer, die nun im Dienste der islamistischen AKP-Türkei stehen und wahrscheinlich weiterhin auch von Golfstaaten unterstützt werden.

Während türkische Medien berichten, dass FSA-Verbände und türkische Soldaten in Afrin eingedrungen seien, ohne auf größeren Widerstand zu stoßen, behaupten kurdische Quellen, die Angreifer seien zurückgeschlagen und mehrere Panzer zerstört worden.

Nebenbei: Das Schweigen der Nato, die sich gerne als Wertegemeinschaft gibt, zur türkischen Invasion unter der Absprache mit Moskau, ist mehr als verräterisch. Schließlich wird die Invasion explizit von Ankara und Moskau auch mit der Unterstützung der syrischen Kurden durch die USA begründet. Die Türkei ist nicht mehr Nato, aber die Nato sind auch nicht nur die USA.