Bürgerversicherung - Instrument der Sparpolitik?

Deshalb wird sie wohl kommen - statt einer Regionalversicherung

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Nicht wenige Kommentatoren haben sich darüber amüsiert, dass das vermeintliche Reform-U-Boot von SPD, DGB, Grünen und LINKE, die "Bürgerversicherung", statt als soziales Flaggschiff der nächsten GroKo aufzutauchen, schon in den Sondierungsgesprächen kläglich abgesoffen ist. Kein Sterbenswörtchen steht jedenfalls zum Thema Bürgerversicherung im Ergebnisprotokoll der "Sondierungsgespräche".

Oder vielleicht doch? Jedenfalls hat ein Herr Kniesche, Gesundheitssprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, in "Medscape" schon einmal die Strategie seines Vereins für die Durchsetzung dieser Sache ausgeplaudert: Zuerst Rückkehr zur paritätischen Gesundheitsfinanzierung; dann konforme Arzthonorare für Sozial- und Privatpatienten und zuletzt eine politische Überführung der Beamten und Pensionäre des Bundes aus der Privaten Krankenversicherung (PKV) in die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV).

Genau der erste Schritt dieser Strategie steht also jetzt im Ergebnisprotokoll der Sondierungsgespräche.

Schuldenbremse für die Gesundheitskosten

Das Publikum hat mittlerweile ausreichend Erfahrung mit der "Merkel-Tücke" als Stilprinzip der Berliner Koalitionsregierungen der A.M., um sich zu fragen, wem oder wozu dieser Einstieg in die Bürgerversicherung wohl dienen soll. Viele hoffen zwar, aber immer weniger glauben es, dass damit tatsächlich die Solidarität in der Krankenversicherung gestärkt und die Gerechtigkeit in der Gesundheitsversorgung ausgebaut werden sollen, wie behauptet wird.

Und natürlich waren es die mit Argwohn beobachteten "Bösen Buben" und "Verschworenen Einflüsterer" wie der Thomas Gottschalk-Imitator Professor Raffelhüschen, der rechte Infodienst "Kopp-Exclusiv" und die allgegenwärtige "Bertelsmann-Stiftung", die verraten haben, worum es bei der Bürgerversicherung wirklich gehen wird: Um einen nachhaltigen Beitrag der Gesetzlichen Krankenversicherung zur Erfüllung der Vorgaben der "Schuldenbremse".

Bisher gibt es schon die Abermilliarden so genannter "versicherungsfremder Leistungen", bei denen das politische System Teile seiner Gesundheitspflichten auf die Gesetzliche Krankenversicherung verlagert, ohne dieser die Kosten dafür angemessen oder überhaupt zu ersetzen. Nachdem schon die Gesundheitskosten für die Hartz IV-Leistungsempfänger zwar der Gesetzlichen Krankenversicherung auferlegt worden sind, aber nur mit einem Bruchteil ersetzt werden, wurden als besonders dreister Sparangriff auch noch die Gesundheitskosten für die hunderttausende Zuflüchter seit Herbst 2015 auf die Gesetzlichen Krankenkassen abgewälzt. Davor kamen zu Beginn des Jahrzehnts willkürliche Kürzungen der Ersatzzahlungen für überwälzte Leistungen an den Gesundheitsfonds in Milliardenhöhe. Dies alles diente der Entlastung des Bundeshaushaltes bzw. zur "Gegenfinanzierung" der notorischen Steuererleichterungen für Unternehmensgewinne, Vermögenserträge und Hocheinkommen.

Seit 2016 gilt nun für den Bundeshaushalt und ab 2020 für die Länderhaushalte die 2009 im Windschatten der damaligen Finanz-, Real- und Budgetkrise durchparlamentierte "Schuldenbremse". Diese gebietet für die Haushalte von Bund und Ländern so genannte "strukturell ausgeglichene Haushalte" ohne Kreditverschuldung. Und an dieser Stelle wird die Bürgerversicherung interessant.

Raffelhüschen und andere Ökonomen seiner Richtung verweisen darauf, dass es neben den expliziten Schulden von Staatshaushalten und Sozialversicherungsbudgets auch noch so genannte "implizite Schulden" gäbe, die bspw. aus den Gesundheits- und Altersversorgungsverpflichtungen von Bund und Ländern gegenüber ihren Beamten und Pensionären resultieren. Besonders dramatisch wirken sich hier das Zusammentreffen des Status der Beamten als Mitglieder der PKV mit den entsprechend höheren Honorarwerten der Arztbehandlung und der Mengen- und Preissteigerung in der Gesundheitsversorgung als Ausgabentreibsatz für die Länderhaushalte aus.

Da auf der Ebene der Länder die Beamtenkosten eine wesentlich bedeutendere Stellung innerhalb der öffentlichen Ausgaben innehaben als beim Bund, entsteht hier in Hinblick auf das Greifen der Schuldenbremse für die Länder im Jahre 2020 ein rasch wachsender Handlungsdruck. Es muss gespart werden, und zwar gerade bei den Gesundheitsausgaben für die Beamten und Pensionäre.

Hier macht nun die Bertelsmann-Stiftung eine tolle Rechnung auf: Wenn die Beamten und Pensionäre ebenso wie alle anderen Arbeitnehmer in der GKV krankenversichert wären, könnten der Bund und die Länder bis zum Jahr 2030 etwa 60 Milliarden Euro Gesundheitskosten einsparen. Zusätzlich könnten wegen des höheren Entgeltniveaus und damit Beitragsaufkommens der Beamten auch noch die GKV-Beiträge etwas gesenkt werden - schön für die so genannten "Arbeitgeber". Denen würde damit die zusammensondierte Rückkehr zur Beitragsparität in der Gesetzlichen Krankenversicherung versüßt.

Vormarsch in den Sozialabgaben-Staat

Wenige Wochen vor der Bundestagswahl 2017 veröffentlichten Albrecht Goeschel; Rudolf Martens und Markus Steinmetz im Onlinemagazin "Makroskop" eine Untersuchung über die Transformation des deutschen Fiskalmodells von einem nationalen und liberalen Rechts-, Steuer- und Sozialstaat des 19. Jahrhunderts über den korporatistisch-bürokratischen Ermächtigungs- und Rassen-Sozialstaat mit seinen Sonderabgaben-Verordnungen der NS-Zeit zum gegenwärtigen de-nationalisierten Gebühren- und Beitragsstaat neoliberal-autoritärer Prägung der EU-Ära.

Kennzeichnend für das gegenwärtige deutsche Fiskalmodell ist die progressive Substitution von Bürgersteuern durch Arbeitnehmerbeiträge. Historische Höhepunkte dieser Extraktionsstrategie waren die überwiegende Finanzierung des "DDR-Anschlusses" aus den Budgets der Sozialversicherungen und die Gegenfinanzierung der jahrzehntelangen Abwälzung der Daseinsvorsorgekosten auf die Kommunen durch die Errichtung der allein aus Arbeitnehmerbeiträgen finanzierten "Pflegeversicherung" als Sozialhilfeersatz.

Die Etablierung einer Bürgerversicherung mit der angestrebten Wirkung einer Entlastung der Steuerhaushalte von Bund und Ländern wäre ein weiterer raumgreifender Vormarsch in Richtung "Sozialabgaben-Staat".

Gestörter Finanzausgleich

In einigen Gutachten zur Bürgerversicherung wird eher beiläufig als ausdrücklich angesprochen ein Thema mitgeschleift, das für die sich seit der Regierung Brandt/Scheel mit Wortmeldungen zu den "Gesundheitsreformen" vordrängenden vormaligen Jung-, heute Altsozialisten ein "Rotes Tuch" ist. Gemeint sind die regionalökonomischen und finanzgeographischen (Neben-)Wirkungen von Reformen im Gesundheitswesen.

An vorderster Stelle steht hier die von sozialdemokratischen Gesundheitsbürokraten auch heute noch, unbelehrbar wie auch im Falle der Hartz IV-Gesetze, als Heilslösung verteidigte Etablierung des "Zentralen Gesundheitsfonds". Dieser hat zwar die fatale Wirkung, die stagnativen und rezessiven Regionen zur Gesundheitsfinanzierung der prosperierenden Regionen heranzuziehen, kann aber dank eines seit den Jahren seiner Einführung aufgeführten Solidar- und Risikoausgleichsspektakels als großartiger sozialdemokratischer Reformerfolg propagiert werden.

Gründliche Wirtschafts- und Raumwirtschaftswissenschaftler hatten schon in den 1980er Jahren auf die wachsende Bedeutung der Geld- und Leistungsströme in der Gesetzlichen Krankenversicherung und in der Gesundheitswirtschaft für die Finanzausstattung und die Beschäftigungslage etc. in den Regionen aufmerksam gemacht. Aus diesem Blickwinkel wurde dann erkannt und untersucht, dass und wie die Finanzströme bei den überregional-bundesweiten Ersatzkassen auf Grund ihres enormen Volumens die angestrebten Ausgleichswirkungen des Länderfinanzausgleichs konterkarieren. Dies war der entscheidende Grund dafür, dass ab der zweiten Hälfte der 1980er Jahre die Länder, die Kommunen, Regional- und Arbeitsmarktökonomen, Sachverständigenräte etc. eine Regionalisierung, zumindest eine Föderalisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung forderten. Österreich beispielsweise verfügt über Gebietskrankenkassen, in denen beinahe sämtliche Einwohner versichert sind.

In den sozialdemokratischen Gesundheitsreformkreisen in Deutschland gehören die negativen regionalen "Inzidenzen" zentralistischer Krankenversicherungsmodelle immer noch zu den Themen, die von dem einen oder anderen Vielschreiber nur mit Schaum vor dem Mund erörtert werden. Dazu passt, dass die sozialdemokratischen Verfasser der Broschüre "Der Weg zur Bürgerversicherung" wieder, wie schon beim Gesundheitsfonds, versäumen, die finanzgeographischen Aspekte ihres Projektes zu erörtern.

Man muss kein besonderer Fan der Bertelsmann-Stiftung sein, aber sie hat das gemacht, was die sozialdemokratischen Krankenversicherungs-Zentralisten bedacht waren zu vermeiden. Die Stiftung hat berechnet, welche Bundesländer bei einer Pflichtversicherung der Beamten und Pensionäre die Hauptgewinner, Gewinner oder Verlierer sein werden.

Bundesland Netto-Einsparungen Netto-Mehrausgaben
Mrd. Euro
Nordrhein-Westfalen 9,9
Bayern 7,69
Baden-Württenberg 5,96
Rheinland-Pfalz 3,53
Hessen 2,4
Niedersachsen 1,39
Berlin 1,3
Saarland 0,65
Schleswig-Holstein 0,64
Hamburg 0,2
Thüringen 0,07
Sachsen-Anhalt 0,06
Brandenburg 0,01
Mecklenburg-Vorpommern -0,15
Bremen -0,23
Sachsen -0,26

So wie diese Berechnung der Bertelsmann-Stiftung aussieht, sind neben dem größten Bundesland Nordrhein-Westfalen vor allem die wirtschaftsstarken Bundesländer des Südens also Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, Gewinner einer Angleichung der Krankenversicherung der Beamten an die Krankenversicherung aller übrigen abhängig Beschäftigten. Nur geringe Gewinne oder leichte Verluste hätten die teilweise wirtschaftsschwachen Bundesländer im Norden und Osten zu erwarten.

Ohne den hier noch erforderlichen besseren Vergleichsverfahren, als sie eine Gegenüberstellung absoluter Milliardenbeträge bieten, vorzugreifen: Auf der Ebene der Länderhaushalte scheint eine Vereinheitlichung der Krankenversicherung aller abhängig Beschäftigten die Spreizung zwischen der Finanzkraft der Länder noch zu verstärken.

Für diese These spricht auch die Regionalverteilung zumindest der berufstätigen Beamten, deren Umversicherung im Rahmen einer Bürgerversicherung die Einsparungen in den Länderhaushalten erst bewirkt. Hier häufen sich die Beamten gerade in solchen Bundesländern, konkret: Niedersachsen und Schleswig-Holstein, die nur geringe Einsparungen aus einer Bürgerversicherung zu erwarten haben.

In diesem Zusammenhang muss neben den Beamten aber auch die Regionalvertei-lung der Selbständigen als zweite Hauptgruppe der PKV-Prämienzahler berücksichtigt werden. Die Wirkung einer Umversicherung der Selbständigen auf das Finanzkraftgefälle zwischen den Bundesländern ist sehr viel weniger direkt als im Falle der Beamten.

Erstens hat eine Umversicherung der Selbständigen keine direkten Auswirkungen auf die Länderhaushalte, sondern allenfalls Auswirkungen auf die Risikostruktur der Gesetzlichen Krankenkassen, in die sie als teilweise Besserverdiener wechseln und diese damit verbessern.

Zweitens wird sich eine Umversicherung der Selbständigen sehr viel zögerlicher gestalten als im Falle der Beamten.

Drittens umfasst die Gruppe der Selbständigen auch die in den Landwirtschaftlichen Krankenkassen (LKK) versicherten Landwirtschaftlichen Unternehmer etc.

Viertens dramatisiert sich allerdings derzeit das Problem der Prämienüberforderung selbständiger Geringverdiener und insbesondere der wachsenden Zahl der Scheinselbständigen. Gleichwohl kann für eine Annäherung an die finanzgeographischen Effekte einer Bürgerversicherung zunächst die Regionalverteilung der Gruppe der Selbständigen in Deutschland pauschal betrachtet werden.

Prämienzahler der Privaten Krankenversicherung in den Regionen Deutschlands (Selbständige)

Auf einen ersten Blick zumindest sieht es dabei so aus, als würden die von einer Umversicherung der Beamten nicht sonderlich begünstigten Bundesländer im Norden und teilweise im Osten bei einer Umversicherung der Selbständigen gleichwohl zur Risikostrukturverbesserung der Gesetzlichen Krankenkassen beitragen, während hier das bei der Beamtenumversicherung hoch begünstigte Nordrhein-Westfalen einen nur dürftigen Beitrag leistet. Deutlich anders verhält es sich bei den Bundesländern im Süden, die ihre Begünstigung bei der Beamtenumversicherung durch ein besonders hohes Potential an Selbständigen und damit für eine Risikostrukturverbesserung der Gesetzlichen Krankenkassen ausgleichen.

Bedarfsgerechte Ärzteverteilung

Zum Standardlamento aus dem Lager der Privatversicherungs-Lobby, der Ärztefunktionäre und des zugehörigen Medienschwarmes gehört die Klage darüber, dass bei einer Umversicherung der Beamten und der Selbständigen aus der PKV in die GKV die beachtlichen Mehreinnahmen, die von den Ärzten bei der Behandlung von PKV-Versicherten erzielt werden können, entfallen würden.

Bei genauerem Hinsehen sprechen gerade diese letztlich für die gleichen Leistungen höheren Honorarforderungen von Ärzten bei den Privatversicherten als bei den gesetzlich Versicherten für eine einheitliche Versicherung. Tatsache ist nämlich leider, dass die in dieser Extremform nur in Deutschland existierende Doppelstruktur von GKV und PKV eine der Hauptursachen für den stetigen Anteilsanstieg der Fachärzte und den bedenklichen Anteilsrückgang der Allgemeinärzte darstellt.

Während der Reinertrag der Praxen von Allgemeinärzten im Vergleichsjahr 2011 bei durchschnittlich 138.000 Euro lag, erreichte dieser Wert bei Fachärzten bis zu 303.000 Euro. Die wesentlich höheren Praxiseinnahmen von Fachärzten, die mit dem Status der Patienten verknüpfte höhere Neigung von Beamten und Selbständigen zur Facharztbehandlung und die wesentlich höheren Behandlungsentgelte bei Privatpatienten haben in den zurückliegenden Jahrzehnten die Facharztdrift nachhaltig verstärkt.

Damit verbunden ist die vom politischem System verbal beklagte, aber praktisch nicht ernsthaft bearbeitete Zentralisierung und Konzentration der Facharztpraxen nicht nur in und auf die insgesamt kaufkraftstärkeren Ballungsraumkerne, sondern häufig dort auch noch in den Stadtvierteln mit hohen Anteilen gut verdienender Privatversicherter wie eben Beamte, Selbständige etc.

Die mit einer Einebnung der Einnahmenprivilegierung der Facharztpraxen verbundene Umversicherung von Beamten, Selbständigen und Gutverdienern aus der PKV in die GKV wäre ein probateres Mittel zu einer regional und fachstrukturell bedarfsgerechteren Ärzteverteilung als die auffallend hilflosen Steuerungsversuche durch Bedarfsplanung und Förderprogramme.

Die Versorgung mit Allgemeinärzten wäre hingegen durch eine Umversicherung nur marginal berührt. Im Durchschnitt erwirtschaften Allgemeinpraxen reichlich 79 Prozent ihres Umsatzes mit gesetzlich Versicherten. Den höchsten Umsatzanteil mit Privatversicherten, nämlich knapp 49 Prozent, erzielen hingegen die Facharztpraxen für Haut- und Geschlechtskrankheiten.

Provokation Regionalversicherung

Im Grundgesetz (Art. 20, Abs.1) wird die Bundesrepublik Deutschland als demokratischer und sozialer "Bundesstaat" statuiert. Damit wird der politischen und der sozialen Ordnung des Staates eine föderale, d.h. räumliche Ordnung vorgegeben. Für das Sozialversicherungssystem Deutschlands beinhaltet dies eine zumindest föderale Gliederung und damit föderale Verfügung über die als Sozialversicherungen deklarierten Lohnfonds.

Als in der ersten Hälfte der 1970er Jahre im Zuge der damaligen Reformpolitik Gesetze zur Neuordnung der Krankenhausversorgung und der Kassenarztversorgung beschlossen wurden, beinhalteten diese auch die Aufstellung von Kassenarzt-Bedarfsplänen und von Krankenhaus-Bedarfsplänen für die föderalen Einheiten, d.h. für die Bundesländer. Zur Konzipierung und zur Realisierung dieser Bedarfsplanungen erstellte damals die in München ansässige Studiengruppe für Sozialforschung e.V. auch für das Bundesarbeits- und Bundessozialministerium zahlreiche Gutachten und Machbarkeitsuntersuchungen. In diesen wurden von Anbeginn an die Kassenarztinfrastruktur und die Krankenhausinfrastruktur als entscheidende Faktoren der Regionalentwicklung vorgestellt.

Als Finanzierungsgrundlage wurden "Regionale Gesamtfonds" als Rechenbudgets aus allen für die ambulante und stationäre Gesundheitsversorgung in den Regionen zuständigen Sozialversicherungs- und Sozialleistungsträgern empfohlen. Diese Regionalen Gesamtfonds waren sozusagen das Gegenkonzept zu dem vier Jahrzehnte später von CDU/CSU und SPD durch gesetzten "Zentralen Gesundheitsfonds".

In den ein Jahrzehnt nach der Etablierung von Kassenarzt- und Krankenhaus-Bedarfsplanung beginnenden Debatten über die "Organisationsreform" der Gesetzlichen Krankenversicherung entwickelte die schon erwähnte Studiengruppe für Sozialforschung als Beraterin des Bundesverbandes der Ortskrankenkassen das Konzept einer durchgängig regional gegliederten Gesetzlichen Krankenversicherung mit Dezentralisierung der bundesweiten Ersatzkassen und regionsübergreifendem Finanzausgleich. Das Konzept wurde von den Ländern, den Kommunen, Regional- und Arbeitsmarktökonomen, Sachverständigenräten etc. unterstützt bzw. übernommen. Gerade die Bundestags-Sozialdemokratie stellte sich jedoch gegen dieses Konzept und unterstützte das vom damaligen zuständigen Minister Seehofer favorisierte neoliberale Konzept von Kassenwahlfreiheit und Kassenwettbewerb nebst Risikoausgleich.

Nach dem unübersehbaren Scheitern dieses Konzeptes wurde dann eine neoliberal-autoritäre Version in Gestalt des Zentralen Gesundheitsfonds als Finanzmittelsammelstelle sowie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) als Leistungsregulierungsbehörde etabliert.

Eine nun ebenfalls unter dem Druck massiver Finanzrestriktionen, d.h. der Schuldenbremse anstehende Vereinheitlichung von Gesetzlicher Krankenversicherung und Privater Krankenversicherung bietet jetzt die Chance, für den Gesamtbereich der Kranken- und der mit ihr verknüpften Pflegeversicherung erstmals wieder selbst bestimmte, d.h. demokratische Organisationsstrukturen durchzusetzen: Selbstverwaltete Regionalversicherungen für Gesundheit für alle Bürger. Es steht zu vermuten, dass der hitzigste Widerstand hiergegen aus dem sozialdemokratischen Zentralistenlager kommen wird.