Starke Spannungen im katalanischen Unabhängigkeitslager

Demonstration gestern vor dem Parlament in Barcelona. Bild: CDR Raval

Puigdemont dachte daran hinzuwerfen, hat inzwischen aber klargestellt, dass er "Präsident" ist und "weitermachen" wird

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Dass der katalanische Parlamentspräsident am Dienstag die Amtseinführung von Carles Puigdemont vertagt hat und abwarten will, ob das spanische Verfassungsgericht die Beschwerde der spanischen Regierung gegen den Kandidaten Puigdemont überhaupt annimmt, führte erstmals zu starken Spannungen im Unabhängigkeitslager. Sie gehen deutlich über bisherige Widersprüche hinaus, die teilweise auch inszeniert waren, wie an dem Tag, als Puigdemont die Unabhängigkeit erklärte, aber sie sogleich wieder aussetzte, um mit Spanien verhandeln zu können.

Nun gibt es eine seltsame Allianz in der Kritikerfront. Waren es im vergangenen Oktober die Republikanische Linke (ERC) und die linksradikale CUP, die einen Alleingang Puigdemonts kritisierten, der auch Pfiffe von Demonstranten geerntet hatte, ist nun das Unverständnis und die Kritik bei Puigdemonts "Gemeinsam für Katalonien" (JxCat) und der linksradikalen CUP groß. Sie kritisieren heftig, dass sich Roger Torrent ein Stück weit auf die Logik der spanischen Institutionen eingelassen hat und die Amtseinführung ausgesetzt hat. Er will sie später "mit allen Garantien" durchführen, wenn einige Vorgänge klarer sind.

Tatsächlich hatte Puigdemont gestern große Zweifel, ob er weitermachen wird. Er überlegte ernsthaft in seinem Exil in Brüssel, den Rückzug anzutreten. Das haben Nachrichten gezeigt, die er an den ebenfalls exilierten ehemaligen Minister Toni Comín geschickt hat, die der Privatsender Tele 5 veröffentlichte. "Es ist vorbei, unsere Leute haben uns geopfert, mich wenigstens", hieß es da.

Die spanischen Unionisten jubelten schon, bevor überhaupt geklärt war, ob die Nachrichten echt waren. Sie meinen, es habe sich gezeigt, dass die Unabhängigkeitsbewegung am Ende ist. "Es ist die Realität, die sie bisher verbergen wollte", twitterte der PP-Sprecher Pablo Casado. Er hatte schon wenig verdeckt Morddrohungen gegen Puigdemont ausgesprochen und gerade am Dienstag den Parlamentspräsidenten im Mafiastil daran erinnert hat, "dass er zwei Kinder" habe.

Im Laufe des Mittwochs hat sich geklärt, dass die Nachrichten echt sind. Das Telefon von Comín wurde auf einer Veranstaltung in Belgien fotografiert, während er die Nachrichten gelesen hat. Puigdemont hat sie bestätigt, aber klargestellt, dass er sich nicht zurückzieht. "Ich bin ein Mensch und auch ich habe bisweilen Zweifel", twitterte er. "Ich bin aber auch der Präsident und werde aus Verpflichtung und Dank gegenüber der Bevölkerung und dem Land weder zurückweichen noch abtreten: Wir machen weiter!"

Er kritisiert, er habe als "Journalist stets gewusst, wo die Grenzen liegen und dass die Privatsphäre niemals verletzt werden darf". Comín will strafrechtlich in Belgien und Spanien gegen den Sender und den Journalisten wegen der Veröffentlichung vorgehen. Wenn die Unionisten sich "Illusionen machen, dass der Prozess vorbei sei, werden sie eine große Enttäuschung erleben". () "Geheimnisse anderer zu veröffentlichen, ist eine Straftat in Spanien und in Belgien", schrieb er.

Die Widersprüche werden nicht nur im Parlament größer, sondern auch auf der Straße

Tatsächlich versuchen nun alle, auch nach zum Teil harten Worten, wieder Einheit zu beschwören. "Es ist die Einheit, die uns so weit gebracht hat", erklärte Puigdemont schon vor der Veröffentlichung der persönlichen Nachrichten, und die dürfe nicht gefährdet werden. Damit richtete er sich vor allem an die Antikapitalisten. Die CUP hatte gegenüber Torrent und seiner ERC sogar davon gesprochen, dass das "Fass" mit der Aussetzung der Investitur übergelaufen sei. Der CUP-Chef Carles Riera nannte die Aussetzung zwar die "totale Verarschung", er ist aber weiter zu Verhandlungen bereit. Die CUP fordert nun die "definitive Verkündung der Sitzung" zur Amtseinführung von Puigdemont.

Die ERC und Torrent wollen aber erst abwarten, ob das Verfassungsgericht die Beschwerde gegen Puigdemont als Kandidat nun annimmt oder ablehnt. Das hat das Gericht auch gestern nicht entschieden, als es die Einsprüche gegen die "vorsorgliche Maßnahmen" bestätigt hat. Es müsste, da sind sich Verfassungsrechtler weitgehend einig, die Klage als unbegründet abweisen, da sie präventiver Natur ist, weshalb erstmals auch der Staatsrat gegen diese Klage war. Wird die Beschwerde abgewiesen, was merkwürdigerweise immer noch nicht geklärt ist, würden auch alle die vorsorglichen Maßnahmen fallen, mit denen die erneute Einführung von Puigdemont bisher praktisch verhindert worden ist. Denn das Puigdemont prinzipiell Kandidat sein kann, zweifelt nicht mal das politisierte Verfassungsgericht an.

Die Widersprüche werden nicht nur im Parlament größer, sondern auch auf der Straße. Am späten Dienstag überwanden tausende Demonstranten die Polizeisperren an ihrem Parlament und besetzten den umliegenden Park. Einige wollten dort bis zur Wiederherstellung der Regierung bleiben. Eine große Unterstützung fand der Vorstoß (noch) nicht. In der Nacht wurde die Besetzung mit 61 gegen 59 Stimmen abgebrochen. Zwei Personen, die gestern nach dem Gerangel festgenommen worden sind, wurden wieder auf freien Fuß gesetzt.