Angriff auf Afrin: Weiter wenig erfolgreich für die Türkei

Kampfgeschehen mit Panzer. Screenshot Video TRT Haber/YouTube

Der kurdische Guerilla-Widerstand hält; Syrien verurteilt die militärische Aktion; die religiösen Extremisten, die im Bund mit der türkischen Streitmacht stehen, sorgen für schändliche Schlagzeilen

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Seit genau zwei Wochen läuft die türkische Mitäroperation Olive branch in Nordsyrien. Bereits zuvor hatte es sporadisch immer wieder Angriffe auf Afrin gegeben; die Präsenz der PYD/YPG in der unmittelbaren Nachbarschaft zur Türkei war für den türkischen Präsidenten Erdogan schon seit langem zu einem großen politischen Dorn im Auge ausgewachsen, der ihn davon reden ließ, eine ganze Region von "Terroristen" zu säubern - ungeachtet dessen, dass sich die Region auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Staates befindet. Aber hier denkt der türkische Präsident in Linien aus alten osmanischen Karten. Gegenwärtige Grenzen interessieren ihn weniger.

Eine Strategie für den Herrscher-Spiegel

Der Angriff auf Afrin, der am Samstag, dem 20. Januar, startete und zuvor laut und deutlich angekündigt worden war, ist eine militärische Operation, an der viel Prestige hängt. Er war Reaktion auf die US-Ankündigung, dass man zusammen mit den SDF, wo die YPG eine Schlüsselrolle spielen, eine 30.000 Soldaten starke Grenztruppe bilden werde. Für die türkische Regierung war das nicht hinnehmbar. Viele Beobachter halten die Ankündigung der USA für den "Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte".

Doch wie eingangs angedeutet: Es gab bereits vor der laufenden Operation "Olivenzweig" Angriffe auf Afrin und die laufende Operation wurde nicht einfach so "aus dem Boden gestampft", sondern benötigte Vorbereitung. Sie gehört zu einer Strategie, in der die Türkei unter Erdogan eine große geschichtsmächtige Rolle im Nahen Osten spielt und der Präsident einen hervorragenden Platz in der Ruhmeshalle bekommt - und zuvor eine Erweiterung der Machtbefugnisse wie sie die Türkei seit Sultanszeiten nicht mehr gesehen hat.

Ruhm und Ehre?

Die bisherige Bilanz der türkischen Militäroperation hält allerdings mit den vollmundigen Ankündigungen und großen Ambitionen nicht wirklich Schritt. Es gibt keine spektakulären militärischen Eroberungen oder Erfolge, die der Weltöffentlichkeit Ruhm und Ehre der türkischen Operation in Nordsyrien verkünden.

Ein erfolgreicher Vormarsch zeigt sich selbst in türkischen Medien nicht deutlich; eroberte Gebiete fallen wieder an kurdische Milizen zurück.

Was in der internationalen Öffentlichkeit in den USA, in Frankreich, Großbritannien, Italien und anderen EU-Ländern und in Medien im Nahen Osten ankommt, sind Dinge, die der türkischen Regierung nicht zur Ehre gereichen: Türkische Luftangriffe, die Zivilisten treffen, und Bilder, die der Öffentlichkeit die Brutalität der eher primitiven Kämpfer im Bunde mit der türkischen Armee zeigen: Dschihadistische Fanatiker, die Frauen-Leichen schänden, zum Beispiel.

In der Türkei geht die Regierung mit harschen Methoden gegen Kritiker vor, die auf die schmutzige Seite des Angriffs in Afrin verweisen (siehe Wegen Friedensaufruf werden Mediziner wegen Terrorpropaganda verhaftet). Gegen die größere internationale Öffentlichkeit, die kurdische Publikationen gut zu bedienen wissen, ist sie machtlos.

Am Umgang mit Kriegs-Kritikern in der Türkei ist zu sehen, dass Erdogan die öffentliche Reaktion alles andere als gleichgültig ist. Welchen Einfluss die internationale Öffentlichkeit auf Handlungen der Regierung in Ankara hat, ist allerdings schwer einzuschätzen.

Wichtig ist, was Russland erlaubt

Allzu groß dürfte der Wirkungsgrad wahrscheinlich nicht sein. Wenn nun die Webseite für das "Protokollieren" von Luftangriffen in Kriegszonen, Airwars, ankündigt, dass man nun auch die Angriffe der türkischen Luftwaffe in Nordsyrien dokumentiert, so ist das für Beobachter des Geschehens eine wichtige Quelle.

Auch bei Protesten gegen die türkische Militäroperation in Nordsyrien werden die zivilen Opfer von türkischen Luftangriffen eine Rolle spielen - zusammen mit Vorwürfen von Brandbombenabwürfen und den Waffendeals von Nato-Verbündeten wie Deutschland mit der Türkei. Welchen politischen Effekt das aber genau hat, wird sich erst noch zeigen.

Wichtiger wird für die türkische Regierung sein, wie sich Russland zur türkischen Operation stellt. Die türkischen Luftangriffe würden mit hoher Wahrscheinlichkeit sofort aufhören, wenn Russland damit nicht mehr einverstanden ist.

Geht es nach - zum Teil kontrovers diskutierten - Äußerungen von SDF-Gegnern, einem in Expertenkreisen bekannten Unterstützer der Operation Olive Branch in Azaz und einem kurdischen Milizionären, welcher der türkischen Regierung nahesteht, so ist die "lange Leine", welche die Türkei für ihre Aktionen in Afrin bekommen hat, damit zu erklären, dass niemand sonst außer der Türkei einen derartigen Einfluss auf die dschihadistischen oder radikal-islamistischen Milizen in Nordsyrien inklusive Aleppo hat.

Für Russland besteht das Interesse an einer Vereinbarung mit der Türkei somit darin, dass die Türkei im Gegenzug zum Aktionsradius ihrer Luftwaffe dafür sorgt, dass die extremistischen Milizen im Norden Syriens unter Kontrolle bleiben und die syrische Armee bei ihren militärischen Vorstößen zur Rückeroberung ihres Territoriums möglichst keine Probleme durch sie bekommt.