Kleinste Plastikteilchen könnten global terrestrische Ökosysteme negativ verändern

Polyacrylfasern im Erdreich. Bild: Anderson Abel de Souza Machado

Nicht nur die Meere und Gewässer sind von teils toxisch wirkenden Mikroplastikteilchen kontaminiert, sondern wahrscheinlich in weit höherem Maße auch die Böden - und über die Nahrung nehmen die Menschen sie auf

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In den Meeren sammelt sich das moderne Wundermaterial Plastik zu riesigen Inseln an, rieselt in Form von Mikroplastik auf den Meeresboden, Tiere nehmen diese mitsamt den Giftstoffen auf, so dass sie letztlich auch wieder im menschlichen Körper landen (Müllhalde Ozean). Und es wird immer schlimmer. Weltweit wurden 2016 335 Millionen Tonnen Plastik produziert. Ohne Plastik würde die Landwirtschaft nicht mehr funktionieren, ganze Regionen verschwinden unter einem Plastikmeer, das sich entsprechend auf dem Land und im Grundwasser verbreitet ("Europas größter Wintergarten" aus dem Weltall gesehen).

In jedem Lebensmittelladen, auch in Bio-Läden, ist Plastik allgegenwärtig, auch wenn nun eher symbolisch zum Einpacken auch Papiertüten angeboten werden. In den Haushalten, in der Technik und in der Industrie ist Plastik allgegenwärtig. Mehr als 8 Milliarden Tonnen Plastik wurden weltweit in 60 Jahren hergestellt, fast 5 Milliarden Tonnen sind bislang in der Umwelt oder auf Müllhalden gelandet (Milliarden Tonnen an biologisch nicht abbaubaren Plastikmüll haben sich in der Umwelt angesammelt).

Das Problem ist lange bekannt. So einfach Plastik zu produzieren und so praktisch es ist, so problematisch ist es auch, weil es in der Regel nicht biologisch abbaubar ist, sondern zerfällt und sich dann auch in Form von Mikropartikeln überall in der Umwelt und in den Körpern ablagert. Dass das Problem sich keineswegs nur auf die Meere und Binnengewässer erstreckt, sondern auch auf die Böden, haben nun Wissenschaftler vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und der FU Berlin in einer Studie in ihrer Studie hervorgehoben, die in der Zeitschrift Global Change Biology erschienen ist. Bislang wurde dies nur wenig beachtet.

Lehmiger Sandboden. Bild: Abel de Souza Machado

Die Wissenschaftler haben Studien über die Auswirkungen von Mikroplastik (Partikel kleiner als 5mm) auf terrestrische Ökosysteme ausgewertet. Es zeigt sich, dass Plastikpartikel, die durch den Zerfall größerer Teile entstehen, weltweit praktisch überall vorhanden sind. Offenbar überziehen wir die Welt in einem planetaren Versuch mit Plastik. Das liegt nicht nur unästhetisch und unappetitlich überall herum, sondern kleineste Plastikpartikel, die in Nanogröße praktisch überall eindringen können, bringen eine Reihe von Gefährdungen mit sich. Schon zuvor hatten Wissenschaftler des IGB gezeigt, dass Mikroplastik für Ökosysteme schädlich ist, wenn es von bestimmten Organismen in Seen aufgenommen wird.

Nach der Studie ist die Kontamination durch Mikroplastik auf dem Land viel größer als in den Meeren. Verbreitet wird Mikroplastik u.a. durch Abwasser: "80 bis 90 Prozent der darin enthaltenen Partikel, etwa von Kleiderfasern, verbleiben im Klärschlamm. Dieser wird häufig als Dünger auf Felder ausgebracht, wodurch jährlich viele Tausend Tonnen Mikroplastik auf unseren Böden landen."

Polyethylen-Kügelschen in hoher Dichte. Bild: Abel de Souza Machado

Nanoteilchen können in Zellen eindringen und die Blut-Hirn-Schranke überwinden

Mikroplastik kann unmittelbar Ökosysteme schädigen. Durch den Zerfall erhalten Plastikpartikel neue physikalische und chemische Eigenschaften, die toxisch sein können. Auf den Oberflächen von Mikroplastikpartikeln können sich krankheitserregende Organismen ansiedeln und Krankheiten in die Umwelt verbreiten. Auch die Tiere im Boden sowie dieser selbst können beeinträchtigt werden. Als Beispiel werden Regenwürmer genannt, die bei Anwesenheit von Plastikpartikeln im Boden ihre Höhlen anders bauen und damit ihr Verhalten und die Bodenbeschaffenheit verändern. Veränderte chemische Eigenschaften können aber größere Risiken mit sich bringen. So treten bei der Zersetzung Additive wie Phthalate und Bisphenol A aus, die bei Wirbeltieren ebenso wie bei einigen Wirbellosen zu Störungen des Hormonsystems führen. Aber damit nicht genug:

"Außerdem können Teilchen in Nanogröße Entzündungen auslösen, Zellbarrieren überwinden oder verändern und sogar besonders selektive Membranen wie die Blut-Hirn-Schranke oder die Plazenta überwinden. Innerhalb der Zelle können sie unter anderem Änderungen der Genexpression und biochemische Reaktionen auslösen. Welche langfristigen Effekte dies hat, ist noch nicht hinreichend untersucht. Zumindest für Fische wurde bereits nachgewiesen, dass sich Nanoplastik nach Passieren der Blut-Hirn-Schranke verhaltensändernd auswirkt."

Polyacrylfasern im Boden. Bild: Abel de Souza Machado

Nicht nur Tiere nehmen über die Nahrung Mikroplastikpartikel auf, sondern natürlich auch Menschen, wenn sie Fische oder Meeresfrüchte essen. Gefunden wurden sie auch in Salz, Zucker und Bier. Vermutlich reichern sie sich in allen Landlebewesen, inklusive den Menschen, an. Aber die Ausmaße und die Gefährdungen sind aufgrund fehlender Studien, schwierigen Nachweismöglichkeiten und fehlenden Standards weitgehend unbekannt. Die Wissenschaftler vermuten, dass Mikroplastik ein neuer "Langzeit-Stressfaktor für die Umwelt" sein und sich als eine "entstehende globale Bedrohung für terrestrische Ökosysteme" erweisen könnte.

Auf meine Frage an Abel de Souza Machado, der die Studie geleitet hat, ob es Untersuchungen gibt, in welchem Ausmaß sich Mikro- oder Nanoplastikteilchen in Menschen finden bzw. sich dort anreichern, schrieb er:

"Es gibt Hinweise auf eine signifikante Belastung der Menschen durch Nahrungsaufnahme und Atmung. Schädliche Folgen wurden beispielsweise bei Arbeitern entdeckt, die einem Hohen Maß an Mikroplastik ausgesetzt waren. Es gibt einen aktuellen Bericht über die Verbindung von menschlicher Gesundheit und Mikroplastik von Wright & Kelly, aber Informationen über die genauen Werte für die Gesamtheit der Menschen fehlen. Es gibt nach meinem Kenntnisstand keine Studie über die Laboratoriumsforschung hinaus, die die Bioakkumaltion von Nanoplatik untersucht hat. In diesem Fall gibt es eine technische Hürde, solche kleinen Plastikteilchen im menschlichen Gewebe zu identifizieren und quantifizieren."