Türkei/USA: "Entweder wird das Verhältnis jetzt repariert oder es ist ganz kaputt"

Türkischer Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu. Bild: US-Außenministerium/ gemeinfrei

Die türkische Republik als "Fortsetzung des Osmanischen Reiches"; Angriffe der Operation "Olivenzweig" in Afrin, die sich gezielt gegen die Zivilbevölkerung richten

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der Angriff des türkischen Militärs mit den islamistischen Bodentruppen trifft die Zivilbevölkerung in Afrin schmerzlich. Wie Kamal Sido, Nahost-Referent der Gesellschaft für bedrohte Völker mit Wurzeln und Verbindungen in der Region, recherchiert hat, sollen "mindestens 160 Zivilisten" durch die Angriffe türkischer Kampfflugzeuge, schwerer Artillerie, Raketenwerfer und Panzer getötet worden sein.

Verletzt wurden durch die Operation "Olivenzweig" laut Sido bislang 395 Zivilisten in Afrin. Unter den Toten seien 26 Kinder und 17 Frauen - dies und die Flucht von etwa 60.000 aus ihren Dörfern, um Schutz in der Stadt Afrin zu finden sowie die Zerstörung ganzer Ortschaften und gezielte Angriffe auf die Trinkwasserversorgung, was dazu führte, dass 300.000 Menschen nicht mit Wasser versorgt wurden, steht im denkbar scharfen Kontrast zu den offiziellen türkischen Beteuerungen, wonach man darauf achte, dass Zivilisten verschont bleiben.

Hatay: Die türkische Republik als Fortsetzung des osmanischen Reiches

Zuletzt betonte der Chef des türkischen Generalstabs, General Hulusi Akar, solche guten Absichten bei einem Besuch in der Provinz Hatay, wie Rudaw berichtet. Man werde "keinen unschuldigen Menschen und Zivilisten Schaden zufügen", wird Hulusi Akar von dem kurdischen Medium zitiert.

In dem Rudaw-Bericht heißt es, dass Akar und die ihn begleitenden türkischen Kommandeure die Absicht hatten, "die Entwicklungen der Operation Olive Branch in der Hatay-Region näher zu begutachten". So sei dies in einem Statement der türkischen Streitkräfte zu erfahren.

Das ist etwas irritierend, da der Leser des Rudaw-Berichts nicht genau weiß, mit welchem "Hatay" er es zu tun hat - mit der Provinz, die eindeutig auf türkischen Staatsgebiet ist oder mit eben mit der Region Hatay, die im Osmanischen Reich als "Sandschak Alexandrette" ein Gebiet umfasste, das heute syrisches Staatsgebiet ist - auf das es territoriale Wünsche der Neo-Osmanen abgesehen haben.

Die türkischen Generäle waren zur Begutachtung selbstverständlich in Nordsyrien und nicht auf der türkischen Seite, wie der Bericht anhand von Aussagen des YPG-Sprechers in Afrin, Brusk Hasaka, nahelegt. Dieser berichtet Rudaw, dass die YPG den türkischen Militärs und ihren Verbündeten, den syrischen Milizen, die häufig durch radikalislamische Gesinnung und Grobheiten auffallen, "große Verluste " zugefügt hätten.

Zwei Hubschrauber seien am Wochenende abgeschossen worden, eine Anzahl von Panzern zerstört und ein größeres Waffendepot. Aus der Türkei wurden 31 Tote bestätigt. Laut dem notorisch bekannten Syrian Observatory for Human Rights wurden 152 kurdische Kämpfer getötet, gemeint sind offensichtlich YPG-Kämpfer. Auf der Seite der mit der Türkei verbündeten Milizen berichtet SOHR von 165 Toten.

Erwähnt wird die von Kamal Sido genannte Zahl von 160 zivilen Toten, die Vertretern der Gesundheitsbehörden in Afrin zugeordnet wird. SOHR selbst würde 74 zivile Tote registrieren.

Çavuşoğlu: Stolz auf das Osmanische Reich

Dass die Neo-Osmanik der türkischen Regierungsspitze keine bloße Unterstellung oder Übertreibung von ihnen bös oder spöttisch Gesinnten ist, bestätigt ein Beitrag von Hurriyet Daily News. Dort wird davon berichtet, dass sämtliche Mitglieder der osmanischen Dynastie die türkische Staatsbürgerschaft bekommen, auch wenn sie fernab der Türkei leben.

Dies sei von der türkischen Regierung zum 100-jährigen Gedenken des Todestages des osmanischen Sultans Abdülhamid II beschlossen worden. Bemerkenswert ist der Rahmen, in dem dieser Akt eingebettet wurde.

So sprach Außenminister Çavuşoğlu von einem "wichtigen Konsens" zwischen der türkischen Republik und dem Osmanischen Reich. Zitiert wird dazu die Aussage Erdoğans, wonach er die türkische Republik als Fortsetzung des Osmanischen Reiches versteht. Die türkische Bevölkerung sei stolz auf das Osmanische Reich, so Çavuşoğlu.

Tillerson kommt nach Ankara

Der türkische Außenminister sprach dann am Montag etwas weniger feierlich. Da ging es über das Verhältnis zur aktuellen Weltmacht, den USA. Auch hier ist ein gewisser Interpretationsspielraum gegeben. Çavuşoğlu nahm den Mund sehr voll. Es geht ums Ganze, lässt er mit einer Äußerung verstehen, die von Hurriyet so wiedergegeben wird: "Entweder wird das Verhältnis jetzt repariert oder es ist ganz kaputt."

Am Donnerstag und Freitag dieser Woche wird US-Außenminister Tillerson in Ankara erwartet. Er soll sich mit Çavuşoğlu und mit Präsident Recep Tayyip Erdoğan treffen. US-Verteidigungsminister Jim Mattis und sein Amtskollege Nurettin Canikli treffen sich Donnerstag bei einem Nato-Meeting in Brüssel.

Die türkische Regierung besteht darauf, dass die USA ihre Beziehungen zur YPG "überdenken". Laut der Zeitung Daily Sabah, die der Regierung in Ankara eng verbunden ist, sind im Pentagon-Budget für 2019 für die SDF, wo die YPG eine tragende Rolle spielt, Summen in Höhe von insgesamt mehr als einer halben Milliarde Dollar vorgesehen, was sehr für eine weitere Zusammenarbeit zwischen den USA und den YPG spreche. Und für eine kaputte Beziehung der USA zur Türkei?