Neuauflage der großen Koalition: "Eine Horrorvorstellung. Die politische Zombie-Apokalypse"

Augstein flucht und tobt gegen Merkel - Ein Kommentar

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"Wir werden Frau Merkel jagen", kündigte der AfD-Vorsitzende Gauland am Tag nach der Bundestagswahl an. Für sein vulgär vorgetragenes Anliegen hat er seitdem eine Reihe von Mitspielern gefunden. Den Anfang machte Christian Lindner, selbsternannter "Visionär", der über die Absichten der FDP-Sponsoren lieber nichts mitteilt. Den vorläufigen Schlusspunkt setzte Roland Koch mit seiner Forderung nach einem Generationswechsel an der CDU-Spitze. Der Hesse hatte sich 2010 nach einem infamen Parteispendenbetrug aus der Politik verabschiedet und wird seitdem in der Wirtschaft durchgefüttert.

Jede dieser Äußerungen wird von vielen Medien begierig aufgesogen und in epischer Breite wiedergegeben, damit die Leser auch wirklich verstehen, um was für bedeutende Persönlichkeiten es sich bei diesen gescheiterten oder bald scheiternden Politikern handelt.

Den Anschein einer Jagd möchten sie freilich gern vermeiden. Nein, es werden Befürchtungen geäußert, Ratschläge erteilt, Warnungen artikuliert. "Ist es das Ende ihrer Kanzlerschaft?", fragt die FAZ erwartungsvoll, zeigt dabei ein Merkel-Foto, wie sie eine Bühne verlässt und heuchelt ein bisschen Sorge. So machen es die Seriösen. Nun aber hat sich einer zu Gauland gesellt, der im Zweifel links sein will und vor lauter Jagdfieber hemmungslos in den Wald ballert.

Es überrascht nicht wirklich, dass es sich dabei um Jakob Augstein handelt. Auf Spiegel Online hat er seine Aggressionen ausgelebt. Merkels Zeit sei abgelaufen, auch wenn sie es nicht wahrhaben wolle. Eine Neuauflage der großen Koalition sei "eine GruselKo. Lebende Tote auf Urlaub. Eine Horrorvorstellung. Die politische Zombie-Apokalypse."

Unter Apokalypse versteht man im Allgemeinen das Ende aller Tage. Manche benutzen die Metapher, wenn sie um Worte ringen, um beispielsweise die aktuelle Situation syrischer Städte zu beschreiben. Mit einer Zombie-Apokalypse möchte der Autor ein Bild suggerieren, wo die Teufel bereits unterwegs sind, um den armen deutschen Michel aufzuspießen. Ja, da kann man richtig Angst bekommen, vor allem diejenigen, die auch ohne Augstein an den Volkstod glauben.

"Auf dieser Regierung liegt ein Fluch." Der Laienpriester von Spiegel Online spricht ihn aus. Für eine Auseinandersetzung mit Inhalten, die ja angeblich so wichtig sind, ist in dieser Hasspredigt kein Platz. Das Übel, von dem das Böse ausgeht, ist die Kanzlerin, die "auf Biegen und Brechen im Amt bleiben" wolle. Crooked Angela Merkel! Wie Hillary Clinton im Wahlkampf von Donald Trump.

"Man muss immer wieder daran erinnern: Das Desaster, das wir erleben, ist Merkels Desaster." Gelten die häufigen Wiederholungen den Begriffsstutzigen oder hat der Autor einfach keinen zweiten Gedanken? Den einen kann er nicht oft genug platzieren: "Die Verantwortung hat Name und Anschrift: Angela Merkel..." (es folgt die Adresse des Kanzleramts). Das ist die Sprache eines Fahndungsplakats. In diesem Kode formuliert man Aufrufe zur Gewalt.

Bei den Begründungen für seine Ausfälle geht dem Kommentator, der seinen Text ohne weiteres bei "politically incorrect" unterbringen könnte, wie er auch als Pegida-Redner ein Schmuckstück für die Veranstalter abgeben würde, vollends der Verstand verloren. "Erst sprengt sich die Jamaika-Gruppe in die Luft. Jetzt zerfetzt es die SPD ... Wer das immer noch alles für einen Zufall hält, dem ist nicht zu helfen."

Klar, der Zufall hat Name und Anschrift. Es war aber nicht die Jamaika-Gruppe, die sich selbst in die Luft gesprengt hätte, sondern es war die FDP, die die Verhandlungen aus dem nüchternen Kalkül heraus platzen ließ, der Jagd, zu der Gauland und seine AfD geblasen hatten, Auftrieb zu verschaffen. Und der "zerfetzten" SPD ist es gerade gelungen, etwas im Koalitionsvertrag zu verankern, was eine "intakte" SPD mit ihrer Agenda 2010 aufgehoben hatte: die Finanzierung der Krankenkassenbeiträge zu gleichen Teilen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern.

Frau Merkel hindere, wie Augstein erkannt hat, die ehemaligen Volksparteien daran, ihre jeweilige Identität zu finden. Ein echtes Problem, mit dem sich alle herumschlagen, die im Zweifel links sein wollen. Vor allem die SPD brauche dringend eine "Rückbesinnung". Auf Schröders Basta-Politik? Schilys Asylpolitik? Schmidts Innere Sicherheit? Brandts Berufsverbote? Auf die Notstandsgesetze oder das Godesberger Programm?

Vor den Antworten drückt sich Kevin Kühnert genauso wie Andrea Nahles. Doch der Juso-Vorsitzende ist die große Hoffnung von Jakob Augstein, "die letzte Hoffnung der deutschen Sozialdemokratie". Ihm wünscht er Erfolg mit seiner Kampagne zur Ablehnung des Koalitionsvertrags. Anschließend empfiehlt Augstein "Neuwahlen ohne Angela Merkel". Man darf gespannt sein, was die letzte Hoffnung der deutschen Sozialdemokratie im Verbund mit dem Herausgeber des Freitag dann herausholen wird.

Ja, wir Linken sind uneins, zerstritten, ziellos, manchmal auch einfach überarbeitet, und erliegen oft genug der Versuchung, den eigenen Nabel zu streicheln. Alle haben wir offene Rechnungen mit der Regierung, nicht nur mit der letzten. Trotzdem gibt es Übereinstimmung in der simplen Aufgabe, alles zu tun, was der AfD schadet, und alles zu unterlassen, was ihr nutzt.

Es kommt eines hinzu, gerade nach den Erfahrungen aus den USA. Typen wie Trump, Gauland, Koch, Merz, Augstein finden Gefallen daran, eine Frau, die erfolgreicher ist als sie selbst, zu einer Art Hexe zu stilisieren, zur Ursache des Desasters, zum Inbegriff der Apokalypse. Damit mobilisieren sie die niedersten Instinkte der alten weißen Männer, Kastrationsängste und Minderwertigkeitsgefühle, die irgendwann zwangsläufig in Gewalt umschlagen.

Wer das im Zweifel nicht kapiert hat und seine Aufgabe darin sieht, die Merkel-muss-weg-Schreihälse und ihre selbstgebastelten Galgen, die sie in Dresden über die Straßen tragen, auf einem nur geringfügig höheren Niveau zu rechtfertigen, den dürfen wir getrost beiseiteschieben, wie es in der dritten Strophe der Internationale heißt.