Phosphor: Lebensspender aus dem Schlamm

Klärwerk Kiel-Bülk der Stadtentwässerung Kiel in Schleswig-Holstein. Bild: Louis-F. Stahl/CC BY-SA 3.0

Die Wertstofffracht von Abwässern wird künftig verstärkt in den Fokus des Interesses von Recycling-Vorhaben rücken. Der Rückgewinnung von Phosphor kommt dabei angesichts seiner postulierten Verknappung eine Sonderrolle zu

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Wird irgendwo auf der Welt Wasser knapp, berichten die Medien vorrangig von den Herausforderungen bei der Gewährleistung der Wasserversorgung. Das weite Feld des Abwassermanagements hingegen wird in der Regel eher stiefmütterlich behandelt.

Zu Unrecht, denn die natürlich vorhandene Selbstreinigungskraft der Gewässer ist seit langem überfordert, und der Mensch muss der Natur mit einer gezielten Abwasserbehandlung unter die Arme greifen. Die sieht sich regelmäßig mit neuen Herausforderungen konfrontiert.

In einer Welt, in der die menschliche Bevölkerung bis 2050 voraussichtlich auf 9.7 Milliarden anwachsen und die Nachfrage nach Ressourcen steigen wird, kommt der Rückgewinnung von sauberem Wasser und zunehmend auch von Wertstoffen aus Abwasser eine besondere Bedeutung zu, wie der Wasserbericht der Vereinten Nationen Anfang 2017 unterstrich. Allein der weltweite Wasserbedarf wird sich bis 2050 um geschätzte 55 % erhöhen.

Nach Schätzungen der AQUASTAT-Datenbank der FAO entnimmt die Menschheit jährlich fast 4000 Kubikkilometer Süßwasser. Das entspricht rund 83 Füllungen des Bodensees. Davon werden 56 % zu Abwasser: in Ballungszentren, an Industriestandorten, in der Landwirtschaft. Global gesehen werden 80 % der anfallenden Abwässer ohne eine adäquate Behandlung in die Umwelt entlassen. Die ist vor allem den reichen Industriestaaten vorbehalten, die rund 70 % ihrer Abwässer behandeln (Deutschland: > 96 %), während arme Länder ihren Abwässern stellenweise nur zu 8 % irgendeine Form von Behandlung zukommen lassen können. All das hat eine weitere Verschlechterung der Qualität des Grund- und Oberflächenwassers in vielen Gegenden der Welt zur Folge.

Nach UN-Definition besteht Abwasser zu 99 % aus Wasser - der restliche Prozent sind suspendierte, als Kolloide oder gelöst vorliegende Bestandteile. Die Rückgewinnung hochwertiger Chemikalien reduziert die Abfallerzeugung und kann so zur Wasser-, Energie- und Nahrungsmittelsicherheit beitragen.

In Deutschland gibt es knapp 10.000 Kläranlagen. In den öffentlichen Anlagen werden jährlich 10 Milliarden Kubikmeter Abwasser behandelt: 0.1 % mechanisch, 1.9 % biologisch ohne gezielte Entfernung von Nährstoffen und 98 % biologisch mit gezielter Nährstoffentfernung. Bisher unbeachtete Schadstoffe gelten als große Herausforderung des Klärbetriebs der Zukunft: Arzneimittelrückstände, Antibiotika aus der Tierzucht oder Substanzen mit hormonähnlichen Wirkungen. Erst jüngst kam das Problem von Mikroplastik im Wasserkreislauf hinzu. Doch zunehmend rückt auch die Wiedergewinnung von Rohstoffen in den Fokus der Abwasserbehandlung.

Nährstoffe: Vor allem Phosphor. Apropos - was wurde eigentlich aus Peak Phosphor?

Da sind zum einen gelöste Nährstoffe wie Phosphor oder Stickstoff. Deren Freisetzung durch Abwässer der intensiven Landwirtschaft kann zur Eutrophierung anliegender Gewässer führen. Andererseits können sie an anderer Stelle fehlen. Einige Schätzungen gingen vor noch nicht allzu langer Zeit davon aus, dass die zugänglichen Phosphatlagerstätten der Welt in den nächsten 50 - 100 Jahren erschöpft sein oder zumindest knapp werden könnten - Peak Phosphor war plötzlich zum Gesprächsthema geworden.

Ohne ausreichende Phosphatmengen ist das gegenwärtige Niveau der weltweiten Nahrungsmittelproduktion nicht zu halten - das lebenswichtige Element Phosphor ist nicht künstlich herstellbar, noch lässt es sich durch ein anderes ersetzen. Die Preisentwicklung bei Phosphaten und daraus hergestellten Düngemitteln unterliegt jedoch mitunter unvorhergesehenen Schwankungen.

Durch Spekulation oder anderweitige Gründe bedingte Preisexplosionen können besonders arme Länder vom Zugang zu Phosphaten abgeschnitten werden. 2008 kam es zu einer kurzzeitigen Verfünffachung der Preise für Phosphatdünger, die Folge einer Verkettung von Umständen (Ölpreisentwicklung, wachsende Nachfrage aufgrund des Biotreibstoff-Booms und den Veränderungen auf dem Speiseplan einer Vielzahl von Menschen in Schwellenländern, hin zu einer stärker fleischbasierten Nahrung, sowie mangelnde Kapazitäten, um diese plötzlich gestiegene Nachfrage zu bedienen). Die sich entfaltende Finanzkrise führte schließlich zum Rückgang der Nachfrage, die Preise normalisierten sich - zunächst, um 2011 mit den Nahrungsmittelpreisen erneut anzusteigen.

Aufgrund des plötzlichen Preisanstiegs von 2008 hatte die Diskussion um Peak Phosphor an Fahrt aufgenommen, doch nur für kurze Zeit. Der US Geological Survey (USGS) hatte in einer Neubewertung den Umfang der globalen Phosphatreserven von 2010 auf 2011 kurzerhand vervierfacht und damit die Peak Phosphor-Debatte abgewürgt, ein Vorgehen, das unter Geowissenschaftlern umstritten ist. Kritisiert wird vor allem das Zustandekommen der präsentierten Zahlen.

Dabei sind genaue Zahlen wichtig: denn welche Sichtweise am Ende der Wahrheit näher kommt und welche Handlungsempfehlungen sich daraus für die Gestaltung der Zukunft ableiten lassen, hängt in starkem Maße von den tatsächlich vorhandenen, wirtschaftlich förderbaren Reserven ab.

Phosphor ist zwar das elfthäufigste Element in der kontinentalen Erdkruste, doch für eine wirtschaftliche Förderung sind Ablagerungen mit abbauwürdigen Konzentrationen vonnöten. Geeignete Lagerstätten sind ungleich verteilt: mehr als 50 % der Welterzeugung kommen derzeit aus China, den USA und Marokko. Der überwiegende Teil der bekannten Weltreserven verteilen sich auf Marokko, China, Algerien, Syrien, Südafrika, Russland, Ägypten, Jordanien, Australien und die USA - auch aktuell sieht man beim USGS keine unmittelbar bevorstehenden Engpässe.

Mehr als 90 % des aus den abgebauten Phosphaten gewonnenen Phosphors gehen in die Lebensmittelproduktion (82 % Düngemittelherstellung, 7 % Futtermittelzusätze, 3 % Nahrungsmittelzusätze).

Rohphosphate riefen wegen ihrer Bedeutung Kolonialmächte auf den Plan, und auch heute noch bieten sie Anlass zum Ausbruch von Wirtschaftskriegen. Deutschland für seinen Teil ist heute vollständig von Importen abhängig, 2016 stammten 95 % des Rohphosphats aus Israel.