Wie häufig ist nun sexuelle Gewalt in deutschen Schulen?

Medien versagen erneut bei sexualstrafrechtlichen Themen

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Nach dem Soziologen Niklas Luhmann prägen die Massenmedien unser Wissen von der Gesellschaft und Welt um uns entscheidend. Dass mit dieser Macht auch eine besondere Verantwortung einhergeht, äußert sich beispielsweise im Pressekodex des Deutschen Presserats: Ganz am Anfang stehen die Grundsätze der Wahrhaftigkeit, der Sorgfalt und der Richtigstellung.

Im Zusammenhang mit der Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt brach über die Breite der Medien eine ungekannte Beschwerdewelle herein. "Lügenpresse" wurde in manchen Kreisen zum geflügelten Wort. Viele Redaktionen ignorierten die Kritik, so lange es ging. Manche isolierten sich schlicht von ihrer Leserschaft durch die Schließung von Online-Foren.

Nur sehr zögerlich und leise räumte man hier und dort Fehler ein, gaben sich diejenigen, die schnell mit anderen hart in die Kritik gehen, selbstkritisch. Auch wenn Leserreaktionen manchmal über das Ziel hinaus schossen - immerhin ging es dabei um den Frieden.

Verhältnis von Bürger und Staat

Doch auch bei einem anderen Thema steht viel auf dem Spiel. Ich meine das Strafrecht, insbesondere das Sexualstrafrecht. Anders als manche Medienberichte oder gar Äußerungen des (noch) geschäftsführenden Justizministers das nahelegen, ist ein modernes Strafrecht kein Mittel zur Durchsetzung der Moralvorstellungen kleiner Lobbygruppen. Es geht stattdessen um das Verhältnis vom Staat und seinem Bürger und die Umstände, unter denen ersterer schwere Eingriffe in das Leben von letzterem vornehmen darf.

Die Freiheit ist nämlich das höchste Gut, das ein moderner Rechtsstaat seinem Bürger nehmen kann. In manchen Rechtsordnungen steht sogar noch das Leben auf dem Spiel. Daher ist es einleuchtend, dass es strenge Regeln für das Vorgehen aller Beteiligten gibt.

Polizei und Staatsanwaltschaften muss zwar im Interesse aller das Ermitteln von Straftaten möglich sein. Solche Ermittlungen dürfen aber nicht schon aufgrund loser Verdachtsmomente ein ganzes (soziales) Leben vernichten. Das heißt, dass das Strafrecht nicht nur dem Schutz von Bürgern vor anderen Bürgern, sondern auch vor staatlicher Willkür dienen muss.

Interessen von Medien und Strafrecht

Auch mit dem Gewaltmonopol des Staates geht nämlich eine besondere Verantwortung einher. Gerechtigkeit und Fairness sind oberstes Gebot. Für die Justiz gilt, wie für die Medien, die Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit, Sorgfalt und Richtigstellung, auch wenn sich Gelehrte dafür im Laufe der Jahrhunderte spezielle Begriffe ausgedacht haben. Ein Beispiel ist die Aufklärungspflicht, die das Ermitteln der Wahrheit ins Zentrum des Strafprozesses stellt.

Medien und Justiz sind also von der Idee her zu ähnlichen Prinzipien verpflichtet. Nun befinden sich erstere aber in einem Konkurrenz- und wirtschaftlichen Überlebenskampf. Dass durch kostenlose Internetinhalte ein großer Druck entsteht, ist wohlbekannt. Dabei garantieren Sex und Verbrechen, besser noch: Sexverbrechen, den Medien aber hohe Klick-, Hörer-, Leser- oder Zuschauerzahlen und damit wichtige Werbeeinnahmen.

Dadurch entsteht ein Interessenkonflikt: Die ethischen und zum Teil auch gesetzlichen Pflichten stehen den wirtschaftlichen Wünschen oder gar Zwängen mitunter im Weg. Wenn dazu noch die Interessen bestimmter Lobbygruppen kommen, die sich sowohl mediale wie staatliche Strukturen zunutze machen können, dann sind gesellschaftliche Verwerfungen vorprogrammiert.

Beispiel Sexualstrafrecht

So ist noch keine zwei Jahre her, dass im Zusammenhang mit der "Nein heißt Nein"-Kampagne ein enormer medialer Druck zur Verschärfung des Sexualstrafrechts aufgebaut wurde. Dabei wurden gezielt Fehlinformationen zur Häufigkeit, der Verurteilungsrate und Falschbeschuldigen bei Sexualstraftaten verbreitet (Sexualstrafrechtsreform: Eine Beweisaufnahme).

Auch der Sachverhalt der bestehenden Gesetze wurde falsch dargestellt. Noch heute begegnen mir Menschen, die davon überzeugt sind, nach der alten Rechtslage hätte ein Opfer körperlichen Widerstand leisten müssen, damit juristisch von einer Vergewaltigung gesprochen werden könne. Diese Darstellung wurde mehrfach in den Medien kolportiert.

Dabei standen vor der Änderung vom 10.11.2016 ausdrücklich Drohen und das Ausnutzen einer schutzlosen Lage im Paragrafen §177 über sexuelle Nötigung und Vergewaltigung. Es geht hier um Fakten, die augenscheinlich sind, nicht lange interpretiert werden müssen und auch jedem mit einem Klick auf einen Link, ein paar Worten in der Suchmaschine oder zur Not dem Gang in die Bibliothek zugänglich sind. Dass die juristische Fachsprache nicht immer laienverständlich ist, ist ein anderes Thema, in diesem Fall aber nicht das Problem.