Wie fundamentalistische Linke einen Rechtsruck bewirken

Bild: Cherubino/CC BY-SA-4.0

Was ist die Gemeinsamkeit von Jutta Ditfurth und Klaus Ernst? Richtig: Beide gehören dem politischen Spektrum der Linken an. Was unterscheidet sie? Eigentlich alles. Das ist das Problem, denn ein bisschen linken Zeitgeist gibt es schon - die linken Fundis ersticken ihn aber

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Die Konservativen bemängelten ja über einen langen Zeitraum, dass der Zeitgeist leider immer noch links ticke. Zuletzt salbaderte Alexander Dobrindt von einer "linken Revolution", deren Ende er aber quasi schon spüren könne. Nähere Erklärungen gab er nicht ab, bei Marietta Slomka druckste er herum, wie ein Grundschüler, dem gerade dann die Blase drückt, wenn ihn die Frau Lehrerin ins Verhör nimmt.

Der linke Zeitgeist, der im konservativen Milieu moniert wurde, war stets mehr so eine Bauchsache, ein dumpfer Gefühlsschwall, nichts was man ad hoc einfach so erklären konnte. Zur Diskreditierung linker Positionen war dieses unkonkrete Etwas aber schon gut, denn mit dem Gejammer über diesen vermeintlich linken Zeitgeist, schwang ja auch immer Verachtung mit, die Erkenntnis, dass die Gesellschaft immer noch so rückständig nach links schiele.

Hatten denn die Leute noch immer nicht begriffen, dass die Sechziger und Siebziger vorbei waren, die geistig-moralische Wende alles ins Gegenteil verkehrt hat? Klar, die gesellschaftlichen Liberalisierungen, da will man unter Neocons nun wirklich nicht so kleinlich sein, die waren ja ordentlich. Es gibt ja auch schwule Konservative, die Parteisekretäre sein dürfen und sich selbst schon als Kanzler der Zukunft feilbieten. Und der Kanzler der Stunde ist eine Kanzlerin - aus der sowjetischen Besatzungszone zumal! Ohne Brandt hätte es die vielleicht auch nie gegeben.

Insofern: Das kann man ja als gelungen stehenlassen. Aber diese Erwartungshaltung der Leute, dieses Sicherheitsdenken und Sozialstaatsbezogene: Diesen linken Zeitgeist meinen sie, wenn das Lamentieren wieder mal anfängt. Dass die soziale Frage immer noch hie und da gestellt wird, das ist der linke Geist, den sie ablehnen - denn der gefährdet Profite. Ganz anders als gesellschaftliche Liberalisierungen.

Die Linken, die man mit den anderen Linken verwechselt

Die Konservativen liegen nun nicht ganz falsch. Wie das mit Bauchgefühlen so ist, sind sie nicht immer bloß das Produkt einer völligen Fehleinschätzung. Natürlich gibt es in der Bevölkerung ein breites Interesse an arbeitnehmerfreundlichen Reformen. Die Menschen befürworten einen höheren Mindestlohn, mehr Personal in der Pflege und bei der Polizei oder eine existenzsichernde Gestaltung der Arbeitslosenversicherung. Wenn man diese an sich gewerkschaftliche Haltung großsprecherisch als linken Zeitgeist bezeichnen möchte: Nun dann bitteschön, dann stimmt es ja schon!

Dass aber ausgerechnet die Sozialdemokraten (gemeint sind die in der Linkspartei, bei der SPD sind sie gerade ausgegangen) nicht ans Ruder gelangen, dass sie nach wie vor eine Randnotiz in der merkelistischen Republik darstellen, ist dann doch verwunderlich. Sie sind schließlich diejenigen, die seit Jahren diese Themen forcieren - und die trotzdem nicht gewählt werden. Nur zwischen 3,7 und 5,1 Millionen von knapp 62 Millionen Wahlberechtigten setzten bei den letzten Bundestagswahlen ihr Kreuzchen bei den Linken.

2010 ergab eine Umfrage, dass 70 Prozent der Bundesbürger einen Mindestlohn befürworteten. Im Schnitt gaben sie an, dass der um die zehn Euro liegen müsse. Ein Jahr zuvor hatte die Linkspartei trotzdem keine großen Sprünge bei der Bundestagswahl gemacht. Potenzial war da, aber es verstrich. Der Konservatismus und seine ökonomische Marschroute gingen ungleich besser aus jeder Wahl hervor. Und das mitten in der "linken Revolution". Natürlich hat das Gründe.

Mehr zu diesem Thema in dem Buch "Rechts gewinnt, weil Links versagt", das am 1. März erscheint. Darin analysiert Roberto De Lapuente die Krise der Linken und fordert eine Rückbesinnung auf alte Stärken und einen neuen, ergebnisoffenen Diskurs mit allen Beteiligten.

Die Linken wählt man schließlich nicht. Kampagnen gegen eine Partei, die sich gegen neoliberale Politik und ihre Schockstrategien richtete, die deren Mitglieder aus Talkshows fernhielt und deren traditionelle Sozialstaatspolitik lächerlich machte, hielten die Wähler auf Abstand. Dazu kommt die speziell deutsche Geschichte, die Gleichsetzung der heutigen Linkspartei mit der SED und die Mauertoten, die man unter den neoliberalen Reformen als eine Art schlechtes Gewissen an all jene austeilte, die sich vielleicht vorstellen konnten, die Linkspartei doch zu wählen.

Das erklärt aber nur teilweise, warum ein Linksruck ausblieb. Ein weiterer Aspekt, weshalb man die Linken für keine Alternative hält, hat mit ihnen selbst zu tun. Weniger mit den Linken, die in der Partei dieses Namens auftreten, als mit denen, die zwar immer wieder im Umfeld der Partei zu finden sind, die aber an sich ein gewaltiges Problem mit ihr haben.

Wenn man in Deutschland an Linke denkt, kommen einem Krawalle wie in Hamburg 2017 oder in Frankfurt 2015 in den Sinn, freudlose Debatten, Humorlosigkeit, dazu Rechthaberei und eine Rabulistik, die im Leben normaler Bürger nun wirklich kaum Platz findet. Diese linke Avantgarde ist der Garant dafür, dass linke Politik keine Alternative zum Neofeudalismus und zum aktuellen Rechtsruck wird.