Sex-Grüße aus Moskau

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Russische Fantasie: Der Spionagethriller "Red Sparrow" erzählt von offener Angst und klammheimlicher Bewunderung durch die Amerikaner

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Eine junge Frau wird in eine Spezialeinheit des russischen Geheimdienstes gezwungen. Das ist die Handlung von "Red Sparrow", einer Verfilmung des auch auf Deutsch erschienenen Bestellers "Operation Red Sparrow" von Jason Matthews. Regie führt Francis Lawrence, der Regisseur dreier "Hunger Games"-Filme.

Auch "Red Sparrow" ist eine potentielle Franchise und zugleich ein sicherer Boden für die Star-Persona von Jennifer Lawrence. Die Nebenrollen des Films sind mit Charlotte Rampling und Jeremy Irons mit europäischen Stars besetzt, die solche Auftritte fast schon im Schlaf absolvieren.

Your body belongs to the state, you must learn to sacrifice for a higher purpose, and forget the sentimental morality in which you were raised

"Red Sparrow

Dominika Egorova ist eine erfolgreiche russische Primaballerina im Moskauer Bolschoi-Theater, als eine schwere Verletzung ihrer Ballett-Karriere ein Ende setzt: Denn nun endet auch das halbwegs geborgene Leben mit Krankenversicherung und Mittelklasse-Appartment.

Da die junge Frau auch noch für ihre schwerkranke Mutter sorgen muss, scheint ihr keine Wahl zu bleiben, und das "Vöglein mit gestutzten Flügeln" lässt sich, vermittelt von ihrem zwielichtigen Onkel Ivan (Matthias Schoenaerts), vom russischen Geheimdienst anheuern. Der sammelt besonders fähige Agenten in der Spezialeinheit namens "Red Sparrows" (Rote Spatzen) - es handelt sich um junge Leute mit besonderen Begabungen.

Zu denen gehört auch das Talent, "mit allen Waffen" zu kämpfen. Die Vergangenheit der Hauptfigur als Balletttänzerin bleibt daher für das Folgende wichtig, denn alle Klischees der Balletttänzerin übertragen sich nun im Nu auf die Figur: die Härte gegen sich selbst, die Schmerzunempfindlichkeit, die Disziplin.

Die erste knappe Hälfte des Films schildert nun vor allem die Ausbildung dieser Truppe. Vermischt werden hier Elemente aus dem Boarding-School-Genre und Bootcamp-Filmen. Charlotte Rampling fungiert dabei als eiskalte Ausbilderin in den Spuren anderer "russischer Agentinnen" Hollywoods.

From this day forward you become a Sparrow. You will be trained in psychological mamipulation. You must learn to push yourself beyond all limitation. When we are finished with you, the person you are, will no longer exist. Every human beeing is a puzzle of need. You must become the missing piece, and they will tell you anything.

Red Sparrows

Solche im englischen Original mit starkem russischem Akzent gesprochene Sätze der Britin Rampling sind in der Wirkung vor allem lustig. Sie lassen diese Figur wie ein Update von Lotte Lenyas "Rosa Klebb" aus "Liebesgrüße von Moskau" erscheinen, mit einem Hauch trockener Ironie à la "Ninotschka".

"Der Kalte Krieg ging nie zu Ende. Er ist zersplittert in kleine Einzelteile", erfahren wir da auch. Und tatsächlich belebt "Red Sparrow" die Geister des Kalten Krieges.

Die Ausbildung umfasst nicht nur klassische Gehirnwäsche, Training in psychologischer Manipulation des Gegenübers und im Aushalten von Foltermethoden.

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Auch der Einsatz sexuellen Verführungskunst gehört dazu - die Sparrows sind Huren und Femmes Fatales im Dienste des Staates. "You must inure yourself to what you find repellent" ("Du muss dich gegen das abhärten, was du abstoßend findest") - ein weiterer jener Maschinengewehrsätze aus Ramplings Mund.

All das wird fürs US-Kino ungewöhnlich explizit gezeigt und ausgebreitet: Hauptdarstellerin Jennifer Lawrence ist in "Red Sparrow" in sehr freizügigen Nacktszenen zu sehen, zudem erlebt die Figur eine Vergewaltigung und einen entsprechenden Versuch.

Auch Gewalt wird sehr offen und mit deutlich sadistisch-voyeuristischem Einschlag ins Bild gesetzt. Oft genug geht es gerade um genau diesen Zusammenhang von Sex und Gewalt. Dominika ist eine Expertin auf beiden Feldern, aber keines bereitet ihr auch nur ansatzweise Vergnügen.

Verzweiflung statt Hedonismus

Mit diesem Film hat das Spionage-Kino endgültig den Hedonismus vergessen, der einst zumindest die frühen James-Bond-Filme durchzog. Die Agentin Dominika ist eine Verzweifelte. Von dieser Verzweiflung bleibt immer etwas zu spüren in diesem Film, das unterscheidet die Figur von anderen Frauenfiguren, die in den letzten Jahren das Spionagekino höchst erfolgreich sozusagen "infiltriert" haben: ob "Salt" mit Angelina Jolie oder Charlize Theron als "Atomic Blonde". Deren Rollen-Gestaltung besteht nicht zuletzt aus dem Imitieren männlicher Figuren-Stereotype.

Regie führt Francis Lawrence, der Regisseur dreier "Hunger Games"-Filme. Jennifer Lawrence Karriere hatte zuletzt mit privaten Kabalen und dem künstlerisch-ökonomischen Doppel-Desaster von Darren Aronofskys "mother!" einen ersten heftigen Rückschlag erlitten.

Lawrence strahlt in diesem Film, sie ist in den allermeisten Szenen im Bild, zeigt ihre doppelten Fähigkeiten: Großes handwerkliches Können, das ihrem Auftritt erhebliche Bandbreite und immer neue Überraschungsmomente verleiht. Und jenes "spezielle Etwas", das Star-Charisma von "nur" großem Schauspiel unterscheidet. Ihre Präsenz hält den Zuschauer fest in der Hand.

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Zu den "Hunger Games"-Filmen gibt es deutliche strukturelle Ähnlichkeiten: In erster Linie schildert auch "Red Sparrow" einen Überlebenskampf einer jungen Frau in einer archaisch konstruierten Männerwelt, in der es früher oder später zu Kämpfen auf Leben und Tod kommt. Auch wenn hier vage das dem alten zum Verwechseln ähnliche "neue Russland" unserer Gegenwart gemeint ist, handelt es sich vor allem um die Phantasie einer postmodernen Diktatur.

Um nicht verwundbar zu sein, muss die Frau sich - in der Logik des Films - härten im Stahlbad einer Kampfausbildung und zugleich mit ihren weiblichen Reizen arbeiten. Sie muss das Spiel der Verführung wie das der Verstellung lernen. In der zweiten Hälfte werden ihre neu erlernten Talente dann im Praxistest erprobt: Sie muss einen CIA-Agenten (Joel Edgerton) kontaktieren.

Deren Begegnung - zuerst in einem öffentlichen Schwimmbad - wird zum Katz- und Maus-Spiel. Irgendwann heuert Dominika dann beim CIA an, doch lange darf man fragen, ob sie nicht doch für die andere Seite arbeitet, oder wo tatsächlich ihre persönliche versteckte Agenda liegt.

Zuvor aber muss ein Agentenspektakel im Stil eines konstruktivistischen Durcheinander inszeniert werden. Dabei wird eine amerikanische Verräterin außer Gefecht gesetzt, eine russische Agentin von den eigenen Leuten brutal zu Tode gefoltert - was mittelbar Dominikas Schuld ist.

Und nachdem Dominika dann eine Weile nach aufkommendem Verdacht schwerste Folterungen überstehen muss, ohne "zusammenzubrechen", kommt sie irgendwann dann umgekehrt in die Lage, den mit ihr bereits verbündeten CIA-Mann umgekehrt brutal foltern zu müssen - um sein Leben zu retten.

Aber muss sie das wirklich? Einer der Höhepunkte des Films - die brutale Kampfszene mit einem Russenkiller, der jene Folterszene vorausgeht - wirkt komplett unmotiviert. Jede Agentin, erst recht die eiskalte Domenika hätte zunächst den Killer endgültig außer Gefecht gesetzt, bevor sie den Geliebten befreit.