Demokratischer Rundfunk

Bild: Eremeev/CC BY-SA-4.0

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in der Schweiz wurde nicht abgeschafft, doch die Diskussion über die Öffentlich-Rechtlichen ist gerade in voller Fahrt. Eine Zwischenbilanz

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In der Schweiz fand die "No-Billag"-Initiative in der Volksabstimmung keine Mehrheit. Dass es in der Schweiz und auch in Deutschland eine so heftige, stark ideologische Diskussion gibt um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (oder zeitgemäßer: die öffentlich-rechtlichen Medien), liegt vor allem in der mangelnden Beteiligung der Bürger. Das Mediensystem ist nicht Ergebnis eines fortwährenden Diskurses, an dem sich alle mit echter Bedeutung beteiligen könnten, es ist das Resultat unzähliger politischer (=gesetzlicher) Bestimmungen und des ökonomischen Kräftespiels.

Angenommen, es gäbe bisher in Deutschland keine ARD, kein ZDF, kein Deutschlandradio mit allem, was dazugehört: Ist es vorstellbar, dass jemand das heutige System vorschlagen würde und dass es dafür auch noch die notwendige mehrheitliche Zustimmung gäbe? Natürlich nicht.

Auf einem freien Spielfeld würde sich auch niemand ein so kompliziertes Gesundheitssystem ausdenken, wie wir es in Deutschland haben, und so ist es mit allen gewachsenen Strukturen, die sich jeweils historisch sehr genau nachzeichnen lassen, die aber aus heutiger Sicht niemals erneut so konzipiert würden. Deshalb gibt es niemals endende Reformen, ein Herumdoktern an vorhandenen Systemen, jeweils stark geprägt von etwas, das es auf einer Tabula rasa noch gar nicht gibt: den Eigeninteressen der bereits geschaffenen Institutionen.

In jeder öffentlichen Diskussion um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk spielen daher dessen Medien und ihre Mitarbeiter, die gewachsenen Beziehungsgeflechte und viele, viele damit verbundene Einzelinteressen eine große Rolle. Und die entsprechenden Gegenpositionen, hier also u.a. von privatwirtschaftlichen Interessengruppen, aber auch von politischen Lobbyisten, kontrastieren dies noch. Auch deshalb haben private Unterhaltungen oft so wenig mit den medial vermittelten gemeinsam, wirken auf Mediennutzer die öffentlichen Diskussionen oft realitätsfern.

Die Schweizer Kritik an den öffentlich-rechtlichen Medien hat nur deshalb auch in Deutschland relativ viel Beachtung gefunden, weil in diesem Land tatsächlich eine Bürgerentscheidung anstand. Was in Deutschland rein formal gar nicht möglich ist, stand in der Schweiz zur Abstimmung: die Abschaffung der Bezahlpflicht für ein bestimmtes Medienangebot.

Dass mit dem Nein zum radikalen Systemwandel die Sache nicht vom Tisch ist, wusste man in der Schweiz wie den interessiert zuschauenden Nachbarstaaten schon vor der Entscheidung. Denn so sehr die Schweiz auch immer als das europäische Musterland für direkte Demokratie gilt: Letztlich beschränkt sich auch dort die Entscheidungsbefugnis der Bürger auf Zustimmung oder Ablehnung einer fertigen Gesetzesvorlage. Wie bei Parlamentswahlen (Wählen ist kein Synonym für Demokratie) bei denen man sich für eine Partei oder einen Kandidaten entscheiden muss, bietet die Volksabstimmung auch nur die Wahl zwischen einem größeren und einem kleineren Übel - mehr Differenzierung, ja gar eigene Ideen einzubringen, ist nicht vorgesehen.

Die öffentlich-rechtlichen Medien müssen demokratisiert werden

Ohne das Abstimmungsergebnis interpretieren zu wollen: Gerade in der Schweiz mit ihren vier Landessprachen gab es viele Gründe, der "No Billag"-Vorlage nicht zuzustimmen. Veränderungen wird es gleichwohl gerade wegen dieser gescheiterten Initiative geben.

In Deutschland erscheint der Streit um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk dagegen viel festgefahrener. Hier geht es schon nicht weiter, wenn ein Kritiker von "Zwangsgebühren" spricht, obwohl es dieses Wort im Rundfunkbeitragsstaatsvertrag natürlich nicht gibt. Die Fragen nach Sinn und Bedeutsamkeit einzelner Sendungen werden bis heute mit Verweis auf Urteile des Bundesverfassungsgerichts aus den 1980er Jahren gekontert, wie auf der anderen Seite völlig ungeachtet jeder Realität Journalismus von ARD, ZDF und Deutschlandradio als "Staatsfunk" diffamiert wird.

Aus der aktuellen Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk am Beispiel der Schweiz lassen sich auch für Deutschland einige Schlüsse ziehen:

1. Die öffentlich-rechtlichen Medien müssen demokratisiert werden. Das alte Modell, die Bevölkerung über einzelne Lobbygruppen als vertreten zu deklarieren, war nie überzeugend und ist heute absolut nicht mehr tragfähig. Der Begriff "Elitenherrschaft" würde den Protagonisten vermutlich noch schmeicheln, demokratisch wäre auch dieser nicht. Vertreter von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden, Kirchen, Naturschutzverbänden etc. stehen einzig und allein für ihre Organisationen, aber nicht für die Bevölkerung.

Es war bezeichnend, dass der Vorschlag, eine basisdemokratische Bürgervertretung in den Rundfunkgremien zu installieren, von den Gremienmitgliedern kommentarlos weggesessen wurde. Es besteht ja keine echte Gefahr, dass Bürger Einfluss auf den gebührenfinanzierten Rundfunk nehmen könnten.

Man mag sich andere Partizipationsmodelle ausdenken. Aber dass die heutige Zusammensetzung der Rundfunk- und Medienräte auch nur im Ansatz die Vielfalt der zahlungspflichtigen Bevölkerung widerspiegeln würde, wird niemand belegen können.

2. Der Programmauftrag muss neu bestimmt werden. Medienlandschaft und Mediennutzung haben sich viel zu sehr verändert, als dass jahrzehntealte Begründungen noch überzeugen könnten. Was dann alles dazugehören mag und was nicht, darf hier offen bleiben.

3. Der sprachliche Gegensatz von öffentlich-rechtlichen vs. kommerziellen Medien war schon immer unzutreffend und sollte aus der Diskussion verschwinden. In beiden Systemen arbeiten Menschen, um Geld zu verdienen, also kommerziell. Ob da ganz oben noch jemand steht, der die Überschüsse als privater Besitzer oder Aktionär oder sonstiger Anteilseigner einsammelt oder nicht, ist dagegen völlig unbedeutend. Einen großen Unterschied gibt es nur in den Finanzierungsmodellen (Pflichtgebühr vs. Werbung und Abo) - aber beide sind kommerziell.

4. Dass sich nicht alles, was gesellschaftlich gewünscht ist, marktwirtschaftlich behaupten kann, ist eine alte Weisheit. Content und Distribution sind zwei verschiedene Dinge, die nicht in einer Hand liegen müssen. Die öffentlich-rechtlichen Sender kaufen schon lange Produktionen privater Firmen ein, im Unterhaltungs- wie im Informationsbereich. Und nicht nur fürs Fernsehen ist vieles unrentabel (womit die Notwendigkeit öffentlich-rechtlicher Angebote begründet wird): Wer sich Lokalzeitungen anschaut, wird auch dort eklatante Lücken sehen (und die schließt bisher kein öffentlich-rechtlicher Sender).

Wenn es endlich einmal eine ergebnisoffene Diskussion darüber gäbe, was heute "Grundversorgung" bedeuten sollte und wie sie zu gewährleisten wäre, würde am Ende der öffentlich-rechtliche Rundfunk sicherlich nicht abgeschafft - aber gehörig umgebaut.