"Festival der Demokratie": Die Ausschreitungen rund um den Hamburger G20-Gipfel

Screenshot aus dem Trailer "Festival der Demokratie"

"Wenn man nicht hingegangen wäre, wäre das eine Bankrotterklärung gewesen" Gespräch mit den Filmemachern Lars Kollros und Alexandra Zaitseva

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Der Journalist Lars Kollros und die Künstlerin Alexandra Zaitseva legen mit Festival der Demokratie einen Film vor, der die Ausschreitungen rund um den Hamburger G20 Gipfel im Jahr 2017 in teils dramatischen Aufnahmen bebildert und die juristischen und politischen Folgen mittels Interviews aufarbeitet.

Wie geht es eigentlich Hartmut Dudde?

Lars Kollros: Das ist eine gute Frage, der ist wieder abgetaucht in seinen Polizeiapparat. Man hört von ihm nicht viel, außer was man von allen Hamburger Verantwortlichen hört, dass sie alles richtig gemacht haben und dass es keine Polizeigewalt beim G20-Gipfel gegeben habe.

Wegen der Person Hartmut Duddes haben wir uns während der Arbeit an dem Film rechtsanwaltlichen Rat eingeholt. Im Film wird er "ein bekannter Rechtsverletzer genannt" und man sagte uns, es gäbe Urteile, die dies belegen und wir können ihn auch so nennen. Nur sei er im Grunde kein "bekannter" Rechtsverletzer, sondern ein "bekennender", der offen zugibt, wenn er etwas für richtig hielte, dann mache er das auch so.

Letztlich war Hartmut Dudde beim ganzen G20-Gipfel die am wenigsten überraschende Person. Überraschend war nur seine Auswahl.

Zu einem Interview für den Film war er wohl nicht bereit?

Lars Kollros: An einzelne Personen aus dem Polizeiapparat kommt man für Statements kaum heran und im Moment sowieso nicht. Einzig der Polizeisprecher Timo Zill wäre dazu bereit und der sagt immer das Gleiche. Weil der von den Springer-Medien genügend Sendezeit erhält, wollten wir unseren Film nicht dafür verschwenden.

Mit welcher Erwartung ist Ihr Team zum G20 Gipfel gereist? Sicherlich haben Sie nicht geglaubt, ein "Festival der Demokratie" zu erleben.

Alexandra Zaitseva: Bei mir war es so, dass ich da hineingezogen wurde. Lars rief mich an und beschrieb mir die Vorgänge und ich wusste, ich muss dahinfahren. Da passieren Dinge, die unglaublich sind. Ich stieg sogleich in den Nachtzug und war dann am Morgen in Hamburg. Bei der Ankunft drückte Lars mir die Kamera in die Hand und sagte: "Die beschützt Dich jetzt."

Als er mir dann noch einen Kopfschutz aufgesetzt hat, habe ich das alles belächelt und habe nicht gedacht dass etwas passieren würde. Dann kam ich zur härtesten Demo: "Welcome to Hell" und da hat sich plötzlich alles umgedreht. Mein ganzes Weltbild hat angefangen zu wackeln. Es war ein sehr traumatisches Erlebnis ... für alle die da waren.

Insbesondere die Situation vor der Flutschutzmauer?

Alexandra Zaitseva: Genau, am Fischmarkt.

Stimmt es, dass eine große, professionelle Kamera schützt?

Alexandra Zaitseva: Ja, auf jeden Fall.

Lars Kollros: Ich war manchmal näher dran, weil ich etwas frecher war, und ich wurde regelmäßig von der Polizei abgedrängt und auch manchmal fast über den Haufen gerannt. Das waren aber mehr Unfälle, weil sie mich zu spät gesehen hatten.

Aber ganz klar, wir waren als Presse maximal geschützt durch die sehr großen Kameras. Ich habe von Kollegen anderes gehört. Auch dass sie angegriffen wurden. Die Fotojournalisten waren einfach weniger geschützt, weil heute jeder Spiegelreflexkameras hat und die nicht mehr auffallen.

Und die schreibenden Kollegen wurden gar nicht ernst genommen. Einer vom Independent hat gesagt, es sei krasser als Kriegsberichterstattung gewesen, weil es unberechenbarer war. Die Reaktion der Polizei war vollkommen unvorhersehbar.

Alexandra Zaitseva: Außerdem waren wir immer zu zweit.

Lars Kollros: Ja, so hatte die eine Person immer die andere mit im Auge und durch die zwei Kameras konnten wir uns gegenseitig dokumentieren. Gedreht hat sich die Situation für uns erst am Samstagabend, den 8. Juli, wo auch wir als Presse mehrmals bedroht worden sind.

Sie sind mit Maschinenpistolen durch die Gegend gelaufen

Das war dann im Schanzenviertel?

Lars Kollros: Ja. Die großen Ausschreitungen auf der Schanze waren ja Freitag. Und Samstagabend sind wir nochmals da durchgegangen und das war zunächst ein gemütliches Straßenfest. Eine Viertelstunde später wurde dann die Schanze von der Polizei leergeräumt. Die sind sehr, sehr aggressiv vorgegangen.

Sie sind mit Maschinenpistolen durch die Gegend gelaufen. Wir wurden bedroht mit Aussagen, wie: "Wenn Sie jetzt das Kameralicht nicht ausschalten, dann verhafte ich Sie wegen Körperverletzung." Bis zu diesem Zeitpunkt war man mit der Kamera durchaus geschützt und ich stand Freitag bei den Ausschreitungen ja mittendrin zwischen Wasserwerfern und Steinewerfern.

Können Sie mutmaßen worauf diese von Ihnen so erlebte unberechenbare Aggressivität der Polizei beruhte? Waren das persönliche Impulse einzelner Beamter oder gab es andere Gründe? Im Film liefert Thomas Wüppesahl von der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten die Interpretation, es sei ein irrationaler Frust gewesen, weil man den reibungslosen Ablauf von G20 nicht hinbekommen hatte und der dann zur Taktik führte, die Demonstrationen sich aufschaukeln zu lassen. Dabei war der Rahmenbefehl Hartmut Duddes eindeutig gewesen: Bei kleinsten Anlässen einschreiten! Wenn dies auf der Schanze unterbleibt, dann ist dies Willkür.

Alexandra Zaitseva: Für mich persönlich war schockierend, und ich habe es zunächst nicht glauben können, dass da bei einigen Polizisten so viel persönliche Aggression zu spüren ist. Es war ein Gefühl, da sind zwei Gruppen, die Autonomen beziehungsweise die Demonstrierenden auf der einen Seite und die Polizei auf der anderen. Und die wollen aufeinander losgehen.

Da waren teilweise Männer, die haben sich irgendwie zwischen die Beine gegriffen, kurz bevor sie losgerannt sind. Wenn man da als Frau dabeisteht, dann … Also, ich habe sehr lange eine Szene gefilmt, wo eine Gruppe von Polizisten sich vor uns aufgebaut hat. Ich habe dann lange auf einen Polizisten fokussiert und das hat ihn wohl genervt.

Er hat mich dann sehr bösartig angeschaut und eine Blume, die in einem Kübel in seiner Nähe stand, abgebrochen. Das habe ich intensiv gespürt: Die sind nicht hier, um zu schützen oder Rechtswidrigkeiten zu verhindern, es geht um etwas anderes ... und ich habe dann gemerkt, dass ich Angst habe.

Lars Kollros: Seltsamerweise gab es bei der "Welcome to Hell"-Demo ja so gut wie keine Verhaftungen, obwohl dies möglich gewesen wäre. Die Demonstration war friedlich, sie wurde gestoppt und von der Polizei angegriffen. Dafür gibt es zahlreiche übereinstimmende Aussagen. Das findet sich auch in den Einschätzungen des NDR und der parlamentarischen Beobachter.

Man sollte bedenken, die Polizei war seit einem Monat mit großem Aufgebot in der Stadt. Die Beamten waren also seit langem in irgendwelchen beschissenen Kasernen und aus diesem Überstundenschieben entstand sicherlich auch ein gewisser Frust. 14 Tage vor "Welcome to Hell" mussten ja eine Berliner Einsatzhundertschaft nach Hause geschickt werden.

Wegen Striptease mit gezogener Waffe und Live-Sex in der Kaserne?

Lars Kollros: Genau. Da gab es diese unglaublichen Vorfälle und das zeigt, hier hat sich einfach viel Frust angestaut. Bei einigen Einzelpersonen - selbstverständlich nicht bei allen - hatte man den Eindruck, die wollen jetzt mal draufhauen.