Risiko von geringer Bleibelastung wird unterschätzt

Immerhin hat die Digitalisierung zum Verschwinden der Bleilettern geführt. Bild: Willi Heidelbach/CC By-SA-3.0

Nach einer Studie sollen jährlich mehr als 10 Prozent aller vorzeitigen Todesfälle mit leicht erhöhten Bleiwerten verbunden sein, die das Risiko auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen verdoppeln können

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Die letzte Zeit beherrschten die von Autoabgasen verursachten Risiken für die Gesundheit die Öffentlichkeit. Insbesondere stand der Dieselmotor mit den Stickstoffoxid-Emissionen im Fokus. An diesen sterben in Deutschland nach dem Umweltbundesamt vorzeitig 6000 Menschen, nach dem Verein Deutsche Umwelthilfe (DUH) 12.860. Umstritten ist, inwiefern relativ niedrige Werte tatsächlich kausal für Sterbefälle verantwortlich sind. Durch eine Studie über die Folgen auch geringer Bleibelastung, die bislang als unbedenklich galt, wird nun der Blick auf eine weitere Gefährdung gerichtet. Mittlerweile ist aber auch hier der Straßenverkehr zur Hauptbelastung geworden. Nach dem Umweltbundesamt ist der Straßenverkehr "die größte Emissionsquelle, da Blei durch den Abrieb von Bremsen und Reifen in die Luft emittiert wird". Dagegen würden auch e-Autos nur bedingt etwas helfen.

Wissenschaftler haben in den USA mit einer repräsentativen Stichprobe von 14.300 Menschen im Alter von über 20 Jahren in einer Langzeitstudie über 20 Jahre verfolgt und kommen daraus auf den Schluss, dass jährlich 256.000 vorzeitige Todesfälle von Amerikanern im Alter von über 44 Jahren, durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, darunter 185.000 Todesfälle durch Koronare Herzkrankheiten, verbunden mit Bleibelastung sind. Die Teilnehmer an der Langzeitstudie wurden medizinisch untersucht, erfasst wurden die Bleikonzentration im Blut, die Cadmiumbelastung im Urin und andere Faktoren. Die Todesfälle wurden über den National Death Index erfasst. Im Laufe der 20 Jahre starben 4422 Menschen, 1801 (38 Prozent) an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und 988 (22 Prozent) an Koronaren Herzerkrankungen.

Schon eine geringe Belastung mit 1-4 Mikrogramm Blei in einem Deziliter Blut erhöht die Wahrscheinlichkeit für einen frühzeitigen Tod, vor allem durch Herz-Kreislauferkrankungen, schreiben die Wissenschaftler in der Zeitschrift The Lancet Public Health. Aussetzung an Blei ist verbunden erhöhtem Blutdruck, Verhärtung der Arterien und Koronarer Herzkrankheit. Durchschnittlich lag die Bleikonzentration bei 2,7 Mikrogramm pro Deziliter Blut, bei 10 Prozent lag sie unter 1, die höchsten Werte waren 56 Mikrogramm pro Deziliter Blut.

Ein Anstieg der Bleikonzentration um ein Mikrogramm auf 5 bis 7 Mikrogramm erhöhte die Mortalitätswahrscheinlichkeit gegenüber der Gruppe, bei der die Konzentration unter einem Mikrogramm lag, um den Faktor 1,37 (d.h. sie haben eine 37 Prozent erhöhtes Risiko für einen vorzeitigen Tod), für einen Todesfall durch Herz-Kreislauferkrankungen um 1,70 und durch eine Koronare Erkrankung sogar um mehr als 2, was eine Verdoppelung des Risikos bedeutet. 18 Prozent der Menschen in der Stichprobe wiesen solche Bleikonzentrationen in ihrem Blut auf, was, auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet, zu den 256.000 vorzeitigen Todesfällen durch Bleibelastung führt. Insgesamt hängen nach den Wissenschaftlern um die 400.000 Todesfälle von 2,3 Millionen mit der Aussetzung an Blei zusammen, zehn Mal mehr als bislang angenommen.

Fatal ist, dass die Bleibelastung des Körpers nicht nur durch Lebensmittel, Industrieemissionen oder Verschmutzung durch Bleischmelzen, Bleibatterien oder Munition verursacht wird, sondern auch von der schon länger beendeten Verwendung von Blei in Treibstoffen, Farben oder Rohren. Die Aussetzung an Blei ist heute zwar aufgrund von Verboten deutlich geringer als früher, weswegen jüngere Menschen weniger gefährdet sein dürften, aber dem Risiko entkommen sie auch nicht, schließlich ist die Bleibelastung heute zehn bis hundert Mal höher als in vorindustriellen Zeiten.

Allerdings ist die Bleibelastung nicht nur bei älteren Menschen höher, sondern auch bei denen, die eine geringere Ausbildung haben, bei Männern, Rauchern, Trinkern von Alkohol, bei Menschen, die sich weniger gesund ernähren, höhere Cholesterinwerte, Bluthochdruck oder Diabetes haben.

Die Schwäche der Studie ist, dass die Bleiwerte im Blut nur zu Beginn einmal gemessen wurden. Sie können sich im Laufe der 20 Jahre verändert haben. Zwar wurden verschiedene Faktoren wie Alter, Geschlecht, Haushaltseinkommen, Bildung, BMI, Rauchen, körperliche Aktivität etc. einbezogen, nicht aber andere Umweltfaktoren, die wie Luftverschmutzung oder Arsenbelastung ebenfalls das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen.

Gleichwohl gehen die Wissenschaftler davon aus, dass die Gesundheitsrisiken von auch geringen Bleibelastungen bislang deutlich unterschätzt wurden. "Unsere Studie stellt die Annahme in Frage", so Professor Bruce Lanphear von der kanadischen Simon Fraser University, "dass bestimmte Giftstoffe wie Blei 'sichere Werte' haben. Sie legt nahe, dass geringe Bleiaussetzung in der Umwelt ein führender Risikofaktor für vorzeitigen Tod in den USA vorwiegend durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist." Um das Risiko zu mindern, müsste Blei in älteren Häusern entfernt, Bleirohre ausgewechselt, bleihaltiger Treibstoff für Flugzeuge verboten und Emissionen von Bleischmelzen und Batteriefabriken reduziert werden.