Grellbunte Tristesse

Bild: © PROKINO Filmverleih

Sean Bakers "The Florida Project" blickt auf den vergessenen Rand der amerikanischen Gesellschaft

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Ein Regenbogen erstrahlt über Futureland. Das grelle Lila des Gebäudeblocks wird eingehüllt von Regenwolken und Sonnenschein, deren Zusammentreffen das Farbspiel an den Himmel zaubert. Ein buntes Paradies für Moonee (Brooklynn Price), Dicky (Aiden Malik) und Jancey (Valeria Cotto), die sich sogleich aufmachen, den Topf voll Gold zu finden, der am Ende des Regenbogens warten soll.

Die lilafarbene Welt der Kinder ist in Wahrheit ein Motel - schäbig, kaum besucht, eingekreist von Highways. Eine Absteige für all jene, die Amerikas Gesellschaft längst vergessen hat. Nur die mit kleinen Betrügereien verdiente Miete und das tägliche gratis Fastfood, das die Nachbarin Ashley (Mela Murder) von der Arbeit mitbringt, trennen Moonee und ihre Mutter Halley (gespielt von der großartigen Debütantin Bria Vinaite) von dem schwarzen Abgrund, der sich immer wieder im knallbunten Futureland auftut.

Das Spiel mit der Armut

Diese prekären Lebensverhältnisse dienen Regisseur Sean Baker jedoch nicht als Ausgangspunkt einer wütenden Anklage. Vielmehr bezieht "The Florida Project" menschliche Energie aus der Konzentration auf die Perspektive derer, für die ihre eigene Armut noch kein Begriff ist. Denn für die Kinder ist der schäbige Apartmentblock mit seinen von spärlichem Grün umgebenen Asphaltinseln vor allem ein perfekter Abenteuerspielplatz.

Zusammen steigen sie auf das oberste Stockwerk des Gebäudes, um von dort ein Wettspucken auf die unten geparkten Autos zu veranstalten, schnorren sich eine Gratiswaffel an der nahegelegenen Softeisbude oder ärgern die Motelgäste am Pool. Sie entscheiden, was in Futureland gespielt wird. Den Film nehmen sie dazu einfach bei der Hand und schleifen ihn durch die grellbunte Tristesse Orlandos.

Grellbunte Tristesse (14 Bilder)

Bild: © PROKINO Filmverleih

Alexis Zabes Kamera geht jede Bewegung der Kinder nach deren Spielregeln mit. In einer Szene jagt sie ihnen atemlos und verwackelt hinterher, um in der nächsten ihrem Gänsemarsch zum Fastfood-Laden mit einer ruhigen, perfekt zentrierten Kamerafahrt zu folgen.

Wenn das Chaos, das die Kinder verursachen, sich schließlich vollends entfaltet hat, wartet die Kamera auf den gutmütigen Hausverwalter Bobby (Willem Dafoe), der, weil es eben kein anderer tut, den Kindern mit dem Kehrblech hinterher räumt und die Scherben auffegt, die sie immer wieder hinterlassen.

Im Wechselspiel der Perspektiven von Kindern und Hausmeister erzählt Baker vom gesellschaftlichen Rand Amerikas. Das omnipräsente Lila der Anlage wird diesmal nicht mit dem überstrahlten Digitallook eines iPhones eingefangen, das in Bakers vorigem Film "Tangerine L.A." noch die Randwelten von Los Angeles abbildete, sondern mit der farblichen Bandbreite des 35mm-Films.

Im üppigen Farbspektrum erleuchten die schäbigen Motelanlagen genau so prächtig wie der tatsächliche Traumspielplatz Amerikas, der nur wenige hundert Meter entfernt liegt: Disney World. Für die Bewohner von Futureland ein Paradies außer Reichweite, weiter entfernt als das Ende eines Regenbogens.