"Russland wirklich weh tun"

Sanktionen gegen Putin-Freund Schröder? Der frühere Bundeskanzler mit dem russischen Präsidenten auf einem Foto von 2005. Bild: Dmitry Avdeev / CC BY-SA 3.0

Über eine grassierende Geschichtsvergessenheit bei der Debatte über Russland in Deutschland

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

"Jetzt reicht es aber. Verlassen Sie den Donbaz", herrschte der CDU-Politiker Elmar Brok seinen Diskussionspartner Dmitri Tultschinski an. Der ehemalige Leiter des russischen Senders Rossiya Sevodnya in Berlin sollte mit Brok und der Direktorin des Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien, Gwendolyn Sasse, im Deutschlandradio die Frage "Steht Putins Russland zu Recht am Pranger?" diskutieren.

Am Pranger stand aber schnell der "Putinversteher" Tultschinski, dem zwei Diskussionspartner gegenüberstanden, die den sogenannten Westen vertraten, die in Russland die Gefahr sehen, die gestoppt werden muss. Dass Brok da manchmal eher wie ein General wirkte, der gegen die Russen den Krieg doch noch gewinnen will, war eine besonders unangenehme Begleiterscheinung. Die wird aber kaum noch diskutiert. Die deutschen Verbrechen an Bürgern der Sowjetunion und Russlands werden heute nicht mehr erwähnt.

Die vielgerühmte deutsche Geschichtsaufarbeitung

In der vielgerühmten deutschen Gedenkpolitik ist für sie kein Platz. So war auch der 75 Jahrestag der Schlacht von Stalingrad, dem Anfang vom Ende des Naziregimes in Deutschland "kaum ein Thema". "Deutschland verzichtet auf Gedenken", lautete eine bezeichnende Überschrift.

Gegenüber Russland hat sich der selbsternannte Gedenkmeister Deutschland nie große Mühe gegeben. Im Kalten Krieg hat man die Propaganda gegen Russland nur wenig retuschiert einfach fortgesetzt. In der Zeit der Entspannungspolitik hat man sich vor allem auf ökonomische Kooperation konzentriert. Doch in dieser Zeit kümmerten sich zivilgesellschaftliche Initiativen auch um das Gedenken an den sowjetischen Opfern, die im deutschen Sprachgebrauch doch nur "die Russen" blieben.

Exemplarisch sei nur an den Arbeitskreis Blumen für Stukenbrock in Ostwestfalen erinnert, der dort seit 50 Jahren an die Verbrechen an den sowjetischen Kriegsgefangenen erinnert. Der Arbeitskreis hatte nie die offizielle Anerkennung, Mitarbeiter wurden im Gegenteil in die linke Ecke gestellt und bespitzelt.

Doch haben solche Initiativen manchmal auch in Westdeutschland zu einem Bewusstsein vor allem bei jüngeren Menschen beigetragen, dass Deutschland das letzte Land ist, das der Sowjetunion, respektive Russland, Lektionen in Geschichte erteilen sollte.

Stalingrad nie verziehen?

Doch davon ist heute wenig geblieben. Im Gegenteil man hat nicht nur bei Elmar Brok den Eindruck, dass die Deutschen "den Russen" Stalingrad nie verziehen haben. Das drückt sich schon in der Sprache aus. Wenn der Ko-Vorsitzende der Grünen Robert Habeck einen Stop des Gaspipeline-Projekts Nord Stream fordert, muss er hinzusetzen: "Das ist einer der wenigen Punkte, die Russland wirklich weh tun."

Dass noch einige russische Menschen leben, denen Deutschland wirklich weh getan hat, wird Habeck dabei wohl ebenso wenig bedacht haben, wie die vielen anderen, die in diesen Tagen ganz kreativ dabei sind, sich weitere Sanktionen gegen Russland auszudenken. Eher humoristisch war hingegen die vom ukrainischen Außenminister angezettelte Debatte, auch den ehemaligen SPD-Bundeskanzler und heutigen Gazprom-Lobbyisten Gerhard Schröder mit Sanktionen zu belegen.

Keine schlechte Idee, den Erfinder der Agenda 2010, die für Zigtausende einkommensarme Menschen Sanktionen brachte, auch etwas zu sanktionieren. Gründe gäbe es also genug.