Unverfrorene Propaganda: Der saubere Krieg der Türken

Mit einer Drohne gefilmtes Video vom 18. März, das nach Daily Sabah demonstriert, dass Afrin nicht wie Raqqa oder Mosul zerstört wurde. Bild: Screenshot von AA-Video

Türkische Regierung will das gesamte Rojava "säubern", der Nato-Staat produziert übelste Fake News

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Wer Berichte von türkischen Nachrichtenagenturen oder den noch nach der Säuberung verbliebenen türkischen Medien verfolgt, hat erfahren, wie es ist, wenn eine Propagandamaschine versucht, die Menschen von einem nationalistischen, aggressiven und menschenverachtenden Weltbild, das nur gut und böse kennt, zu überzeugen.

Das Nato-Mitgliedsland stellt sich nicht nur als segensreich gegenüber der syrischen Regierung und Moskau dar, was Ost-Ghouta betrifft, sondern seit langem auch gegenüber Washington, wo man schon die Kurden in Afrin fallen ließ und sich offensichtlich auch weitere Vorstöße in Manbidsch und im Nordirak fügen wird, um die Türkei nicht an Russland zu verlieren. Die amerikanischen Bodentruppen, die SDF, haben allerdings den Kampf gegen den IS wegen Afrin eingestellt.

Der türkische Präsident kündigte gestern bereits an, Afrin sei nur ein Komma gewesen, man werde bald einen Punkt setzen. So sind türkische Truppen bereits in den Nordirak eingedrungen, um in Sindschar gegen die PKK vorzugehen. Überdies sagte Erdogan: Jetzt werden wir diesen Prozess fortsetzen, bis wir diesen Korridor vollständig eliminiert haben, wozu Manbidsch, Ayn al-Arab (Kobane), Tel Ayad, Ras al-Ayn und Qamimishli gehören". Das bedeutet, Erdogan will auf der gesamten Länge des syrischen Grenzgebiets zur Türkei die Kurden vertreiben und die Region unter Kontrolle zu stellen. Scheinheilig behauptete er, man unternehme keine Invasion Syriens, sondern führe nur "militärische Operationen" gegen Terroristen und Terrorbedrohungen durch. Auch der stellvertretende Ministerpräsident Bekir Bozdag erklärte, die türkischen Truppen würden nicht auf Dauer bleiben, sondern das Land den "rechtmäßigen Besitzern" zurückgeben, nachdem am Sonntag noch Erdogans Sprecher eben noch erklärt hatte, man werde Afrin nicht Damaskus übergeben.

Nach Darstellung der türkischen Regierung bringen die Soldaten und Milizenkämpfer, die man ungehindert in Afrin plündern und Zivilisten jagen ließ, Frieden und Sicherheit. Das will man nicht nur gegenüber den syrischen Truppen und ihren Milizen zur Geltung bringen, sondern gegenüber den Amerikanern und ihren Milizen, also den kurdischen SDF-Verbänden.

Wie man nach türkischer Darstellung anders als die Amerikaner Städte erobert

So will man nun auf türkische Weise Afrin erobert haben. Wie immer in der von türkischen Medien nachgeplapperten Propagandablase werden von Artilleriebeschuss und Bomben ausschließlich Terroristen getroffen, man nimmt "die größtmögliche Rücksicht" auf Zivilisten, getötet werden solche höchstens von den "YPG-PKK-Terroristen", wobei man mit islamistischen Kämpfern angeblich Afrin nicht von YPG/PKK, sondern auch vom IS "befreit" haben will. Und das habe man so gemacht, dass "Zivilisten und Gebäude unbeschädigt" geblieben seien. Als Beweis soll ein Video dienen, dass mit einer Drohne gemacht wurde.

Verschwiegen wird in dem von der staatlichen Nachrichtenagentur und dem AKP-Organ Daily Sabah veröffentlichten Bericht nicht nur, dass nach den Bombardierung der letzten Woche und zahlreichen zivilen Opfern, u.a. wurde auch ein Krankenhaus getroffen, die YPG mitsamt Hunderttausenden von Zivilisten die Stadt bereits verlassen haben, um sich vor den "Befreiern" in Sicherheit zu bringen. Daher haben die Truppen und die ihnen vorangehenden Milizen eine weitgehend leere Stadt eingenommen, in der die Sicherheit und der Frieden durch exzessive Plünderungen demonstriert wurde.

Die türkischen Propagandamedien vergleichen diese "Eroberung" mit der Einnahme von Mosul und Raqqa, wo die Amerikaner mit irakischen Soldaten und schiitischen Milizen bzw. mit den kurdischen SDF zusammenarbeiteten und vor allem Luftunterstützung boten. Im Unterschied zu Afrin, wo die kurdischen Kämpfer, um ein Massaker wie in Mosul und Raqqa zu vermeiden, sich mit der Bevölkerung aus der Stadt zurückzogen, verschanzten sich viele IS-Kämpfer lange in den durch Drohnen- und Flugzeugangriffe sowie durch Sprengbomben und Selbstmordanschläge immer weiter in Schutt und Asche zerfallenden Städten.

So schreiben die türkischen Medien: "In der von den USA unterstützten Operation auf das syrische Raqqa wurden mehr als 2000 Zivilisten getötet und das Stadtzentrum wurde in Ruinen verwandelt, als die von den USA gestützten Streitkräfte, vor allem YPG/PKK-Milizen, das Gebiet vom IS säuberten." Ganz Raqqa sei eine Ruine, wie ein Video vom Oktober 2017 zeige. 90 Prozent der Häuser seien zerstört, Hunderttausende von Zivilisten seien vertrieben worden. "YPG/PKK-Terroristen" hätten nach der Einnahme die Stadt geplündert und rückkehrende Flüchtlinge nicht in die Stadt gelassen.

Richtig ist, dass die Verwüstung durch Luftangriffe durch die Amerikaner bei weitem nicht die Aufmerksamkeit und die Ablehnung gefunden hat, wie dies jetzt bei den syrisch-russischen Angriffe auf Aleppo und jetzt auf Ost-Ghouta der Fall war. Es wird mit zweierlei Maß gemessen, in dem einen Fall sind die Terroristen der einen die Rebellen der anderen, in dem einen Fall werden Zivilisten als Geiseln genommen, im anderen brutal bombardiert, in dem einen werden nur Terroristen getroffen, im anderen nur Zivilisten. Beide Seiten nehmen und nahmen die Zerstörung der Städte und den Tod von Zivilisten in Kauf.

Das haben auch die Türken gemacht, die Städte mit Artillerie beschossen und aus der Luft bombardierten. Verkauft werden soll aber die Invasion von Afrin als humanitäre Maßnahme. Die türkischen Truppen und die "Freie Syrische Armee", so heißt es gebetsmühlenhaft, hätten "maximale Rücksicht auf die Sicherheit der Zivilisten seit Beginn der Operation Olivenzweig" genommen. Als Beweis wird ein Video von Drohnen der türkischen Armee veröffentlicht, das zeigen soll, dass die Gebäude in der Innenstadt von Afrin nicht beschädigt wurden, dass wieder normales Leben herrscht und Zivilisten auf den Straßen zu sehen sind.

Die Bilder von Afrin sind selektiv, tatsächlich wurde die Stadt nur in einem geringeren Maße zerstört, massive Angriffe verhinderte die YPG, indem sie sich mit den Bewohnern zurückzog. Man sieht einige Autos herumfahren und einige Personen herumgehen, es lässt sich aber aus dem Video nicht sagen, ob es sich um Kämpfer und von diesen benutzte oder gestohlene Fahrzeuge handelt. Besonders hervorsticht die Behauptung, dass die einzig sichtbaren Verwüstungen auf die "Terroristen" zurückzuführen seien, die Soldaten und die Milizen können es ja per definitionem nicht gewesen sein: "Einige Fahrzeuge und Gebäude im Stadtzentrum waren von der Terrorgruppe mit dem Ziel zerstört worden, um den Eindruck zu erwecken, dass das türkische Militär Zivilisten angegriffen habe."

Man kann sich kaum vorstellen, dass solche Fake News von Menschen geglaubt werden. Vermutlich ist das aber der Fall, da über der Türkei, einem Nato-Mitgliedsland, eine Informationsglocke hängt, die deutlich krasser ist als das, was in Russland geschieht. Dem Blick von oben stehenBilder von zerstörten Häusern entgegen. Davon abgesehen hat die türkische Regierung 2016/2017 im Südosten des Landes gezeigt, dass sie willens ist, ganze Stadtteile zu zerstören, auch systematisch wie etwa in Diyarbakir oder in Cizre.