Proteste diskreditieren - ein Praxisbeispiel

Bild: Montecruz Foto /CC BY-SA-2.0

Seit Wochen behindern und kriminalisieren massive Polizeiaufgebote und eine kleinliche Durchsetzung einschränkender Polizeiverfügungen die Proteste von Kurden nachdrücklich

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In der Rubrik "Politik" titelte jüngst Spiegel Online (ähnlich anderen Medien mit hehren journalistischen Ansprüchen): "BKA erwartet weitere Gewalttaten gegen türkische Einrichtungen".

Was das Bundeskriminalamt und (in Ermangelung einer kritischen Auseinandersetzung im betreffenden Beitrag) offenbar auch Spiegel Online unter Gewalttaten verstehen, findet sich sogleich im Untertitel: "Farbschmierereien, Straßenblockaden, Brandanschläge…" Da drängen sich doch unmittelbar ein paar Fragen auf: In genau dieser Reihenfolge? Das Eine das andere bedingend? Oder nach altbewährtem Muster im Diskreditieren von Protest: Wer in einem Akt zivilen Ungehorsams eine Straße blockiert, der zündet auch Gotteshäuser an?

Sicher: Journalismus ist immer mehr auch eine Frage von Geschwindigkeit - gerade online. Und Content - also die journalistische Produktion werthaltiger Inhalte - ist kostspielig. Da ist es natürlich ganz prima, dass die Polizeien in Bund und Ländern mit immer größeren Aufwänden Pressestellen betreiben, die aus der (Achtung: eingeschränkten und von Interessen geleiteten!) Perspektive staatlicher Eingriffsverwaltungen in enormer Schlagzahl fein aufbereitete Meldungen zur Verfügung stellen.

Einerseits verständlich, wenn im allgemeinen "business as usual" die behördlichen Verlautbarungen vielfach ohne jede kritische journalistische Auseinandersetzung übernommen und herausgeblasen werden. Andererseits gilt es doch auch jenseits widerlicher Titulierungen als Lügenpresse einmal den Finger in eine immer offener zu Tage tretende Wunde zu legen und mehr Klarheit und Wahrheit in der Berichterstattung anzumahnen.

Woher kommt es im vorliegenden Beispiel denn, wenn eine Sprecherin des Bundeskriminalamts widerspruchsfrei ausführen darf, dass die Sicherheitsbehörden seit Beginn der türkischen Offensive "eine inzwischen hohe dreistellige Zahl kurdischer Protestveranstaltungen, namentlich solcher, die der verbotenen PKK zuzurechnen sind" beobachten. Diese weitgehend pauschale Zurechnung der aktuellen Proteste gegen die Militärintervention der Türkei in Syrien zur verbotenen PKK hat nämlich ein geradezu haarsträubendes Vorspiel.

Verbot von Fahnen und Symbolen erfordert massive Polizeiaufgebote

Der jüngst aus dem Amt geschiedene Bundesinnenminister hatte bereits im Frühjahr 2017 die Innenministerien der Länder ohne jede Darlegung von Hintergründen darüber informiert, dass er seine Anlage zum Vereinsverbot der PKK ergänzt habe. In dieser Anlage sind Fahnen und Symbole aufgelistet, deren öffentliche Verwendung nach ministerieller Auffassung eine Werbung oder Betätigung für die verbotene Vereinigung und mithin eine Straftat nach dem Vereinsgesetz darstellt.

Verboten und damit strafbewehrt war damit plötzlich aber nicht irgendein neues oder marginal verändertes Symbol der PKK, verboten war auf einmal jede Verwendung der Abbildung des in der Türkei inhaftierten Abdullah Özalan - und das obwohl (oder gerade weil) seit Jahren die Protestpraxis von Kurden hierzulande geradezu von einem Meer gelber Fahnen mit dem betreffenden Konterfei getragen wurde. Es war also von vornherein klar, dass dieser ministerielle Akt enorme Auswirkungen auf das Protestgeschehen entwickeln würde.

An dieser Stelle sei der Vollständigkeit halber erwähnt, dass es im Übrigen in der gesamten bisherigen Berichterstattung zum Thema nahezu vollständig an kritischen Nachfragen zum Warum und den Zusammenhängen dieses ministeriellen Akts fehlt, der in Praxis der gegebenen Behinderung und Kriminalisierung kurdischer Proteste Tür und Tor geöffnet hat. Dabei erscheint es doch gar nicht so schwer, heraus zu finden, wessen Interessen hier bedient werden.

Die praktischen Auswirkungen der ministeriellen Entscheidung traten jedenfalls schon alsbald deutlich sichtbar zu Tage: Die Ergänzung einer Anlage zum Vereinsverbot (also ein Vorgehen mit praktischen Mitteln materiellen Polizeirechts) griff tatsächlich weitreichend und nachhaltig in die Gestaltungsfreiheit kurdischer Proteste und mithin in ein Grundrecht im Verfassungsrang ein. Schnell waren massive Polizeiaufgebote erforderlich, um gegen das Zeigen bislang allgemein üblicher Fahnen und Symbole bei kurdischen Protesten vorzugehen.

Nach schnell ausufernden Auflagen für kurdische Kundgebungen, der Einrichtung von Kontrollstellen und anfänglichen massenhaften Sicherstellungen von Fahnen und Plakaten sind wir zwischenzeitlich bei vorbeugenden Versammlungsverboten angelangt, was im Zweifel noch mehr Polizeikräfte zur Durchsetzung auf den Plan ruft.

Schon seit Wochen behindern massive Polizeiaufgebote und eine kleinliche Durchsetzung einschränkender Polizeiverfügungen die Proteste von Kurden nachdrücklich, machen sie in Teilen unmöglich und wirken in hohem Maß einschüchternd. Dabei sind es gerade die massiven Polizeiaufgebote, die einen Eindruck von Unfriedlichkeit vermitteln, was im Gegenzug geeignet ist, den Protest in der öffentlichen Wahrnehmung entgegen der langjährig weitestgehenden Friedlichkeit in die Gewaltecke zu stellen - auch um daraus sogleich neue Anscheinsfakten für die Behinderungs- und Verbotspraxis der Behörden zu generieren.

Legitime Proteste von Kurden werden pauschal in einen PKK-Kontext gestellt

In genau diesem Zusammenhang funktionieren dann auch die begleitenden Verlautbarungen und Einschätzungen der Behörden, wie sie im Spiegel Online Beitrag in verkürzter und unreflektierter Form angeführt werden. Legitime Proteste von Kurden werden hier pauschal in einen PKK-Kontext gestellt, was am Ende der Fahnenstange eine Verbindung der Proteste zum Terrorismus zu konstruiert.

Das erfüllt etwa auch angesichts der Berichterstattung zum beabsichtigten neuen Polizeirecht in Niedersachsen mit großer Sorge - sollen der Polizei doch über einen Bezug zum Begriff "Terror" künftig enorme Befugnisse bis hin zu Freiheitsentziehungen schon auf der Grundlage von nicht viel mehr als Mutmaßungen zugestanden werden. Wenn das so schön und einfach geht, dürfen wir uns sicher noch auf einiges gefasst machen.

Legitime Formen von Protest und zivilem Ungehorsam (etwa Straßenblockaden) werden schon mal vorab mit Brandanschlägen (respektive Terror) in einem Atemzug genannt. Wo von verfassungsgemäß zustehenden polizeifreien Räumen in der herrschenden Beschränkungs- und Verbotspraxis bei Versammlungen schon längst keine Rede mehr sein kann, wäre es hingegen weit bedeutsamer, Zusammenhänge und Auswirkungen auf eine mögliche Radikalisierung zu betrachten. Fehlen eigentlich nur noch die üblichen Reflexe der Polizeigewerkschaften, die über kaum mehr zumutbare Belastungen der Polizeibeschäftigten infolge der Kurdenproteste klagen - womit die Kurden dann auch noch zur allgemein gebräuchlichen Erzählung von der Überlastung der Polizei ihr Scherflein beigetragen hätten.

Und weil dem Wahnsinn damit offenbar noch längst nicht genüge getan ist, hier noch einmal ganz direkt zurück zum betreffenden Beitrag bei Spiegel Online. Zitiert wird dort der Vorsitzende des Islamrats, Burana Kesici, mit der Feststellung, dass das größte Problem der türkischen Gemeinden nicht eine aktuelle "temporäre Häufung" von Angriffen sei, die womöglich auf das Konto von Anhängern der kurdischen Terrorgruppe PKK gingen, sondern die große Zahl von rechtsextrem motivierten Attacken.

Und wenn er beklagt, dass die Aufklärungsrate bei diesen Straftaten sehr gering sei, dann liefert der Beitrag von Spiegel Online zumindest dazu, wenn auch einigermaßen unfreiwillig eine passende Erklärung: Das Bundeskriminalamt hält nämlich auch eine Mittäterschaft (an den jüngsten Brandanschlägen) deutscher Linksextremisten für möglich. Danach nehme die linke Szene Anteil an der Situation der Kurden (Merke: Anteilnahme ist unseren Sicherheitsorganen im vorbeugenden Polizieren im verdachtsfreien Raum schon hoch verdächtig), so dass in dieser Anteilnahme ihre Aktionen "zumindest vereinzelt auch auf Straftaten zum Nachteil türkischer oder (vermeintlich) unter türkischem Einfluss stehender Einrichtungen ausgedehnt werden".

Der so genannte NSU lässt vermutlich höchst erfreut grüßen! Als Polizei immer schön auf dem rechten Auge blind sein und sich am selbst gestrickten Lagebild orientieren: Wer protestiert und dabei zu zivilem Ungehorsam neigt - etwa eine verbotene Fahne zeigt oder eine Straße symbolisch blockiert -, der zündet auch Häuser an! Also: Immer schön die Straße freihalten, weil man nach Auffassung unserer zunehmend überdrehten Polizei mit der Bekämpfung des Terrors offenbar gar nicht früh genug loslegen kann. Und: Schön wäre es, wenn derart entlarvender Journalismus des öfteren nicht nur derart zufällig zutage träte.

Der Autor des Beitrags ist Polizeibeamter in Niedersachsen.