Von Tripolis nach Timbuktu

Grafik: TP

Weitere Hintergründe zu Sarkozy im Visier der französischen Justiz

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Am Dienstag wurde der ehemalige französische Präsident Sarkozy in Polizeigewahrsam genommen. Französische Medien berichteten, dass Sarkozy zu Vorwürfen vernommen wurde, wonach seine Wahlkampagne 2007 illegal mit libyschen Geldern finanziert wurde. Sein Polizeigewahrsam sei in der Nacht auf Mittwoch unterbrochen, aber in der Früh fortgesetzt worden, berichtete die französische Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf informierte Kreise (vgl Sarkozy in Polizeigewahrsam wegen libyscher Affäre).

Die Vorwürfe sind nicht neu. Schon vor 11 Jahren berichteten die Medien, konnten aber keine eindeutigen Beweise liefern.

Konservativer Kandidat statt "Zigeunerbaron

Von Nicolas Sarkozy, dem kleingewachsenen EX- Präsidenten Frankreichs, ging zweifelsohne immer eine ungeheure Bündelung jener Energie aus, welche ihm erst seinen phänomenalen Aufstieg- bis ans höchste Staatsamt- ermöglichte. Der Geburt in Frankreich und dem "jus soli" verdankt Sarkozy seine französische Staatsangehörigkeit. Sein Vater stammt aus dem ungarischen Adel - aber wer ist in Ungarn nicht alles adlig - seine Mutter hingegen aus der uralten sephardischen Gemeinde von Saloniki.

Die Tatsache, dass ausgerechnet die erzkonservative Bourgeoisie Frankreichs ihn seinerzeit bei der Kandidatur unterstütze, mit diesem Hintergrund, stellte die eigentliche Sensation dar.

In der Vergangenheit, beispielsweise zur Zeit der Dritten Republik, etwa unter dem Einfluss von Charles Maurras und seiner reaktionären "Action francaise" wäre Sarkozy öffentlich als "Zigeunerbaron" geschmäht wurden. Sarkozys politischer Aufstieg wurde allerdings auch immer schon von dem Gestank der Korruption, ja der Günstlingswirtschaft, umnebelt.

Vom Roten Teppich zur archaischen Ermordung

Inzwischen haben die Vorwürfe eine neue historische Dynamik entfacht, denn der Verdacht kommt auf, dass der libysche Diktator 2011 sterben musste, weil in Paris niemand daran Interesse hatte, dass diese Verbindungen ins grelle Licht der Öffentlichkeit gelangten. Es war schon bemerkenswert: Gegen Ende seiner ersten Amtszeit, wohl noch von der Hoffnung getragen, ein zweites Mal als Präsident Frankreichs antreten zu dürfen, sah man Nicolas Sarkozy, der plötzlich eine napoleonische Ader in sich entdeckt hatte, ständig über Landkarten und Zielangaben gebeugt, als Feldherr gegen Gaddafi.

Sarkozy, der Gaddafi nach mehrmonatigem Bürgerkrieg eiskalt buchstäblich ans Messer liefern ließ (der libysche Diktator wurde ja auf eine Weise ums Leben gebracht, die eher an archaische Rituale erinnerte, als an alles Gerede von Menschenrechten und Demokratie), hatte dem umstrittenen Despoten zuvor den Roten Teppich ausgerollt und ihn bei den anderen EU-Staatschefs hoffähig gemacht, flankiert von der Aussicht auf lukrative Geschäfte und wirtschaftliche Vorteile.

"Er ist nur wegen meiner finanziellen Unterstützung Präsident geworden"

Noch heute, in der Retrospektive, ist der abrupte Wandel in der Beziehung zwischen Sarkozy und Gaddafi erstaunlich und wirft Fragen auf. Kurze Zeit nach seinem Einzug in den Elysee- Palast schloss Sarkozy Handelsabkommen mit Libyen und empfing Gaddafi mit allen militärischen Ehren, andere Hauptstädte und Staatsoberhäupter der EU folgten unmittelbar.

"Er ist nur wegen meiner finanziellen Unterstützung Präsident geworden", pflegte Gaddafi regelmäßig zu behaupten, wenn die Rede auf den damaligen französischen Präsidenten kam. Auch noch - oder gerade - kurz nachdem Beginn des Aufstandes in Libyen. Die Begründung für die westliche Intervention in Libyen durch Sarkozy war damals schon abenteuerlich genug.

Die Rolle Bernard-Henri-Lévys

Der französische Mode-Philosoph Bernard-Henri-Lévy, in der Bussi-Szene von Paris auch als BHL bekannt, soll damals Sarkozy bedrängt haben, seine angeblichen Freunde in Bengazi vor Gaddafis Truppen zu schützen. Lévy, einst eine Ikone der französischen 68er-Bewegung, nahm später die Pseudo-Fortschrittlichkeit der linken Intelligenz ins Visier und verdammte den marxistischen Totalitarismus. Doch seine Menschenrechtsdoktrin erinnert in ihrer Rigorosität und Fortschrittsgläubigkeit an seine verblassten marxistischen Dogmen früherer Tage, ein Phänomen, welches ja nicht nur in Frankreich zu beobachten ist.

Der Sturz Gaddafis führte schließlich zu einem "failed state" am Mittelmeer, vor den Toren Europas. Libyen ist heute im Grunde in seine aus der Antike bekannten geographischen Bestandteile zerfallen, in Tripolitanien und die Cyrenaika.

Mali

Anfang 2013 entzündete sich in Mali ein neuer Krisenherd, als Tuareg -Söldner, die sich zuvor in den Diensten Gaddafis befanden, über die Grenzen zurück in ihre Heimatländer strömten (vgl. Mali und die Arabellion).

Sie setzten einen Kampf mit der malischen Zentralregierung um Eigenständigkeit und Unabhängigkeit fort. Unterstützt wurden sie von islamistischen Gruppen, die teilweise auch in Algerien operieren. Aus Libyen brachten die Kämpfer hochwertiges Waffenmaterial mit, welches aus den Rüstungsschmieden des Westens stammt und mit dem sich das Gaddafi-Regime zuvor reichlich versorgen konnte. Außerdem wurde die gesamte Sahelzone, der breite Steppengürtel südlich der Sahara, die sich von Somalia im Osten zum Senegal im Westen erstreckt, von einem islamistischen Aufbegehren erfasst. Finanziert und inspiriert von einflussreichen Kreisen in den reaktionären Golf-Monarchien - unter Führung Saudi-Arabiens - überrollten Fanatiker die lokalen Muslime, fegen ihre religiösen Traditionen hinweg, insbesondere die der Mystiker und Sufi-Orden.

Bernard Henri Lévy, der sich nach der Befreiung von Gaddafi nicht mehr nach Libyen im Allgemeinen oder nach Bengazi im Speziellen traute, beriet auch Sarkozys Nachfolger, den bisher schlechtesten französischen Präsidenten Hollande, bei seinem militärischen Engagement in Mali.

Reale Gefahr eines Dominoeffektes

Das französische Engagement damals war durchaus berechtigt - vor allem im Vergleich zu Libyen. Nicht, weil die dortige Regierung durch einen Militärputsch an die Macht gekommen war, sondern weil dort die reale Gefahr eines Dominoeffektes bestand. Peter Scholl-Latour äußerte sich damals in einem Gespräch mit dem Verfasser dieses Beitrages wie folgt:

Hätten die islamistischen Kräfte aus dem Norden Malis das ganze Land eingenommen, dann wäre die ganze Region gefährdet gewesen, besonders der Senegal. Dadurch hätten die Islamisten das strategisch überaus wichtige Kap Verde erreicht. Staaten wie der Niger, der ja nur noch auf dem Papier existiert, wären zusammengebrochen. Vor allem aber war und ist der Koloss Nigeria gefährdet, mit seinen fast 200 Millionen Einwohnern. Im Norden Nigerias sehen sich ja die Behörden den Anschlägen der extremistischen Sekte "Boko Haram" ausgesetzt, die sich das Ziel gesetzt hat, jeglichen westlichen Einfluss auszurotten.

Ohne das Eingreifen der Franzosen hätten also die erwähnten Gruppen einen gemeinsamen riesigen Operationsraum vorgefunden, der sich permanent ausgedehnt hätte. Unmittelbar bedroht vom diesem explosiven Szenario fühlt sich die Republik Algerien, deren südliche Ausläufer bis in das Krisengebiet hineinreichen" (vgl. "Die Franzosen sollten sich so schnell wie möglich aus Mali zurückziehen").

Der Konflikt in Mali hält bis heute an - ebenso das militärische Engagement des Westens. Der Bundestag stimmte mit großer Mehrheit kürzlich für die Verlängerung aller Bundeswehreinsätze, inklusive des Mali-Einsatzes. Bundesverteidigungsministerin von der Leyen schwafelte diesbezüglich von der Bündnispflicht der Bundeswehr. In dem erwähnten Interview plädierte Peter Scholl- Latour hingegen dafür, dass sich "die Franzosen […] so schnell wie möglich aus Mali zurückziehen, um ihren afrikanischen Verbündeten das Kommando zu übergeben […]".

Mindestens fünf Millionen Euro Bargeld und ein toter Ex-Erdölminister in der Donau

Informationen aus dem Umfeld der Staatsanwaltschaft in Paris nach wurden die Verhöre mit Sarkozy jetzt in die Wege geleitet, weil man die Äußerungen des französisch-libanesischen Geschäftsmannes Ziad Takieddine neu gewichtete. Ziad Takieddine hatte 2016 öffentlich bestätigt, im Winter 2006 mindestens fünf Millionen Euro Bargeld von Tripolis nach Paris "überführt" zu haben. Sechs Jahre später, im Frühjahr 2012 wurde dann der ehemalige libysche Erdölminister Schukri Ghanem in Wien tot aus der Donau gefischt - unmittelbar vor der Stichwahl zwischen den damaligen Präsidentschaftskandidaten Sarkozy und François Hollande. Ghanem hatte Sarkozy direkt beschuldigt, Millionen aus Tripolis eingesteckt zu haben.

Von Tripolis nach Timbuktu, könnte man diesen Abschnitt der jüngsten Zeitgeschichte betiteln, ein kleiner Bestandteil im geopolitischen Geschehen unseres Zeitalters, dieses Zeitalters des Zerfalls.