Norwegen: Hetzjagd und Meinungsfreiheit

Sylvi Listhaug. Bild: regjeringen.no

In Norwegen wurde durch den Rücktritt der Justizministerin eine Regierungskrise abgewendet, doch nicht die Polarisierung in der Gesellschaft. Schuld ist ein Facebookposting

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Auf Facebook hatte die Justizministerin Sylvi Listhaug ein Posting veröffentlicht, das die Öffentlichkeit so aufregte, dass diese am Dienstag zurücktrat. Abgeschlossen ist der Fall nicht wirklich. Denn es geht es um die Grenzen der Meinungsfreiheit und die streitbare Politikerin wird sich bald wieder zu Wort melden.

In einem nicht mehr einsehbaren Posting auf ihrem Facebook-Account warf sie den Sozialdemokraten (Arbeiderpartie) vor, ihnen sei "das Recht der Terroristen wichtiger als die Sicherheit des Landes". Listhaug reagierte so auf eine Ablehnung ihres Vorschlags seitens der Sozialdemokraten, Terrorverdächtigen und rückkehrenden "Foreign Fighters" ohne richterliche Prüfung die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Ihre Aussage wurde sehr emotional von den Hinterbliebenen des Breivik-Attentats aufgenommen, vor allem da ihre Äußerung zur Premiere des ersten Spielfilms über das Verbrechen auf der Berlinade erschien.

Einsichtig war Listhaug, die Mitglied der rechtspopulistischen Fortschrittspartei ist, nicht wirklich. Ihr Rücktritt kam einer Misstrauensabstimmung der Opposition gegen die Regierungskoalition zuvor - die Konservativen bilden mit der Fortschrittspartei unter Erna Solberg eine Minderheitsregierung, dies ist in skandinavischen Ländern üblich.

Die vierzigjährige Ex-Ministerin beklagte eine Hetzjagd gegen sie sowie eine "Knebelung der freien Rede". Sie werde innerhalb ihrer Partei "den Kampf für freie Meinungsäußerung und eine strenge Einwanderungspolitik fortsetzen". Dem stilisierten Kampf um die Meinungsfreiheit widerspricht die Juristin Anine Kierulf. Die politischen Gegner der zurückgetretenen Justizministerin nutzten mit ihrem Misstrauensvotum gerade das von Listhaug geforderte Recht .

Ob die Politikerin und ehemalige Lehrerin wirklich freiwillig gegangen ist oder von Solberg gedrängt wurde, ist Gegenstand der Spekulation in Norwegen. Denn die Politikerin ist populär. Als Ministerin für Migrationsfragen unter der ersten Solberg-Koalition, erreichte sie 2016 die höchsten Popularitätswerte aller Regierungsmitglieder.

Sie selbst nahm für sich in Anspruch, dass Norwegen eines der striktesten Asylsysteme in Europa habe. Zu einem politischen Eklat mit Schweden geriet ihr Auftritt in dem Stockholmer Problembezirk Rinkeby, den sie kurz vor der Wahl zu besuchte, um den Norwegern vor Augen zu führen, dass sie keine schwedischen Verhältnisse "wählen" sollten. Dies war auch der Grund, dass sie zwei Wochen lang eine Regierungskrise hervorrufen konnte, ohne von der Regierung zum Rücktritt aufgefordert zu werden.

Nach der Einschätzung der norwegischen Zeitung Dagbladet hat die Politikerin und bekennende Christin jedoch ihren Popularitätszenit überschritten. Vor allem der Polizeieinsatz gegen das Kirchenasyl habe ihrem Image bei konservativen Wählern des vor allem lutherisch geprägten Landes geschadet. Das staatliche Fernsehen berichtet jedoch, dass die Fortschrittspartei durch die Aufregungen um die Politikerin einen nie dagewesenen Mitgliederbeitritt erlebt, was Parteichefin Siv Jensen erfreut, die die "klaren Worte" als Erfolg ihrer Partei verbucht.

Aber auch die Sozialdemokraten bekamen Zulauf, der die Parteiaustritte, die die Debatte zur Folge hatte, überwog.

Diese Polarisierung in Norwegen interessiert zunehmend das Ausland, ansonsten beim Thema Migration auf Schweden abonniert. Was den Ton in der Debatte um Migration angeht, liegt Norwegen zwischen Dänemark und Schweden. Während in dem politisch vorsichtiger agierenden Schweden ein solches Auftreten eines Ministers nicht vorstellbar wäre, so Björn Lindahl, Korrespondent von Svenska Dagbladet in Norwegen, ist in Dänemark der Ton in der Debatte weitaus härter.

Bezeichnenderweise verteidigte die dänische Integrationsministerin Inger Stöjber die norwegische Ministerkollegin. Sie nannte die norwegische Reaktion auf Listhaug "hysterisch und überdreht". Die Politikerin gehört zur liberalen Partei "Venstre".