Mit Rechten reden. Oder besser mal nicht

Uwe Tellkamp. Foto: Smalltown Boy / CC BY-SA 3.0

Nachrichten aus dem Tal der Ahnungslosen: Ein polemischer Rückblick auf die Tellkamp-Chose

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

So falsch, so lächerlich, so blind gedacht, so infantil größenwahnsinnig wie, wie, wie -

Rainald Goetz

Eine Debatte

Endlich! Eine Debatte!! Eine echte Debatte!!! Es ist dies natürlich wieder so eine jener Debatten, wie sie nur in Deutschland möglich sind. Wo es nicht mehr darum geht, was einer gesagt hat, und ob Uwe Tellkamp möglicherweise ein Rassist ist, ein Faschist mit Künstlerhaube, ein paranoider Dummkopf, ob er vielleicht einfach ein schlechter Autor ist, der verquastes, betont altmodisches Deutsch schreibt.

Über mich können Sie schreiben, daß ich Kommandant von Dachau war oder mit Stubenfliegen Geschlechtsverkehr ausübe, von mir werden Sie keine Entgegnung vernehmen.

Gottfried Benn

Nein, es geht nur noch darum, ob er das, was er gesagt hat, sagen darf oder nicht, ob der Suhrkamp-Verlag ihm den Mund verbieten darf oder nicht, und ob er ihm überhaupt den Mund verboten hat. Gilt Meinungsfreiheit auch für den Suhrkamp Verlag oder nur für Uwe Tellkamp?

Der Humanist und der Zeitungsleser

Man muss schon einmal zurückkommen zum Ausgangspunkt, zu dem Anlass der ganzen Debatte, zu jenem Abend in Dresden, der unter dem Motto "Streitbar" im Kulturpalast stattfand, und der als Ganzes ein trauriges Dokument deutscher Kultur ist und dabei ein besonders beschämendes Licht auf Ostdeutschland wirft.

Denn es waren ja alles Ostdeutsche, die da diskutierten, und dazu der eingewanderte Rittergutsbesitzer aus Ravensburg, der gern Lichtgestalt einer Rechten Revolution wäre und doch nur wie ein ganz gewöhnlicher Rechtsextremist erscheint.

Es sollte in der Diskussionsrunde um Meinungsfreiheit gehen, ging dann aber vor allem um Tellkamps krude und verschwörungstheoretisch eingefärbte Ansichten zur Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Man kann das alles selbst komplett hier nachgucken.

Nach einer nicht gerade überzeugend und in einem schwachen Deutsch gehaltenen Einleitung einer Dresdener Kulturfunktionärin, die vor allem den von der Charta 2017, dem nach rechts weit offenen Bündnis rechter Wut-Bürger und PEGIDA-Sympathisanten mit seit 30-Jahren "neu"-rechten Halbintellektuellen wie Heimo Schwilk und Cora Stephan, getragenen Begriff "Gesinnungsdiktatur" salonfähig zu machen versuchte, redeten die Schriftsteller Grünbein und Tellkamp eigentlich von Anfang an aneinander vorbei. Tellkamp allerdings vor allem, weil er sich um Dialog gar nicht weiter bemühte.

Während Grünbein nämlich zu Anfang Offenheit und Gelassenheit einforderte - "Sinn aller Politik ist die Freiheit ... Der freie Mensch muss nicht klagen, er kann konstatieren" -, sagte Tellkamp in seinem Auftaktstatement kaum ein selbstformuliertes Wort, sondern präsentierte Zitatenschätze: Vom Leserkommentar in der "Achse des Guten" über den sächsischen CDU-Generalsekretär, Fernsehberichten öffentlich-rechtlicher Trash-Formate wie "Plasberg" ging es zu aus dem Zusammenhang gerissene Stilblüten von Daniel Kehlmann, Josef Joffe, Robert Misik, Sibylle Berg und Ingo Schulze.

In dem Stil ging es weiter aneinander vorbei. Ein archetypischer Gegensatz, der nur in einer Demokratie, die gelernt hat, sich anti-elitärer zu geben, als es der Republik gut tut, gern als politisch-inkorrekt gilt: Hier der Humanist, dort der Zeitungsleser, hier der antik Gebildete, dort der Halbgebildete, hier der gelassene Großbürger, dort der wutschnaubende Kleinbürger, hier der integrierte Aufklärer, dort der apokalyptische Paranoiker, hier die Ironie, dort Härte und Schwere.

Tellkamp kam auf die Bühne als Faktenhuber und wandelnder Zettelkasten, mit tausend Zitaten bewaffnet, vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages bis zur Otto-Brenner-Stiftung, die ja "gewerkschaftsnahe" sei, wie er gleich mit wissendem Gesichtsausdruck eifrig hinzufügte. Typische Wortbeiträge begannen mit "Neulich stand in der Neuen Züricher …"