Türkei setzt Expansionskurs ungehindert fort

Flüchtlinge in Tal Rifaat. Bild: Afrin Media Center

Nach Afrin werden Tal Rifaat und Manbidsch anvisiert, die türkischen Begehrlichkeiten richten sich auch in den Irak

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Der türkische Präsident Erdogan ist auf den Geschmack gekommen. Seine kriegerischen Vorstöße sind bislang erfolgreich und offenbar ist derzeit kein anderer Staat bereit, die Türkei bei ihren völkerrechtswidrigen Invasionen zu geopolitischen und ethnischen Korrekturen im türkischen Interesse zu bremsen. Erdogan pokert hoch mit dem Spiel zwischen den Großmächten Russland und USA sowie der Nato und der EU. Letztere ist gebannt davon, dass die Türkei nicht die Flüchtlingsschleusen Richtung Europa öffnet. Lieber sieht man es da schon, wenn Erdogan mit ethnischer Säuberung Flüchtlinge aus Syrien in Afrin ansiedeln will - und wahrscheinlich auch gleich islamistische Milizen, über die die Türkei die Kontrolle ausüben will. Und man akzeptiert bislang auch, dass die Türkei neue Flüchtlingsströme verursacht.

Mittlerweile haben türkische Truppen bereits das Gebiet südlich von Dscharablus und Afrin erobert. Man muss vermuten, dass die Türkei vorerst die Gebiete weiter besetzt, um so besser die Finger im Spiel um die Neuausrichtung von Syrien zu behalten. Womöglich ist man auch darauf aus, Gebiete des zerfallenen syrischen Gebiets zu annektieren.

Erdogan macht immer wieder deutlich, dass die bisher erfolgten Eroberungen nicht reichen. Er drängt weiter die US-Regierung darauf, dass diese die kurdischen SDF-Verbände aus Manbidsch vertreibt, um auch dort bis zum Euphrat eine türkische Kontrolle auszuüben. Auch hier sollen die "rechtmäßigen Bewohner" wieder angesiedelt werden, was heißt, es geht um einen Bevölkerungsaustausch. Viele Menschen aus Afrin haben sich nach Tal Rifaat, 50 km vor Aleppo, geflüchtet. Es sollen mehr als 70.000 sein.

Gestern kündigte Erdogan an, auch diese Kleinstadt einnehmen zu wollen. Dann werde die "Operation Olivenzweig" ihr Ziel erreicht haben - und es geht dann Richtung Manbidsch. Es habe mit der Obama-Regierung das Versprechen gegeben, dass die SDF sich nach der Vertreibung des IS aus Manbidsch zurückzieht. Weil das "fundamentale Prinzip in einem Staat Kontinuität" sei, sagte er ausgerechnet in Richtung Donald Trump, müsse die US-Regierung "sofort Manbidsch von der SDF übernehmen und den wirklichen Besitzern der Region zurückgeben". Und er spielt weiter mit Gewalt: "Wir werden natürlich nicht Gewehre auf unsere Alliierten richten, aber wir werden Terroristen nicht verzeihen, wenn wir sie sehen und wir werden sie niederschießen."

Längst hat die türkische Regierung auch gedroht, das gesamte von Kurden in Syrien kontrollierte Gebiet Rojava einnehmen zu wollen, was auch hieße, dass die USA aus Syrien verdrängt würde, sofern Washington sich auf die syrischen Kurden als Bodentruppen stützen. Die Türkei bietet sich gewissermaßen als Alternative an, denn es gibt ja den gemeinsamen Feind Iran. Sowohl Washington als auch Ankara wollen verhindern, dass Iran sowie die irakischen und libanesischen Schiiten größeren Einfluss auf Syrien erhalten.

Türkische islamistische Milizen sollen für die USA besser als kurdische Bodentruppen sein

Ganz offen heißt es in einem Editorial des AKP-Mediums Daily Sabah, dass doch die von der Türkei aufgebauten Milizen der "Freien Syrischen Armee", in der auch viele Islamisten Unterschlupf gefunden haben, eine Alternative zu den Kurden sei. Sie hätten gezeigt, dass sie erfolgreich agieren können, indem sie mit den türkischen Truppen al-Bab und jetzt Afrin eingenommen hätten. Allerdings sollen in Afrin zwischen Gruppen der FSA Kämpfe ausgebrochen sein.

Sich von den Kurden abzuwenden und mit der FSA, die als "gemäßigte Opposition" bezeichnet wird, zu kooperieren, habe Vorteile für die USA. Die FSA habe Tausende von Kämpfern, um gegen Assad vorzugehen, mit dem die YPG/SDF über Jahre kollaboriert habe. Überdies widersetze sich die FSA auch dem "iranischen Expansionismus". Da sich nun die Aufmerksamkeit wegen von der Bekämpfung des IS auf die "Eindämmung des Iran" richte, müssten die USA zu überlegen beginnen, welche Gruppen ähnliche Interessen haben. Offenbar setzt man nun auf den neuen Sicherheitsberater John Bolton, der schon früher für einen Angriff auf den Iran eingetreten ist. Und eine engere Zusammenarbeit mit der FSA und der Türkei würde Washington auch größeren Einfluss in Syrien zusichern.

Aber die Türkei will nicht nur militärisch in Syrien mitsprechen, sondern auch im Irak, wo bereits türkische Soldaten stationiert sind, auch wenn die irakische Regierung gefordert hat, dass sie das Land verlassen müssen. Im Irak ist die Bevölkerungsmehrheit schiitisch, die Regierung steht unter großem Druck der Schiiten und aus Teheran, den Türken weitere Eingriffe gegen die PKK im Nordirak zu verwehren und die Streitkräfte der USA und auch die anderer Staaten nach der Niederschlagung des IS des Landes zu verweisen. Allerdings ist der IS im Irak bei weitem nicht besiegt, es finden täglich Angriffe und Anschläge statt.

Bagdad hat zwar auch militärisch gezeigt, gegen Unabhängigkeitsbestrebungen der irakischen Kurden wie die Türkei vorzugehen, aber muss sich von türkischen Bestrebungen abgrenzen, im Land zu intervenieren, was die Türkei seit vielen Jahren mit regelmäßigen Luftangriffen auf angebliche PKK-Stellungen macht. Gerade meldet die türkische Armee wieder, dass mit Drohnen im Nordirak 3 PKK-Kämpfer getötet worden seien. Auch das ist ein völkerrechtswidriger Angriff des Nato-Landes, aber die "Wertegemeinschaft" der Nato schweigt dazu ebenso wie die EU.

Erdogan hatte überdies angekündigt, dass türkische Truppen in Shingal vordringen werden, um die PKK von dort zu vertreiben. Die PKK hatte erklärt, sich zurückzuziehen, während irakische Verbände und schiitische Milizen die Kontrolle zusammen mit den ezidischen Kämpfern übernahmen. Bagdad sagte erneut, dass man jeder Intervention entgegentreten werde, es seien auch keine türkischen Truppen gesehen worden.