Soziale Isolation und Einsamkeit machen krank

Bild: David Hodgson/CC BY-2.0

Eine umfangreiche Studie weist auf das erhöhte Risiko hin, das stark auch mit sozioökonomischen Faktoren zusammenhängt und damit einen Hinweis auf die Debatte um Hartz-IV gibt

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Wenn es um Hartz-IV-Sätze oder um Armut geht, wird gerne wie vor kurzem Gesundheitsminister Jens Spahn erklärt, dass damit das Existenzminimum gesichert wird und niemand wirklich Not leiden oder gar verhungern muss. Kritiker wenden ein, dass es in einem reichen Land wie Deutschland nicht nur um die Sicherung des Existenzminimums gehen kann, sondern den Menschen auch ermöglicht werden müsse, zu einem bestimmten Grad am sozialen Leben teilzuhaben. Um nicht aus der Gesellschaft herauszurutschen und in der Einsamkeit zu landen.

Die seit einigen Jahren in Gang gekommene Einsamkeitsforschung liefert Argumente für die Forderung nach sozialer Teilhabe, da Einsamkeit nicht nur psychische Folgen hat, sondern unter Umstaänden krank machen und zu einem vorzeitigen Tod führen kann (Sterberisiko Einsamkeit, Chronische Einsamkeit erhöht das Risiko eines vorzeitigen Todes stärker als Fettleibigkeit).

Finnische und schwedische Wissenschaftler haben 479.054 Teilnehmer zwischen 40 und 69 Jahren an einer Langzeitstudie der UK Biobank, die angegeben haben, ob sie sozial isoliert und einsam sind, sieben Jahr lang verfolgt. 9 Prozent davon waren sozial isoliert, 6 Prozent einsam und 1 Prozent isoliert und einsam. Sozial isolierte und einsame Menschen litten stärker an chronischen Krankheiten und rauchten öfter, einsame Menschen gaben mehr depressive Symptome an als nicht-einsame Menschen. Während dieser Zeit starben 12.478 Menschen, 5731 hatten einen ersten Herzinfarkt, 3471 einen ersten Schlaganfall.

In der bislang umfangreichsten Untersuchung zu den Folgen von Einsamkeit, die in der Zeitschrift Heart des British Medical Journal (BMJ) erschienen ist, zeigte sich, dass soziale Isolation mit einem 43 Prozent höheren Risiko für einen ersten Herzinfarkt und mit einem um 39 Prozent erhöhten Risiko für einen ersten Schlaganfall verbunden ist. Alter, Geschlecht und Herkunft wurden dabei berücksichtigt.

Anders sieht es aber aus, wenn man andere Faktoren wie körperliche Aktivität, BMI, Körpergröße Blutdruck, Rauchen, Alkoholkonsum, Haushaltseinkommen, Bildung, chronische Krankheiten und depressive Symptome einbezieht. So sinkt das durch soziale Isolation erhöhte Risiko für einen Herzinfarkt um 14 Prozent, wenn man biologische Faktoren berücksichtigt, um 50 Prozent, wenn man gesundheitlich relevantes Verhalten berücksichtigt, um 28 Prozent bei depressiven Symptomen, um 16 Prozent bei chronischen Krankheiten und am stärksten um 48 Prozent unter Berücksichtigung von soziökonomischen Faktoren. Berücksichtigt man alle Faktoren, so sinkt das Risiko um 84 Prozent auf einen Wert von 1,07, der statistisch nicht signifikant ist. Ähnlich ist es bei Einsamkeit und beim Schlaganfallrisiko.

Wenn bereits ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall sich ereignet hat, erhöht sich bei Einsamkeit und sozialer Isolation das Sterberisiko um 50 Prozent. Bei Berücksichtigung aller Faktoren liegt es noch immer um 25 Prozent höher für einen Herzinfarkt und um 32 Prozent für einen Schlaganfall. Daher kann die Studie nur bedingt die von anderen, oft sehr viel kleineren Untersuchungen aufgebrachten Folgen der Vereinsamung und der sozialen Isolation bestätigen.

Es sind die normalen Risikofaktoren, die die beobachteten Verbindungen von ersten Herzinfarkten und Schlaganfällen mit Einsamkeit/sozialer Isolation erklären. Aber, so sagen die Wissenschaftler, Einsamkeit ist ein davon unabhängiges Todesrisiko für diejenigen, die bereits Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben. Das Ergebnis der Studie sei aber ein Hinweis darauf, "dass soziale Isolation ähnlich wie andere Risikofaktoren wie Depression als Risikofaktor für eine schlechte Prognose von Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen betrachtet werden kann". Das ist auch deshalb von Bedeutung, weil ein Viertel aller Schlaganfälle ein Wiederholungsfall ist.

"Einsamkeitsepidemie" und Einsamkeit als "Volkskrankheit"

Ein Manko der Studie ist, dass sie sich auf Herzinfarkte und Schlaganfälle beschränkt, also keine anderen gesundheitlichen Risiken der Einsamkeit untersucht wurde. Der finnische Einsamkeitsforscher Peter Strang bezeichnet hingegen Einsamkeit als Volkskrankheit, die große Teile der Bevölkerung betrifft, die dadurch ein erhöhtes Risiko haben, an Demenz, Herz-Kreislaufbeschwerden und Krebs zu erkranken (Tödliche Einsamkeit als Volkskrankheit).

Die Campaign to End Loneliness spricht von einer "Einsamkeitsepidemie" vor allem unter älteren Menschen. In Großbritannien sollen 1,2 Millionen Rentner chronisch einsam sein. Zwei Fünftel der älteren Menschen (3,9 Millionen) sagen, der Fernseher sei ihre wichtigste Gesellschaft (Viele alte Menschen sind chronisch einsam). Nach einer Studie aus Frankreich betrifft die Einsamkeit aber auch die jüngeren Menschen. 700.000 der 15-30-jährigen Franzosen sollen "sozial isoliert", 1,4 Millionen einsam sein (Das Gefühl, sozial unnütz zu sein).

In Lancet hatten die Wissenschaftler bereits Ergebnisse ihrer Studie letztes Jahr veröffentlicht. Dort wurde noch stärker betont, dass auch isolierte und einsame Menschen ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle haben. Da sie vorwiegend durch konventionelle Risikofaktoren erklärt werden können, müsse man dafür sorgen, so die Schlussfolgerung damals, dass ungünstige sozioökonomische Bedingungen, ein ungesunder Lebensstil und geringeres psychisches Wohlfühlen verbessert werden, um die Mortalität zu senken.

Da bei der Auswertung die sozioökonomische Situation eine große Rolle für erhöhtes Risiko zu spielen scheint, diese aber auch mit dem Lebensstil zusammenhängt, könnte eben Armut das Risiko erhöhen, einsam zu werden und an den Folgen der Einsamkeit zu erkranken. Bekannt ist mittlerweile aus unzähligen Untersuchungen, dass diejenigen, die in einer Gesellschaft arm sind, eine deutlich geringere Lebenswartung haben als die Reichen. Die Kluft in der Lebenserwartung kann mehr als 10 Jahre betragen. Auch das könnte dafür sprechen, Hartz-IV-Bezüge in einer reichen Gesellschaft nicht zu knapp zu bemessen, wenn man die Menschen nicht in die Einsamkeit und in einen verfrühten Tod bringen will.