Türkei und Frankreich auf Konfrontationskurs

YPJ-Kämpferin der Rojava Defense Units. Gegenüber dem IS und jetzt der Türkei und den islamistischen Milizen stellen die Kurden die politische und militärische Rolle der Frauen heraus. Bild: YPJ

Präsident Macron empfing eine Delegation aus Rojava und sicherte Unterstützung zu, der türkische Vizeministerpräsident droht mit Angriffen auch auf französische Soldaten

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Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron empfing am Donnerstag dieser Woche im Elyseé-Palast eine Delegation hochrangiger kurdischer, arabischer und assyrischer Politiker sowie Vertreter der "Syrian Democratic Forces" (SDF), dem auch die kurdischen Selbstverteidigungseinheiten YPG/YPJ angehören. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wurde vom französischen Botschafter in Ankara über das Treffen informiert.

An der Delegation nahm auch Asya Abdullah, die Ko-Vorsitzende der "Bewegung für eine Demokratische Gesellschaft" TEV-DEM, verschiedene Ratsvorsitzende aus den Kantonen Afrin und Cizire, die YPJ-Sprecherin Nesrin Abdullah sowie Dr. Xalid Îsa von der Vertretung der Selbstverwaltung Nordsyrien, teil.

In dem Gespräch sagte Macron zu, Frankreich werde für die Verteidigung der Region militärische Unterstützung leisten. Dies gälte für Manbij und auch für die anderen Regionen. Frankreich werde "sehr schnell" Truppen nach Manbij in Nordsyrien schicken, um den Vormarsch der türkischen Truppen zu blockieren, berichteten französische Medien. Es wurde auch über humanitäre und medizinische Hilfe für die geflüchteten Menschen aus Afrin gesprochen.

Damit scheint der Plan Erdogans, Manbij zu erobern, vereitelt zu werden, es sei denn er riskiert eine militärische Auseinandersetzung mit Frankreich. Für die "Demokratische Föderation Nordsyrien" ist dies ein politischer Durchbruch auf der internationalen Bühne. In dem einstündigen Gespräch im Elysee-Palast sei hervorgehoben worden, "dass die Probleme, die in Syrien bestehen, nur mit ... der Administration wie der Föderation Nordsyriens gelöst werden können", berichtet ANF.

Macron betonte, es gebe "keine operationelle Verbindung" der SDF mit der Terrororganisation PKK. Der französische Präsident bot darüber hinaus an, zwischen der nordsyrischen Föderation und der Türkei zu vermitteln.

Die Zurückweisung dieses Angebotes von Seiten der Türkei kam postwendend, verbunden mit einer deutlichen Drohung Erdogans Richtung Frankreich: "Nach diesem Verhalten hat Frankreich kein Recht mehr, sich über eine einzige Terrororganisation, einen einzigen Terroristen oder einen einzigen Terroranschlag zu beschweren", sagte Erdogan in Ankara. "Diejenigen, die sich mit Terroristen ins Bett legen und sie sogar in ihren Palästen empfangen, werden ihren Fehler früher oder später erkennen."

Der türkische Vizeministerpräsident Bekir Bozdag drohte Frankreich über Twitter, dass diejenigen, die mit Terrorgruppen gegen die Türkei zusammenarbeiteten und Solidarität zeigten, ebenso behandelt würden wie die Terroristen. Er hoffe, Frankreich sei nicht so irrational.

Die Zeitung "Le Parisien" berichtete, Macron habe angekündigt, dass französische Truppen in der Gegend von Manbij stationiert würden. Sie sollen in Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten die Region gegen den Vormarsch der türkischen Armee schützen.

Verwirrung um Trumps Äußerungen

Amerikanische Medien meldeten, der amerikanische Präsident Donald Trump habe bei einer Rede vor Industriearbeitern gesagt, dass die USA sich "sehr bald" aus Syrien zurückziehen würden und "die anderen Leute sich jetzt darum kümmern würden". Dies sorgte in verschiedenen Medien für Verwirrung. Mit dem Außenministerium hat Trump seine Abzugspläne anscheinend nicht abgestimmt, denn die Ministeriumssprecherin Heather Nauert äußerte auf Anfrage, sie sei über Trumps Pläne nicht informiert.

Hochrangige US-Militärs in Nordsyrien reagierten verärgert über die Äußerungen Trumps: "Wir sind dem Sieg so nahe, dass wir das IS-Kalifat in Syrien ausradieren könnten", sagte ein US-Special-Forces-Kommandeur gegenüber NBC News. Mehr als ein halbes Dutzend hochrangige Beamte teilten die Ansichten des Kommandanten, berichtete NBC News. Nach anderen Medien wiederum würden die USA hingegen ihre Truppen in Manbij verstärken.

Türkische Propaganda

Frankreich verschafft mit seiner Unterstützung den SDF etwas Luft zum Atmen, indem der Türkei ihre Grenzen aufgezeigt werden. Und das ist nötig, denn die humanitäre Situation der aus Afrin geflüchteten Menschen spitzt sich täglich zu. Der deutsche Arzt Michael Wilk ist gerade aus Afrin zurückgekehrt und berichtete in HeutePlus über katastrophale Zustände.

In dem Videobericht wird gezeigt, wie das türkische Staatsfernsehen Propaganda gegen die Kurden in Afrin verbreitet. Ein kurdischer Zivilist sagt dem Reporter: "Ihr (türkische Soldaten und Verbündete) habt gestern 3 kleine Mädchen aus unserem Dorf verschleppt und vergewaltigt, ihr habt uns alles genommen." Der türkische Reporter übersetzt: "Wir sind froh dass ihr da seid."

Das vom türkischen Fernsehen verfälschte Video ist auf ein Video des BBC zurückzuführen. Der eigentliche Inhalt, ein Bericht über die Gräueltaten der türkischen Soldaten, ist mit englischen Untertiteln belegt.

"Stadtrat von Afrin" in der Türkei gebildet

Im türkischen Gaziantep wurde inzwischen unter Aufsicht des türkischen Geheimdienstes ein ‚Stadtrat von Afrin‘ gebildet. Die Nachrichtenagentur Firat berichtete, dass an diesem Rat unter Leitung des Kurden Hasan Sindi auch Mitglieder aus dem Umfeld des Kurdischen Nationalrates für Syrien (ENKS) beteiligt sind. Der ENKS steht dem Barsani-Clan im Nordirak nahe und bekämpft die demokratischen Bestrebungen der nordsyrischen Föderation und der Partei PYD.

Der ENKS steht im Verdacht, mit der nationalistischen Miliz "Roj Peschmerga" verbunden zu sein. Nach Angaben von Kawa Azizi, einem Vertreter des Kurdischen Nationalrats (ENKS), wurden die Roj-Peschmerga von der NATO ausgebildet. Azizi erklärte, dass die Einheiten der Roj-Peschmerga auch nach Nordsyrien gegen die nordsyrische Föderation vorrücken sollten.

Das Treffen zur Bildung des "Stadtrates von Afrin" in Gaziantep wurde vom "Verein der unabhängigen Kurden aus Syrien" (KKS) organisiert. Der Verein wurde 2016 in Urfa auf einem vom türkischen Geheimdienst MIT organisierten Kongress zum Kampf gegen die PYD und die YPG gegründet und hat enge Verbindungen zum ENKS. Über das Europäische Zentrum für Kurdische Studien (EZKS), dessen Schatzmeister das auch in Deutschland bekannte ENKS Mitglied Siyamend Hajo ist, unterstützte die Bundesregierung den ENKS direkt mit rund 364.753 Euro.

Insgesamt hat die Bundesregierung zwischen 2013 und 2017 den Projekten von Siyamend Hajo in Rojava/Nordsyrien rund 958.838 Euro zukommen lassen. Dies wurde zwischenzeitlich durch eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Die LINKE) bekannt. Damit unterstützt die Bundesregierung die Türkei nicht nur mit Waffenlieferungen im Wert von 4,4 Millionen Euro für den Krieg in Nordsyrien, sondern anscheinend auch beim Aufbau einer türkeitreuen Verwaltung in Afrin.