Deutsche Solidarität mit Madrid: Staatsanwaltschaft will Puigdemont ausliefern

Demonstration in Berlin. Bild: ANC Berlin

In Katalonien rücken die Komitees zur Verteidigung der Republik ins Fadenkreuz der Staatsanwaltschaft

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Die Generalstaatsanwaltschaft in Schleswig-Holstein stellt sich in der Frage der Auslieferung von Carles Puigdemont an Spanien ganz auf die Seite des spanischen Richters Pablo Llarena. Der will vom Obersten Gerichtshof aus die Auslieferung des aus Spanien abgesetzten katalanischen Regierungschefs mit einem Europäischen Haftbefehl erreichen. Auf dieser Basis war Puigdemont am 25. März auf dem Weg von Finnland nach Belgien in Norddeutschland festgenommen worden. Die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein hat heute beim Oberlandesgericht in Schleswig einen Auslieferungshaftbefehl für Puigdemont beantragt, teilte die Generalstaatsanwaltschaft in Schleswig mit.

"Nach intensiver Prüfung des Europäischen Haftbefehls des Tribunal Suprema in Madrid vom 23. März 2018 ist der Generalstaatsanwalt zu dem Ergebnis gelangt, dass ein zulässiges Auslieferungsersuchen vorliegt, mit einer Durchführung des ordnungsgemäßen Auslieferungsverfahrens zu rechnen ist und der Haftgrund der Fluchtgefahr vorliegt", heißt es in einer Erklärung.

Die angebliche Fluchtgefahr, die auch der Generalstaatsanwalt sieht, erstaunt ganz besonders. Nachdem Spanien einen ersten Europäischen Haftbefehl ausgestellt hatte, meldete sich Puigdemont sofort im belgischen Exil bei den Behörden und wurde dort sofort wieder - anders als in Deutschland - auf freien Fuß gesetzt. Dort sind nun seine drei Mitstreiter nicht inhaftiert worden, als der Haftbefehl gerade wieder gestellt wurde.

Die Generalstaatsanwaltschaft kauft dem spanischen Richter komplett seinen Diskurs ab. Man fabuliert von "gewaltsamen Auseinandersetzungen, die bereits am 20. September 2017 zwischen Bürgern und der Guardia Civil stattgefunden" hätten. Doch die sind eine Erfindung des Richters Llarena. Darauf basiert dann, dass "eine Eskalation der Gewalt für den Tag des Referendums (1. Oktober 2017) zu erwarten" gewesen sei. "Trotzdem habe die autonome Regierung Kataloniens - darunter auch der Verfolgte als deren Präsident - entschieden, das Referendum stattfinden zu lassen, und die Kräfte der autonomen Polizei verpflichtet sicherzustellen, dass die Befürworter des Abspaltungsprozesses an der Wahl teilnehmen können."

"Ohne Gewalt gibt es keine Rebellion"

Schon die Wortwahl zeigt, wie parteiisch hier argumentiert wird. 1. Haben die Mossos friedlich mehr Wahllokale geschlossen als die spanischen Sicherheitskräfte und 2. haben sie auch sichergestellt, dass Gegner an dem Referendum teilnehmen konnten und teilgenommen haben. Dass sich deutsche Juristen nicht an Fakten halten, sondern sich an spanischen Märchen orientieren, ist hanebüchen. Es gab am 20. September keine Auseinandersetzungen mit der Guardia Civil. Eine Eskalation und Gewalt ging am 1. Oktober beim Referendum nur von Seiten der Guardia Civil und der Nationalpolizei in einer "gut geplanten militärähnlichen Operation aus", wie internationale Beobachter festgehalten haben. Mit in Katalonien illegalen Gummigeschossen friedlichen Bürgern das Augenlicht wegzuschießen, ist also auch für den Generalstaatsanwalt ein Beleg für die Gewalt von Seiten der Unabhängigkeitsbewegung, um eine Art Putsch herbei zu fabulieren.

Denn ausgeliefert werden sollen Puigdemont und seiner Mitstreiter vor allem wegen angeblicher Rebellion. Doch diese Vorwürfe halten auch zahlreiche hochstehende spanische Juristen "grotesk". Denn dafür sei eine "gewaltsame Erhebung" nötig, erklärte der Verfassungsrechtler Javier Pérez Royo in einem Gastbeitrag für eldiario.es. Er schreibt, es könne keine Rebellion sein, gewaltfrei für das Ziel der Unabhängigkeit einer Region einzutreten, erklärt der Professor aus Andalusien: "Ohne Gewalt gibt es keine Rebellion."

Das ignoriert man in der deutschen Generalstaatsanwaltschaft genauso wie die Tatsache, dass das deutsche Strafgesetzbuch ohnehin keine Rebellion kennt. Deshalb muss die Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis gelangen, dass die Vorwürfe mit Hochverrat vergleichbar sein sollen und dafür reicht dem Generalstaatsanwalt praktisch schon die Durchführung eines Referendums: "Der Vorwurf der Rebellion beinhaltet im Kern den Vorwurf der Durchführung eines verfassungswidrigen Referendums trotz zu erwartender gewaltsamer Ausschreitungen", die es allerdings nur von Seiten spanischer Sicherheitskräfte gab. "Dies findet eine vergleichbare Entsprechung im Deutschen Strafrecht in den §§ 81, 82 Strafgesetzbuch (Hochverrat). Eine wortgleiche Übereinstimmung der deutschen und spanischen Vorschriften ist insoweit gesetzlich nicht gefordert."

Eigentlich hatten Experten erwartet, dass es bestenfalls zu einer Zustimmung wegen angeblicher "Veruntreuung" geben dürfe, da inhaltlich die Vorwürfe ja nicht geprüft werden. Hier hält die Staatsanwaltschaft die vergleichbare Untreue für möglich. Nicht dass Puigdemont vorgeworfen wird, er und seine Minister hätten sich die Taschen mit Geld vollgestopft. Der Vorwurf lautet, sie hätten Geld für das Unabhängigkeitsreferendum eingesetzt, so wie es im Wahlkampf versprochen und durch Gesetze abgesichert war, die das katalanische Parlament beschlossen hatte. Das Referendumsgesetz wurde zudem erst nach dem Referendum vom Verfassungsgericht gekippt.

Deshalb halten viele Juristen im spanischen Staat auch eine angebliche Veruntreuung nur für vorgeschoben. 650 Juristen haben sich an den Europarat gewandt haben, um eine "Judikalisierung" der Politik und "schwerwiegende Verstöße gegen Rechte und Freiheiten" anzuzeigen, zu denen die Aussetzung der Autonomie und die Zwangsverwaltung aus Madrid genauso gehören, wie das brutale Vorgehen von spanischen Sicherheitskräften gegen Teilnehmer am Unabhängigkeitsreferendum.

Gang vor das Bundesverfassungsgericht bereits angekündigt

Schon bevor die Staatsanwaltschaft in Deutschland am Dienstag entschieden hatte, hat Puigdemont seinerseits vor dem spanischen Obersten Gerichtshof Widerspruch gegen den Vorwurf der Rebellion eingelegt. Er hat in dem 85-seitigen Schreiben auch gefordert, die Anschuldigungen zurückzuweisen, er habe öffentliche Mittel veruntreut. Puigdemonts Anwalt Jaume Alonso Cuevillas hat den Einspruch auch im Namen der ehemaligen Minister Clara Ponsati und Lluis Puig eingelegt. Ponsati befindet sich in Großbritannien und Puig in Belgien, wo sie genauso wenig inhaftiert wurden, wie die in der Schweiz Exilierten Katalaninnen Anna Gabriel und Marta Rovira. Deutschland steht international also weiter mit seinem Vorgehen allein.

Allerdings ist hier das letzte Wort natürlich nicht gesprochen. Der Ball wurde nun dem zuständigen Gericht zugespielt. Über den Antrag der Staatsanwaltschaft muss nun das schleswig-holsteinische Oberlandesgericht (OLG) entscheiden. Allerdings hat Puigdemonts Verteidiger bereits den Gang bis zum Bundesverfassungsgericht angekündigt. Sein deutscher Anwalt Wolfgang Schomburg hatte schon erklärt, nach Karlsruhe zu ziehen, wenn das OLG seinen Mandanten nicht freilasse. Der anerkannte internationale Strafrechtler fordert zudem von der Bundesregierung, ein Veto gegen die Auslieferung auszusprechen.

Gegen eine Auslieferung an Spanien hat sich auch Die Linke schon ausgesprochen. Der europapolitische Sprecher Andrej Hunko erklärte im Interview, dass es sich "offensichtlich um einen politischen Prozess" handele und "Rebellion nur vorgeschoben" werde: "Ich gehe letztlich davon aus, dass er nicht ausgeliefert wird." Denn Rebellion sei in Deutschland kein anerkannter Straftatbestand und setze Gewalt voraus, zu der Puigdemont aber nie aufgerufen habe.

Hunko, der die Vorgänge wie beim Referendum auch vor Ort beobachtet hat, hält Spanien nur für einen "eingeschränkten" Rechtsstaat, der vom Erbe der Franco-Diktatur geprägt ist. Er verweist darauf, dass auch der Europäische Menschenrechtsgerichtshof Spanien immer wieder verurteilt und auch die Vereinten Nationen das Land immer wieder kritisiert wird, wegen der fehlenden Unabhängigkeit der Justiz.

Gegen eine Auslieferung wurde am Wochenende schon in verschiedenen deutschen Städten wie in Berlin demonstriert. Am kommenden Samstag soll es um 13 Uhr 30 eine weitere Demonstration in Neumünster gegen die Auslieferung und für die "Freiheit für Puigdemont" geben, wo Puigdemont im Knast sitzt. Zu der Demonstration rufen der Katalanische Nationalkongress (ANC-Deutschland), die Antifa in Kiel und die Komitees zur Verteidigung der Republik (CDR) auf.

Auch die Komitees zur Verteidigung der Republik (CDR) sollen wegen Rebellion und Veruntreuung angeklagt werden

Die CDR geraten in Spanien mit ihren Aktionen immer stärker ins Blickfeld der spanischen Repression. Da sie vor allem für Straßen-, Autobahn- und Schienenblockaden verantwortlich sein sollen, rückt nun das spanische Ministerium für Staatsanwaltschaft auf den Plan und will auch Verantwortliche der CDR wegen Rebellion anklagen. Auch hier wird wieder von Gewalt phantasiert und das Vorgehen mit dem militanten Straßenkampf (kale borroka) verglichen, den es neben den bewaffneten Aktionen der ETA im Baskenland lange Jahre gab.

Die Debatte ist vor allem über die Ostertage daran hochgekocht, dass Autobahnen nicht blockiert, sondern Zahlstellen der Autobahnen geöffnet und damit die Fahrer nicht zur Kasse gebeten wurden. So hat sich nun die Staatsanwaltschaft am Sondergericht "Audiencia Nacional" eingeschaltet. Die Staatsanwaltschaft am Nationalen Gerichtshof will nicht nur Rebellion sehen, sondern auch wegen "Veruntreuung" ermitteln.

Man fragt sich, welches Geld denn die CDR veruntreuen, die Straßen blockieren oder Mautstellen öffnen? Aber hinter dem Vorgehen könnte schon jetzt das Kalkül stecken, im Notfall darüber eine Chance für eine Auslieferung aus einem EU-Staat zu haben. Für einen europäischen Haftbefehl braucht es zudem eine Strafandrohung, die über 12 Monaten liegt. Zwar ist in Deutschland noch nicht absehbar, ob sich das OLG der Ansicht der Staatsanwaltschaft anschließt, doch die Bereitschaft, die von Spanien herbeifabulierte Rebellion zu sehen, ist zum Beispiel in Belgien mehr als gering. Und sogar die Schweiz hat schon deutlich gemacht, dass man die beiden Katalaninnen nicht ausliefern will, weil es sich um "politische Delikte" handelt.