Skripal-Fall: OPCW-Sondersitzung belegt Eskalationsstrategie und Medienkrieg beider Seiten

Als entlarvend für die "Spin-Maschine" der britischen Regierung, die Russland verantwortlich machen will, erweist sich die Aussage des Militärlabors in Porton Down und die Löschung eines Tweets

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die britische Regierung fährt ihren offensichtlich eskalierenden Kurs gegen Russland weiter, obgleich mittlerweile deutlich wurde, dass das britische Militärlabor zwar von einem militärischen Nervengift aus der Nowitschok-Gruppe spricht, aber nicht sagen kann, woher es kommt (Herkunft des Nowitschok-Nervengifts unbekannt). Auf der von Russland einberufenen OPCW-Sondersitzung forderte Russland eine gemeinsame britische-russische Untersuchung des Skripal-Anschlags, u.a. auch deswegen, weil die Skripals russische Staatsbürger sind und Großbritannien sowie die sich mit dem Land solidarisch erklärten Staaten immer monieren, Russland würde nicht kooperieren.

Schon im Vorfeld bezeichnete das britische Außenministerium den Vorschlag als "pervers", eine Formulierung, die den Konflikt offensichtlich anschüren soll, wo die britische Regierung und insbesondere Außenminister Johnson gerade über die Ergebnisse des Militärlabors in Porton Down gestolpert sind und nun auf erweiterte Geheimdiensterkenntnisse und allgemeine Vorwürfe ausweichen müssen, um die russische Regierung als verantwortlich für den Anschlag zu beschuldigen. Zudem hatte der Leiter des Labors nicht abgestritten, dass es über Proben von Nowitschok verfügt, sondern die Frage nicht beantwortet, sondern nur gesagt, es könne die vier Wände des Labors nicht verlassen haben.

Die britische Regierung hatte sich bereits geweigert, Proben des Gifts an Russland zur Analyse zu geben. Da hätte die britische Regierung eigentlich keine zusätzlichen Probleme fürchten müssen. Aber es scheint eine Strategie zu sein, Russland mangelnde Mitwirkung vorzuwerfen und gleichzeitig jede Kooperation auszuschließen. Dem haben sich auch die solidarischen Nato- und EU-Länder sowie die EU selbst in der OPCW-Sondersitzung angeschlossen. In der Abstimmung wurde der russische Vorschlag mit 15 gegen die 6 Stimmen von China, Aserbeidschan, Sudan, Algerien und Iran abgelehnt. Aber es haben sich 17 Staaten enthalten, drei waren nicht anwesend, was darauf hinweist, dass sich eine Mehrheit bei der unsicheren Lage keinem Lager anschließen wollen.

Der britische Vertreter John Foggo sagte, dass das Opfer eines chemischen Angriffs nicht mit den "wahrscheinlichen Täter" zusammenarbeiten müsse, das sei "pervers". Er verwies zudem auf nicht wirklich aufgeklärte Chemiewaffeneinsätze in Khan Sheikhoun 2016 und auf das britische Ultimatum, dem Russland nicht gefolgt sei. So hatte man innerhalb von 24 Stunden wissen wollen, wie das militärische Nervengift nach Salisbury gekommen ist, ohne Russland eine Probe zu geben, um das überhaupt nachprüfen zu können. Dass dem Russland nicht nachgekommen ist, wird seitdem als Bestätigung der verweigerten Kooperation ausgelegt.

Dabei ist schon die Frage, ob Großbritannien das Opfer ist und nicht vielmehr der russische Doppelagent oder auch eventuell seine Tochter. Die ist mittlerweile wieder bei Bewusstsein, wird aber von der britischen Regierung aus welchen Gründen auch immer von der Öffentlichkeit ausgesperrt. Auch der russischen Botschaft wurde bislang ein Zugang verweigert. Unklar ist, ob die britische Regierung einer Verwandten von Julia einen Besuch bei ihrer Kusine erlauben wird.

Britische Regierung übt sich in alternative Fakten

Nach der Niederlage Russlands in der OPCW hat der britische Außenminister Boris Johnson, der sich durch den Fall als Konkurrent von Theresa May profilieren wollte, während diese damit ihre wackelige Position sichern will, wieder kräftig Propaganda gemacht. Er sprach davon, dass "die internationale Gemeinschaft" wieder mit Großbritannien gegen Russland zusammen gestanden sei, das nur den Anschlag verdunkeln wolle. Der russische Antrag sei "robust" zurückgewiesen worden, von den 17 sich enthaltenden Staaten sprach Johnson lieber nicht, das wird nur am Schluss erwähnt. Johnson wirft doppelzüngig Russland vor, nun eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats einzuberufen, ohne die Ergebnisse der OPCW-Untersuchung abzuwarten. Die hatte freilich auch die britische Regierung nicht abgewartet, sondern gleich mit dem Finger auf Russland gezeigt und zudem die Einschaltung der OPCW hinausgezögert.

Johnson hatte sich dabei besonders hervorgetan und behauptet, das Militärlabor in Porton Down habe bestätigt, dass das Nervengift aus Russland kommt. Ein Tweet des britischen Botschafters in Russland, Laurie Bristow, war bereits mit dem Interview des Laborchefs wieder bekannt geworden, was das Außenministerium dann dazu veranlasste, diesen zu löschen. Dummerweise hatte Johnson nämliches in einem DW-Interview geäußert, das sich nicht so leicht von Seiten der britischen Regierung löschen lässt. Das britische Außenministerium erklärte ziemlich unglaubwürdig, der Tweet habe nicht exakt wiedergegeben, was Bristow gesagt habe.

Genau das hatte er aber auch in dem Interview am 20. März gesagt, als er gefragt wurde, warum er so sicher sei, dass das Nervengift aus Russland komme: "Wenn ich auf den Beweis der Leute von Porton Down, dem Labor, schaue, dann waren sie sehr bestimmt (absolutely categorical). Ich fragte den Mann selbst: 'Sind Sie sicher?' Und er sagte: 'Es gibt keinen Zweifel.' Daher haben wir kaum eine Alternative, als uns für die Aktion zu entscheiden, die wir ausgeführt haben." Damals lamentierte er auch, dass Russland nicht bereit sei, bei der Aufklärung zu helfen, machte aber auch klar, dass man Russland keine Proben geben will. Russlands Haltung sei "zunehmend bizarr".

Es ist klar, dass die russische Regierung nun die alternativen Fakten der britischen Regierung aufgreift. Johnson hatte in dem mittlerweile gelöschten Tweet geschrieben, dass die "weltweit führenden Experten" des Militärlabors es "klar" gemacht hätten, dass das Nowitschok "in Russland hergestellt wurde". Er fügte hinzu, um die Glaubwürdigkeit seiner Behauptung zu stärken, dass Porton Down ein bei der OPCW akkreditiertes Labor sei. Man müsse also auf deren Analysen vertrauen. Allerdings hatte das Labor eben dies nicht gesagt und auch nicht bestätigt.

Es ist eine dämliche Aktion gewesen, den Tweet zu löschen, anstatt ihn nur nachträglich zu erklären. Damit wird nur deutlich, wie die "strategische Kommunikation" der britischen Regierung funktioniert. Jetzt wirft Johnson dem Labour-Chef Jeremy Corbin, der Johnsons Äußerungen als übertrieben kritisiert hatte, vor, auf der Seite der "russischen Spin-Maschine" zu stehen. Jede Kritik wird also bereits als im Dienste des Feinds dargestellt: "It is lamentable that Jeremy Corbyn is now playing Russia’s game and trying to discredit the UK over Salisbury attack." Deutlich ist nur, dass die Nervengiftattacke, wer immer auch für sie verantwortlich sein mag, Propagandamaschinen auf allen Seiten angeworfen hat, die Nebel erzeugen und an Aufklärung nicht interessiert sind. Bei diesem Spiel sollten Medien weder auf der einen noch auf der anderen Seite mitspielen, sondern vielmehr die Interessen aufdecken.