Brasiliens Rechte urteilt sich an die Macht zurück

Lula da Silva auf einer Wahlkampfveranstaltung am 15. März 2018. Bild: WANDAICK COSTA/CUT/CC BY-SA-2.0

Oberste Richter machen Weg für Inhaftierung von Ex-Präsident Lula da Silva frei und erhöhen Chancen auf einen rechtsextremen Präsidenten

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Eine knappe Mehrheit der Richter des Obersten Gerichtshofes von Brasilien hat sich am späten Mittwochabend nach einer elfstündigen Marathonsitzung für die Vollstreckung eines Haftbefehls gegen den ehemaligen Präsidenten (2003-2011) Luiz Inácio Lula da Silva ausgesprochen. Die Entscheidung am Ende eines umstrittenen und offenbar politisch motivierten Prozesses nimmt unmittelbar Einfluss auf die für Oktober angesetzten Präsidentschaftswahlen, für die Lula da Silva zuletzt mit knapp 40 Prozent in Führung lag.

Nun wiesen sechs der elf Richter einen sogenannten Habeas-Corpus-Antrag der Anwälte Lula da Silvas zurück, mit dem die Haftanweisung bis zur Ausschöpfung aller rechtlichen Mittel ausgesetzt werden sollte. Eine zeitnahe Inhaftierung des beliebten Politikers ist damit sehr wahrscheinlich. Das Urteil dürfte die ohnehin politisch polarisierte Situation in dem südamerikanischen Land weiter anheizen. Parallel zur Gerichtssitzung gingen in mehreren Städten des Landes zehntausende Anhänger des linksgerichteten Politikers auf die Straßen.

Ende Januar hatte ein Berufungsgericht in Porto Alegre den Ex-Präsidenten der linksgerichteten Arbeiterpartei (PT) wegen Korruption zu zwölf Jahren und einem Monat Haft verurteilt. Die Richter erhöhten das Strafmaß damit gegenüber der ersten Instanz sogar noch um vier Jahre. In dem Prozess ging es zuletzt vor allem um ein Strandappartement, das der Familie Lula da Silvas vom Baukonzern Odebrecht als Gegenleitung für politische Gefälligkeiten nach einer Luxussanierung überlassen worden sein soll. Schriftliche Belege dafür gab es jedoch nicht.

Zudem hatte der umstrittene Bundesrichter Sergio Moro den Ex-Präsidenten in erster Instanz Mitte 2017 wegen Geldwäsche und der Annahme von umgerechnet rund 900.000 Euro Schmiergeld zu gut neun Jahren Haft verurteilt und ihm das passive Wahlrecht aberkannt. Die Beweisführung war jedoch umstritten und der Ermittlungsprozess von Unregelmäßigkeiten überschattet. Lula da Silva und seine Partei sprechen von einem politisch motivierten Prozess, der eine Rückkehr der PT an die Regierung verhindern soll.

Eine Inhaftierung Lula da Silvas könnte Rechtsextremen an die Macht bringen

Ähnlich sahen das erwartungsgemäß tausende Anhänger des Verurteilten. "Wahlen ohne Lula sind Betrug", skandierten sie am Mittwoch in der Nähe des Obersten Gerichtshofes. Und tatsächlich: Wird die Kandidatur Lula da Silvas verhindert, hätte mit Jair Balsonaro ein derzeit weit abgeschlagener Rechtsextremer Chancen, das höchste Staatsamt zu übernehmen, obwohl er in Umfragen auf kaum 20 Prozent kommt.

Der ehemalige Militär und Anhänger der Militärdiktatur hatte jüngst von sich reden gemacht, weil er bei Wahlkampfauftritten mit einer symbolischen Waffe auf ein Bild von Lula gezielt und einen Kopfschuss angedeutet hat. Bei der umstrittenen Absetzung der Lula-Nachfolgerin und PT-Genossin Dilma Rousseff hatte er seine Stimme zudem demjenigen Militär gewidmet, der die linksgerichtete Politikerin während der Diktatur gefoltert hatte. Wenn Teile der Justiz Lula da Silva ins Gefängnis schicken, wird der Rechtsextremist trotz eines relativ geringen Stimmenanteils zum aussichtsreichsten Kandidaten auf das höchste Staatsamt.

Nicht wenige Beobachter in Brasilien, Lateinamerika und auf internationaler Ebene sehen den Prozess gegen Lula da Silva vor diesem Hintergrund als Fortsetzung einer Art zivil-institutionellen Putsches gegen die PT (Brasilien: Putschisten in Richterroben). Sie verweisen auf die umstrittene Absetzung der Lula-Nachfolgerin Dilma Rousseff im August 2016, mit deren Hilfe - damals offenbar in Absprache mit der politischen Rechten - Rousseffs Vize Michel Temer die Macht ergreifen konnte.

Ähnlich wie der Prozess gegen Lula da Silva basierte die Amtsenthebung Rousseffs auf einer dünnen Indizienlage. Ihre Gegner warfen ihr Haushaltstricks vor, die sie nach der Absetzung der linksgerichteten Politikerin allerdings selbst umgehend legalisierten. Beide Verfahren - die Absetzung Rousseffs und die mögliche Inhaftierung Lula da Silvas - verschafften der neoliberalen Rechten einen nachhaltigen Vorteil, den sie bei freien Wahlen wohl nicht erreicht hätten. Auf diesem Umstand stützt sich die These eines "parlamentarischen und juristischen Putsches" gegen die PT und ihre Spitzenvertreter.