Puigdemont: Schlappe für Madrid

Puigdemont bedankt sich bei allen: "Ens veiem demà. Moltes gràcies a tothom!" Bild: KRLS

Oberlandesgericht Schleswig-Holstein: Anklage wegen Rebellion "von vornherein unzulässig"

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In Madrid sieht man wieder einmal das harte Vorgehen gegen die katalanischen Unabhängigkeitsbefürworter zusammenbrechen, nachdem zwar die deutsche Polizei Carles Puigdemont auf der Durchreise von Dänemark nach Belgien aufgrund des Europäischen Haftbefehls festgenommen hatte, das Oberlandesgericht aber nun den Vollzug des Auslieferungshaftbefehls wegen Rebellion ausgesetzt hat. Wieder also wurde der spanischen Regierung und der spanischen Justiz demonstriert, dass sie das scheinbar rechtliche Vorgehen politisch missbraucht.

Zuvor hatte zwar die Generalstaatsanwaltschaft erklärt, dass eine Auslieferung aufgrund der Anklage nicht aussichtslos sei, weswegen ein Auslieferungshaftbefehl beantragt wurde. Nun macht das OLG aber gegenüber Madrid unmissverständlich klar, dass die Anklage wegen Rebellion völlig überzogen ist. Sie wird "als von vornherein unzulässig" bezeichnet. Nach deutschem Recht wäre das Verhalten nicht strafbar, es fehle vor allem die Gewalt.

Allerdings weist das OLG zurück, was Madrid wieder entgegenkommt, dass Puigdemont politisch verfolgt werde. Dies deswegen, weil es den Vorwurf der Untreue noch nicht als unzulässig betrachtet. Eine Veruntreuung öffentlicher Gelder wäre, so das OLG, eine "konkrete, auch nach deutschem Recht als Untreue strafbare Handlung", womit nicht eine "politische Gesinnung" verfolgt würde.

Unter Auflagen darf jedoch Puigdemont aus der Haft entlassen werden. Es bestehe noch Fluchtgefahr, aber sie sei "deutlich herabgemildert". Er muss in Deutschland bleiben und eine Kaution von 75.000 Euro hinterlegen. Wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder könnte freilich Puigdemont immer noch auf 8 Jahre Gefängnisstrafe verurteilt werden, für Rebellion wäre die Höchststrafe 25 Jahre. ANC und Òmnium werden die Kaution bezahlen, Puigdemont wird heute schon wieder ein bedingt freier Mann sein.

Allerdings zeigt sich das deutsche Gericht in der näheren Begründung als überraschend konziliant gegenüber Madrid. Man will offensichtlich Rückwirkungen auf die deutsche Gesetzgebung verhindern. So müsse von der "ausgeübten Gewalt ein derartiger Druck auf das Verfassungsorgan ausgehen, der geeignet ist, den entgegenstehenden Willen des Verfassungsorgans zu beugen. Das sei hier nicht der Fall."

Zugestanden wird aber, dass Puigdemont "als Initiator und Verfechter der Umsetzung des Referendums die am Wahltag stattgefundenen Gewalttätigkeiten zuzurechnen" seien, was von prospanischen Medien wie El Pais entsprechend hervorgehoben wird. Die sind freilich nur von der spanischen Polizei ausgegangen, die das Referendum auch mit brutalen Mitteln zu verhindern suchten. Deren Vorgehensweise der Verantwortung von Puigdemont zuzuschreiben, ist eigentlich nicht nachvollziehbar.

Wird Spanien wieder den Europäischen Haftbefehl zurückziehen?

Sollte Puigdemont ausgeliefert werden, so dürfte er nur noch wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder angeklagt werden, sofern das OLG diesen Vorwurf letztlich als zulässig beurteilt. Gut möglich daher, dass Spanien den Europäischen Haftbefehl wie schon einmal wieder zurückzieht. Dann wäre Puigdemont außerhalb Spaniens zwar ein freier Mann, könnte aber in Spanien weiterhin wegen Rebellion festgenommen und angeklagt werden.

Vorerst stellt sich die spanische Regierung stur. Sie sei überzeugt, sagten Quellen gegenüber El Pais, dass "die spanische Justiz die angemessensten Mittel angesichts der neuen Umstände übernommen hat, um die Einhaltung der Gesetze unseres Landes zu schützen". Die spanischen Sozialdemokraten stellen sich weiterhin hinter die konservative PP-Regierung. Der PSOE-Parteichef Pedro Sanchez sagte: "Es ist so gefährlich, die Politik zu verrechtlichen, wie die Justiz zu politisieren. Wichtig ist, dass Puigdemont ausgeliefert wird, um zur Rechenschaft gezogen zu werden." Es wäre an der Zeit, dass die deutsche Regierung sich von der Politisierung der Justiz distanziert und die Regierung in Madrid auffordert, Gespräche mit den Unabhängigkeitsbefürwortern aufzunehmen, um den Konflikt nicht durch Repression, sondern politisch zu lösen. Aufgerufen dazu wären vor allem die sozialdemokratischen Minister in der deutschen Regierung, allen voran die Justizministerin Katarina Barley und Außenminister Heiko Maas, hier etwas mehr Rückgrat als ihre spanischen Genossen zu zeigen. Die Behauptung, dass sich hier die Politik heraushalten müsse, ist scheinheilig und feige. Kein Wunder, wenn die SPD jeden Rückhalt verliert.

Für Puigdemont und die Anhänger der katalanischen Unabhängigkeit ist die Entscheidung des OLG erst einmal ein Sieg. Wie es weitergehen wird, ist allerdings völlig offen, denn sowohl die Unabhängigkeitsbefürworter wie auch die spanische Regierung, die reihenweise katalanische Politiker inhaftiert und strafrechtlich verfolgt, haben sich in Positionen verbarrikadiert, die keine vernünftige Lösung zulassen und womöglich in Gewalt explodieren können. Schon lange ist es kein innerspanisches Problem mehr. Daher müsste sich die EU vermittelnd und nicht eskalierend einschalten. Das ist schwieriger, als Einheit gegen den gemeinsamen Feind Russland zu demonstrieren.