Puigdemont ist frei - Desaster für spanische Repressionspolitik

Bild: KRLS

Spanien wurde in Deutschland für einen "von vorneherein unzulässigen" Rebellionsvorwurf abgewiesen, ob wegen "Untreue" ausgeliefert wird, ist noch zu klären

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Als "Desaster für Spanien" bezeichnen Vertreter der rechten spanischen Regierung hinter verschlossenen Türen die Entscheidung, dass der Rebellionsvorwurf gegen Carles Puigdemont in Deutschland gekippt und er nun freigelassen worden ist. Der ehemalige katalanische Regionalpräsident Puigdemont hat die Kaution bezahlt und kann damit ab sofort das Gefängnis verlassen. Der schleswig-holsteinische Generalstaatsanwalt teilte mit, Puigdemont habe die vom Oberlandesgericht in Schleswig auferlegten Bedingungen für seine Freilassung nun erfüllt.

Offiziell gibt die PP vor, als würde sie die Entscheidung des Oberlandesgerichts in Schleswig-Holstein respektieren. "Einige Justizentscheidungen gefallen uns besser, andere weniger", bedauerte Justizminister Rafael Catalá die Entscheidung. Doch hinter den Kulissen sieht das ganz anders aus. Man analysiert, dass auch in Deutschland nun vor ganz Europa die spanische Justiz in Frage gestellt wird. Man geht in Madrid in der Regierung auch davon aus, dass dies die Unabhängigkeitsbewegung weiter stärkt.

Die spanische Regierung schließt deshalb nicht einmal aus, dass der Ermittlungsrichter Pablo Llarena nun den Europäischen Haftbefehl - erneut - zurückzieht. Schon einmal hatte er den Schalter auf "Off" zurückgestellt, als in Belgien im vergangenen Dezember klar wurde, dass die Auslieferung dort abgelehnt werden würde. "Die Regierung ist überzeugt davon, dass die spanische Justiz die angemessenen Maßnahmen ergreift, um den neuen Umständen gerecht zu werden und über die Einhaltung der Gesetze in unserem Land zu wachen." So kryptisch erklärt sich die Regierung von Mariano Rajoy, dass sie mit diesem Ausgang wahrlich nicht gerechnet hat.

Madrid war nach der Festnahme des "legitimen" katalanischen Präsidenten überzeugt, unter zweifelhafter Mithilfe spanischer Geheimdienste, nun werde Puigdemont an Spanien ausgeliefert, um ihn für bis zu 30 Jahre einknasten . Diese spanischen Repressionsträume sind nun zerstört.

In der spanischen Medienmaschinerie hatte man schon Sieg geschrien, als der deutsche Generalstaatsanwalt die Auslieferung gefordert hatte, wobei auch er sich noch eine Hintertür offen gelassen hatte, wie Telepolis herausgefunden hatte (Puigdemont und die Gewaltenteilung) Das hatten die vielen "Experten" für deutsches Straf-, Verfassungs- und Auslieferungsrecht, die plötzlich auf allen Kanälen als Dampfplauderer die baldige Auslieferung des "Rebellen" feierten, natürlich weder berichtet noch recherchiert. Ihnen ist in ihrer Filterblase auch entgangen, dass es viele in Europa bemerkt haben, dass die spanische Regierungsjustiz absurde Rebellionsanklagen zimmert, um juristisch bemäntelt Gegner auszuschalten.

Es wurde zuletzt sogar durch eine plötzliche Inhaftierung vom Richter Pablo Llarena verhindert, dass die Wahlergebnisse umgesetzt und demokratisch bestätigte Kandidaten zum Präsidenten in Katalonien gewählt werden können. Auch der Hintergrund wird vielen Menschen immer klarer: Die von Spanien verordneten Zwangswahlen haben nicht das Ergebnis gebracht, das sich die Unionisten erhofft hatten. Also wurde, bis hoch zum spanischen Verfassungsgericht, über Tricks und Anklagen bisher erfolgreich verhindert, dass die Ergebnisse der Wahlen auch umgesetzt werden und eine Regierung gebildet werden kann.

Es wäre also eine demokratische Katastrophe gewesen, wäre das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht den Ausführungen des Generalstaatsanwalts gefolgt, der den Spaniern ihre absurde Argumentation vollständig abgekauft hatte. Er ging eigentlich sogar noch über Llarena hinaus. Der Richter am Obersten Gerichtshof stützt seine Anklagen darauf, dass eine mögliche "Eskalation der Gewalt für den Tag des Referendums (1. Oktober 2017) zu erwarten" gewesen sei, die es bekanntlich aber nur von Seiten der spanischen Sicherheitskräfte gab. Obwohl das längst bekannt war, meinte der Generalstaatsanwalt aber, sogar der Vorwurf von Hochverrat sei erfüllt, wenn "zu erwarten ist", dass es Ausschreitungen geben könne. Ganz egal, ob es sie tatsächlich gab oder nicht. Es werden vom Richter und vom Generalstaatsanwalt in Schleswig-Holstein keine realen Geschehnisse beurteilt, sondern auf haltlosen Prognosen schwerste Anklagen formuliert.

Ist Puigdemont keiner Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt?

Dass die Richter am Oberlandesgericht (OLG) dieser Auffassung nicht gefolgt sind, Spaniens Repressionspolitik also nun eine schwere Schlappe einstecken muss, ist nur zu begrüßen. Allerdings ist die Entscheidung bei genauerer Sicht dann doch widersprüchlich. Denn zunächst erklärt das Gericht: "Der I. Strafsenat ist der Auffassung, dass sich hinsichtlich des Vorwurfs der "Rebellion" die Auslieferung als von vornherein unzulässig erweist." Der Vorwurf des Hochverrats sei nicht erfüllt, weil es am Merkmal "Gewalt" fehle.

Der Senat führt zudem aus, dass nicht irgendwelche Gewalt - die auch von Provokateuren oder von Sicherheitskräften kommen kann - ausreichen würde. Die Kammer verweist auf den Bundesgerichtshof und definiert, dass es nicht ausreicht, dass Gewalt angedroht oder angewendet wird, "um ein Verfassungsorgan zu einem erstrebten Handeln zu veranlassen." Erforderlich sei auch, "dass von der gegenüber Dritten ausgeübten Gewalt ein derartiger Druck auf das Verfassungsorgan ausgehe, der geeignet ist, den entgegenstehenden Willen des Verfassungsorgans zu beugen."

Diese Argumentation ist stimmig, alles andere würde das Demonstrationsrecht nebenbei komplett auch in Deutschland praktisch aushebeln. Dann kommt aber eine politische Aussage, die das Gericht gar nicht treffen kann. Der Senat meint, er sehe "keine Anhaltspunkte dafür, dass Carles Puigdemont der Gefahr politischer Verfolgung im Sinne des § 6 Abs. 2 IRG ausgesetzt sein könnte". Aber das kann dieses Gericht gar nicht beurteilen! Es hat sich, auch nur kurz, damit beschäftigt, ob der spanische Rebellionsvorwurf mit dem deutschen Hochverrat und die angebliche Veruntreuung mit Untreue vergleichbar sind.

Hätte das Gericht einen Blick auf den spanischen Strafrechtsartikel 472 zu Rebellion geworfen, hätte es festgestellt, dass sich der Rebellion nur diejenigen schuldig machen, die sich "öffentlich und gewaltsam erheben". Der Autor des Artikels hatte Putsche wie 1981 im Blick, als die Guardia Civil bewaffnet das Parlament stürmte. Stellt das OLG also fest, dass es keine Gewalt gab, stellt es auch fest, dass es keine Rebellion in Spanien geben konnte. Also müsste sich die Kammer die Frage stellen, warum dort solch "groteske" Anschuldigungen gegen Politiker erhoben werden und sich 650 Juristen gegen die "Judikalisierung" der Politik und "schwerwiegende Verstöße gegen Rechte und Freiheiten" wenden. Schließlich werden sogar Präsidentschaftskandidaten nicht ins Parlament gelassen. Damit werden ihre politischen Rechte ausgehebelt, wie auch das UN-Menschenrechtskomitee festgestellt.

Das Gericht hätte tatsächlich zur Einschätzung kommen können, dass in Spanien eine politische Verfolgung möglich ist oder nicht ausgeschlossen werden kann, es hätte sich wohl besser einfach dazu in Schweigen gehüllt, da das nicht untersucht wurde und für diese Entscheidung ohnehin unerheblich war. Hier sieht man dann aber doch eine politische Dimension und Handschrift. Es wurde auch politisch geurteilt, um dem spanischen Partner nicht doch massiver vor das Schienbein zu treten. Denn das würde Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht gutheißen. So wurde versucht, ohne jede Prüfung, Spanien von einer politischen Verfolgung freizusprechen. Damit hält sich das OLG eine Tür für die Auslieferung wegen angeblicher "Untreue" offen, die unmöglich wäre, wenn politische Verfolgung droht.