Skripal-Fall versinkt im Informationskrieg

Julia Skripal. Bild aus ihrem Facebook-Account

Ein Leak an die britische Presse soll die Regierung stützen, angeblich sei am 4. März eine Botschaft aus Syrien an einen russischen "Offiziellen" abgefangen worden, die ein Teil der britischen Beweiskette gewesen sein soll

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Die britische Premierministerin Theresa May hat, wie gewünscht, vom Skripal-Fall profitiert, durch den sie sich stark gegenüber Russland gab und eine von der britischen und der amerikanischen Regierung entwickelte Koalition entstand, die das erodierende transatlantische Bündnis und die Nato ebenso wieder zusammenschweißte wie die EU und Großbritannien.

Möglicherweise hat sich Heather Nauert, die Sprecherin des US-Außenministeriums vertan, aber sie sagte während der Pressekonferenz am 27. März, auf der sie die neue Einheit von Ländern anpries, die "in Übereinstimmung mit den USA und Großbritannien" entstanden ist. Dabei wies sie darauf hin, dass "Vizeaußenminister Sullivan, Staatssekretär Wess Michell und viele anderen im Gebäude unermüdlich die letzten drei Wochen daran gearbeitet haben, diesen Grad an Kooperation und Koordination zu erreichen".

Das würde heißen, dass diese Arbeit schon kurz nach dem mutmaßlichen Anschlag auf Skripal am 4. März begonnen hat und dass demgemäß Theresa Mays Bekanntgabe am 12. März, es handele sich um das Nervengift Nowitschok und höchstwahrscheinlich um eine Tat der russischen Regierung, schon das Ergebnis der britisch-amerikanischen Absprachen war, wozu dann die anderen Länder hinzustießen. May stellte Russland das Ultimatum und ließ am 14. März 23 russische Diplomaten ausweisen. Es scheint also eine geplante Eskalationsstrategie gewesen zu sein.

Dass Theresa May ihre Position durch das starke Auftreten gegen Russland mit wenigen Beweisen in der Hand verbesserte, lässt sich aus YouGov-Umfragen erkennen. Ihre Beliebtheit begann nach dem April 2017, also nach den von ihr angesetzten Wahlen, bei denen die Konservativen Verluste erlitten, und mit den Schwierigkeiten bei den Brexit-Verhandlungen rapide zu fallen.

Spiegelbildlich schoss die Popularität von Jeremy Corbyn, dem Labour-Parteichef, in die Höhe. Corbyn lag dann bis jetzt deutlich vor May, wurde dann aber wieder von der Regierungschefin bei der Umfrage Mitte März ebenso deutlich überholt.

Für den Popularitätsanstieg waren sicherlich der Skripal-Fall und die Eskalation mit Russland entscheidend, 53 Prozent der Befragten sagten, sie habe sich hier gut verhalten. Für den Fall von Corbyn waren dessen Zweifel an der Beweiskraft der Beschuldigungen Russlands, aber auch der Antisemitismus-Streit innerhalb der Labour-Partei verantwortlich. Beide sind freilich nicht sonderlich beliebt, sondern bewegen sich im Negativen: May Anfang April bei -13 und Corbyn bei -23.

Gestern verband Therese May den Skripal-Fall auf einer Pressekonferenz in Dänemark erstmals direkt mit dem mutmaßlichen Chemiewaffenangriff. Beide zeichne eine "ähnliche Rücksichtslosigkeit" aus. Ohne Näheres anzugeben, erklärte sie, man werde, wenn das Assad-Regime dafür verantwortlich ist, dieses zusammen mit Russland zur Rechenschaft ziehen. Dabei arbeite man eng mit den Alliierten zusammen. Zur Beweislage im Skripal-Fall sagte sie nichts Neues: "Kein anderes Land weist die Kombination aus Fähigkeit, Absicht und Motiv auf, einen solche Tat zu begehen." May machte allgemein klar, dass die "gemeinsame Gefahr Russland" die Einheit stärkt.

Skripals weiter unter Verschluss, Verwandte erhält kein Visum

Die beiden Skripals werden, obgleich es ihnen mittlerweile besser geht, weiter unter Verschluss gehalten. Angeblich habe Julia Skripal nach dem britischen Außenministerium einen konsularischen Besuch abgelehnt, den die russische Botschaft von der britischen Regierung verlangt, da Julia russische Staatsbürgerin ist.

Viktoria Skripal erhält bislang noch kein Visum und darf so ihre Kusine Julia nicht besuchen, angeblich hatten die beiden aber telefoniert. Was dort gesagt wurde, ist bereits wieder Anlass für einen Streit zwischen Russland und Großbritannien. Möglicherweise hat sie einen Besuch von Viktoria abgelehnt, dies aber bestreitet.

Viktoria, die sich auch direkt an Theresa May wandte, wird offenbar als Instrument der russischen Regierung gesehen, sie gibt sich auch skeptisch, was die Verantwortung für die Tat betrifft, aber auch, ob es sich wirklich um das Nervengift Nowitschok handelt. Die russische Botschaft verlangt eine Begründung und kritisierte, dass die Haustiere von Skripal nicht nur gestorben sind, sondern auch verbrannt wurden. Das ist tatsächlich unverständlich, wenn nach Spuren des Nervengifts in der Wohnung gesucht wurde, die sich möglicherweise auch in den Tierkadavern hätten nachweisen lassen.

Wenn ein Bericht der Times stimmt, dass die britische Regierung überlegt, dass CIA und MI6 den beiden Skripals neue Identitäten verschaffen und sie in ein anderes Land bringen könnten, dann läge die Vermutung nahe, dass man entweder verhindern will, dass die beiden gegenüber der Öffentlichkeit reden oder gar nach Russland zurückkehren, natürlich aber auch, dass die Skripals Angst vor weiterer Verfolgung haben.

Ob es rechtlich legitim ist, beide Skripals, insbesondere Julia, weiter unter Verschluss zu halten, ist fraglich, wenn sie dies nicht selbst wünschen. Beide scheinen bei Bewusstsein zu sein, Julia schon des längeren, also müssten sie ihr Einverständnis dazu geben.

"Das Paket wurde geliefert"

Am Sonntag wurde dann vom Sunday Express ein Bericht veröffentlicht, der sich auf nicht näher genannte Quellen beruft und offensichtlich die britische Regierung entlasten soll. So sei von einer Überwachungseinheit der britischen Luftwaffe auf Zypern am 4. März, also am Tag des Anschlags in Salisbury eine elektronische Botschaft abgefangen worden. Sie sei von irgendwo in der Nähe von Damaskus abgeschickt und an einen "Offiziellen" gerichtet gewesen. Inhalt soll gewesen sein, dass "das Paket geliefert worden ist". Zudem soll dort gestanden haben, dass zwei Personen "einen erfolgreichen Abgang gemacht" haben.

Diese abgefangene Botschaft habe mit einer früheren einen Teil der Beweislage für die britische Regierung gebildet, um zu erklären, dass Russland höchstwahrscheinlich verantwortlich ist. Und die britische Regierung will dies auch als einen Beweis den anderen Regierungen gezeigt haben, angeblich am 23. März in Brüssel. Die Frage ist nun aber auch, warum dies so spät an die Öffentlichkeit kommt und dies auch nur in Form einer angeblichen Durchstecherei.

Die Story geht so, dass ein junger Leutnant sich angesichts dieser Mitteilung aus Syrien an eine früher abgefangene Botschaft erinnert haben soll. Die soll daraufhin relevant geworden sein, leider erfahren die Leser nicht, was in dieser früheren Mitteilung gestanden haben soll. Eigentlich seien ja beide Mitteilungen geheim, aber die Informanten ließen halt zumindest bei der zweiten ein wenig an die Öffentlichkeit, was jeden überzeugen soll.