Kriegsspiele an der europäischen Außengrenze

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Provokationen und Rüstungswettlauf zwischen Griechenland und der Türkei: Die Kriegsangst ist noch nicht extrem, jedoch in vielen Gesprächen präsent

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Die griechische Regierung beschließt im Eilverfahren ein Rüstungsprogramm über eine Milliarde Euro. Damit soll die Waffenausrüstung von Heer, Luftwaffe und Marine in einen kampfbereiten Zustand versetzt werden. In den Jahren zuvor hatten Sparmaßnahmen selbst die Wartung von Rüstung eingeschränkt.

Das griechische Verteidigungsministerium ließ 3.500 zusätzliche Soldaten an die Landgrenze zur Türkei und weitere 3.500 auf die Inseln versetzten. Im verbalen Schlagabtausch stehen sich die beiden Kontrahenten in kaum etwas nach. Die USA äußern über ihren Botschafter in Athen, Geoffrey Ross Pyatt, regelmäßig, dass sie einen bewaffneten Zwischenfall mit möglicherweise unvorhersehbaren Folgen fürchten. Grund dafür, tatkräftig zu vermitteln, sehen sie indes nicht.

Pyatt ist zuzurechnen, dass er im Winter 2017 einen bewaffneten Zwischenfall im letzten Moment verhinderte. Ein Machtwort aus Washington, die Provokationen zu unterlassen, gibt es jedoch nicht. Stattdessen reagiert die NATO mit dem Abzug von Waffensystemen aus der Türkei und der Stationierung dieser in Jordanien und Griechenland.

Wo immer sich griechische und türkische Uniformierte an der Grenze begegnen, gibt es Ärger. Selbst bei der Rettung Schiffbrüchiger Flüchtlinge versuchte der türkische Grenzschutz, eine griechisches Patrouillenboot zu rammen. Es gab in der vergangenen Woche auch den ersten Luftkampf von Drohnen, als eine türkische Spionagedrohne von griechischen Drohnen aus dem griechischen Luftraum gedrängt wurde.

Gute Zeiten für die Waffenindustrie

Die Türkei wird von ihren Lieferanten mit neuem Kriegsmaterial ausgerüstet. Der russische Präsident Wladimir Putin kündigte an, dass die von seinem Land gelieferten S-400 früher als geplant fertig sein würden. Von den USA bekommt Erdogans Luftwaffe neue moderne F-35 Kampfflugzeuge.

Deutsche Panzer werden praktischerweise direkt in der Türkei gebaut. Deshalb kann das finanziell schwache Griechenland seine militärischen Sparmaßnahmen zur Freude der gleichen Lieferanten nicht mehr im gleichen Maß wie vorher beibehalten.

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Außer dem Reparaturprogramm für Fregatten, Lufttransporter und Ähnlichem für eine Milliarde Euro, sollen schnellstens fünfundachtzig F-16 Kampfjets für 1,1 Milliarden Euro aufgerüstet werden.

In diesem Rüstungswettlauf hat Griechenland das Nachsehen. Denn anders als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kann der griechische Premierminister Alexis Tsipras die Lieferanten nicht davon überzeugen, auch im eigenen Land Niederlassungen zur Produktion der Rüstungsgüter zu gründen.

Griechenland schadet das Konfrontationsklima gleich mehrfach. Es schreckt Investoren und Urlauber ab, während es die eigene Bevölkerung lähmt. Fast alle Griechen im wehrfähigen Alter haben in den letzten Wochen nach ihren Unterlagen für den Fall einer Mobilmachung gesucht.

Die Kriegsangst ist noch nicht extrem, jedoch in vielen Gesprächen präsent. Erdogan hingegen nutzt seinen immer größeren Nimbus als starker Mann für den Präsidentschaftswahlkampf.

Verbale Provokationen und Ausrutscher

Hin und wieder passiert beim Austausch der gegenseitigen Nettigkeiten ein Lapsus. Solch einer unterlief Premierminister Alexis Tsipras bei seiner Osteransprache von der Insel Tilos. Tsipras erklärte, er befinde sich am östlichsten Punkt der europäischen Außengrenze und vergaß dabei, dass unter anderen die griechischen Inseln Rhodos und Kastelorizo östlicher liegen, aber auch dass das östlicher positionierte Zypern Mitglied der EU ist.

Sein Koalitionspartner, Verteidigungsminister Panos Kammenos sieht sich dagegen bemüßigt, verbale Provokationen türkischer Regierungsvertreter in gleicher Münze zurückzuzahlen. Dies wiederum brachte die Türken dazu, sich bei der EU über den "politischen Komiker" Kammenos zu beschweren.

Im Mittelpunkt des griechischen Medieninteresses befinden sich neben den Grenzverletzungen durch türkische Küstenwach- und Marineboote, der Luftraumverletzungen und der täglichen Thematisierung neuer Provokationen zwei griechische Soldaten, die vor beinahe vierzig Tagen bei einem versehentlichen Grenzübertritt in die Hände einer türkischen Patrouille fielen.

Das aktuelle Prozedere der Türken in diesem Fall steht im Kontrast zum vorher Üblichen aber auch entgegen dem Verhalten, welches zwei NATO-Partner untereinander zeigen sollten. Die türkische Justiz warf die beiden Soldaten, die immer noch keine formale Anklage erfahren haben, schlicht ins Gefängnis in Edirne (griechisch: Adrianoupolis).

Auch im Hinblick auf die Soldaten, vergessen die griechischen Politiker es nicht, diese bei jeder Gelegenheit zu erwähnen. In seiner Karsamstagsansprache wählte Tsipras erneut eine unglückliche Formulierung. Er meinte, ganz Griechenland würde für die Wiederauferstehung der Soldaten beten.

Kammenos. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Kammenos hingegen ordnete an, dass bei den Osterfeierlichkeiten in den Kasernen im gesamten Land zwei Plätze für die Eingekerkerten frei zu halten seien. Er empfahl dies auch für die griechischen Bürger und ihre privaten Osterfestlichkeiten.

Kammenos bringt die Regierung mit zahlreichen seiner Äußerungen in Bedrängnis. Während SYRIZA-Vertreter versuchen, den Vorfall mit den zwei Soldaten als schnell lösbares Problem darzustellen, spricht Kammenos von "Geiseln", deren Haftdauer sogar fünfzehn Jahre andauern könnte.