Alchemie im frühen Universum

Abb. 2: Newtons Notizen über die Herstellung des Steins der Weisen.

Die Alchemisten des Mittelalters wollten vergeblich mit chemischen Verfahren unedles Metall in Gold umwandeln. Im frühen Universum gelang das Kunststück der Transmutation, allerdings von Energie in den leichten Elementen, die heute das Universum ausfüllen

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"Al-chemie" stammt aus "al-kimiya", ein arabisches Wort. Obwohl die Alchemisten ihr Ziel der Transmutation von Elementen nicht erreichten, entwickelten sie in ihrem Eifer viele der Laborinstrumente, die später die wissenschaftliche Chemie beflügeln sollte. Kein geringerer als Isaac Newton verbrachte unzählige Stunden mit alchemistischen Versuchen.

Die Geschichte der westlichen Alchemie beginnt, wie so vieles, mit den Griechen. Im fünften Jahrhundert vor unserer Zeit schlug Empedokles vor, alles Materielles bestünde aus den vier klassischen Grundelementen, d.h. Feuer, Luft, Erde und Wasser. Später übernahm Aristoteles diese Einteilung und verwandelte sie auch sogleich in eine kosmologische Erklärung für die "natürliche" Stelle jedes Elements im Universum. Die Metallurgie war bereits relativ alt und sie lieferte das beste Beispiel dafür, dass durch Erhitzung, Kondensation bzw. Abkühlung ein Stoff in einen anderen umgewandelt werden könnte. In der aristotelischen Tradition konnte die Veränderung einfach durch die Umschichtung der vier Grundelemente erklärt werden. Im Prinzip wäre jeder nicht-elementare Stoff in jeden anderen verwandelbar.

Abb. 1: Das alchemistische Symbol aus dem 17. Jahrhundert für den Stein der Weisen, das die vier Elemente und ihre Beziehungen darstellen soll.

Von den Griechen wanderten die chemischen und metallurgischen Erkenntnisse zu den Arabern, die die Bedeutung des systematischen Experimentierens erkannten. Jābir ibn Hayyān, ein Gelehrter aus dem achten Jahrhundert, wurde deswegen "Vater der Chemie" genannt, weil er seine Methoden und Apparaturen akribisch aufzeichnete. Im mittelalterlichen Europa erwachte anschließend die Alchemie zu neuem Leben, obwohl die atomistische Theorie und praktisch alles, was für eine wissenschaftlich fundierte Chemie nötig war, noch nicht existierte. Als europäischer Vater der Chemie ist Robert Boyle anerkannt worden, der im 17. Jahrhundert chemische Experimente nach der wissenschaftlichen Methode durchführte.

Allerdings glaubte Boyle auch an die Transmutation der Elemente und an den "Stein der Weisen", mit dem unedles Metall in Gold und Silber verwandelt werden könne. Boyle war ein Freund von Newton, der sehr interessiert an der Alchemie war und der von Boyle ein Rezept für jenen Stein bekam. Erst vor zwei Jahren wurde in einem Notizbuch von Newton ein Rezept für die Herstellung des Steins der Weisen entdeckt (Abb. 2).1 Pikanterweise war Newton dreißig Jahre lang "Master of the Mint" in England und in dieser Funktion für die Münzenprägung zuständig.

Frühtransmutation

Was den Alchemisten nie gelang, war gang und gäbe im frühen Universum. Zur Theorie des Urknalls gelangten die Astronomen eigentlich unfreiwillig. Anfang des 20. Jahrhunderts wäre eine Theorie der dauerhaften Expansion des Universums sicherlich als Hirngespinst abgetan worden. Einstein selbst konnte sich mit der Idee nicht anfreunden bis die astronomischen Messungen die Expansion bestätigten.

Viele andere Beweise mussten aber noch zusammengetragen werden, bis die Theorie des Urknalls zur neuen Orthodoxie wurde. Dazu gehören die sogenannte Baryogenese und die Nucleosynthese, die mit der thermischen Geschichte des Universums zu tun haben.

Das frühe Universum kann man sich in erster Näherung als einen alchemistischen Kochtopf vorstellen, in dem eine ungeheure Temperatur herrscht. Die Geschichte des Kosmos ist ab dann eine Geschichte des Abkühlens mit einem Phasenübergang nach dem anderen. Ein Beispiel eines Phasenübergangs ist jedem geläufig: Wenn Wasser gefriert, reorganisieren sich deren Moleküle und die Flüssigkeit wird zu festem Eis. Erhitztes Wasser geht in den Gaszustand über - wieder eine andere Organisation der Wassermoleküle im Raum.

Die Phasenübergänge im frühen Universum sind aber viel dramatischer. Das Universum bestand aus Energie, als es noch so groß wie die sogenannte Planck-Länge war (in Meter gemessen brauchen wir 34 Nullen nach dem Komma und dann eine 1). Die Expansion des Universums ging dann Hand in Hand mit dessen Temperaturabnahme. Beispielsweise bedeutet eine Vergrößerung des Universums um den Faktor zwei gleichzeitig das Abfallen der Temperatur um die Hälfte. Durch die Abkühlung entstanden in einem Phasenübergang die ersten Elementarteilchen, die Quarks, die sogenannten Leptonen sowie Photonenstrahlung.

In jenem Chaos standen alle diese Teilchen im thermischen Gleichgewicht miteinander, was bedeutet, dass jeder davon ungefähr die gleiche mittlere Energie hatte. Obwohl die Baryonen eigentlich aus Quarks gebildet werden, bezeichnet man in der Astronomie die übliche Materie, die Sterne und Planeten bildet und die natürlich auch Elektronen (die allerdings sehr leicht sind) enthält, als "baryonische Materie".

Die Abkühlung des Universums ging weiter und in einem späteren Phasenübergang konnten sich Quarks zu Protonen und Neutronen zusammentun (Hadronenepoche). Danach konnten sich Protonen und Neutronen in Atomkerne vereinigen, ein Phasenübergang welcher als Nucleosynthese bezeichnet wird.

Schließlich war das Universum so abgekühlt, dass Elektronen mit den Kernen Atome bilden konnten (Rekombination). Plötzlich gab es im Universum die leichten Elemente wie Wasserstoff und Helium. Dann ging es weiter innerhalb der Sterne, die sich über Millionen von Jahren in den neuen Schmelztiegel für neue, schwerere Elemente verwandelten.

Das alles klingt sehr gewagt: Wie können wir die damals herrschenden Temperaturen experimentell nachweisen? Jedoch ist diese theoretische Abfolge von Phasenübergängen eine der Erfolgsgeschichten der modernen theoretischen Physik, da damit die heutigen Proportionen der Elemente im Universum akkurat erklärt werden können. Die Urknall-Nukleosynthese-Theorie sagt voraus, dass die baryonische Masse des Universums aus etwa 73% Wasserstoff und aus 24% Helium besteht. Astronomische Beobachtungen bestätigen die Vorhersage: Die Masse der Milchstraße besteht aus 73,9% Wasserstoff, 24% Helium, 1% Sauerstoff und 0,5% Kohlenstoff. Nur vier Elemente tragen zu fast 99,5% der Masse unserer Galaxie bei!

Und Gold wird auch im Universum dauernd produziert ganz ohne den Stein des Weisen, allerdings vor allem in Neutronensternen, wie 2017 noch astronomisch nachgewiesen wurde.