Zehntausende gegen absurde spanische "Terrordefinition"

Demonstration im baskischen Iruña (Pamplona). Bild: R. Streck

Bis zu 62 Jahre sollen baskische Jugendliche wegen einer Körperverletzung in den Knast und der Prozess, der am Montag beginnt, wird zeigen, ob Spanien auch Straßenblockaden in Katalonien als Terrorismus einstufen kann

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Die Unionisten haben die Anschläge auf Charlie Hebdo in Frankreich 2015 missbraucht, um "Terrorismus" in Spanien neu zu definieren und sehr breit auszuwalzen, weshalb alles im Land der Postfaschisten nun Terrorismus sein kann, wenn es die Regierung über ihr Ministerium für Staatsanwaltschaft so will. Was in der Öffentlichkeit zunächst als Maßnahme verkauft wurde, um angeblich islamistische Einzeltäter als Terroristen greifen zu können, hat sich längst als auch von der Sozialdemokratie abgenickte Universalwaffe entpuppt.

Es kann nun fast aus jedem Dissident ein "Terrorist" gemacht werden und sogar spanische Puppenspieler mussten dafür schon ins Gefängnis). Gegen den ersten Versuch das auch gerichtsfest zu machen, einer banale Körperverletzung als "Terrorismus" zu definieren, haben am Samstag zehntausende Menschen im baskischen Iruña (Pamplona) demonstriert. Die Stadt wurde überflutet, um "Gerechtigkeit" zu fordern. Mehr als 50.000 Menschen haben ihre Solidarität mit acht Jugendlichen gezeigt, die bis zu 62 Jahre in den Knast sollen. Auch das Parlament und die Regionalregierung Navarras hatten zum Protest aufgerufen, weshalb es die größte Demonstration gewesen sein dürfte, die Iruña bisher erlebt hat.

Am Montag beginnt vor dem spanischen Sondergericht "Audiencia Nacional" der Prozess gegen Jugendliche aus der Kleinstadt Altsasu, für die am Nationalen Gerichtshof insgesamt 375 Haftjahre gefordert werden. Die Kleinstadt liegt auf dem Weg zwischen Iruña und der baskischen Hauptstadt Gasteiz (Vitoria) an der Grenze zwischen der Provinz Navarra und Araba. Sie war am frühen Morgen des 15. Oktobers Zeuge einer Auseinandersetzung zwischen zwei paramilitärischen Guardia Civil (außer Dienst) und ihren Partnerinnen mit Jugendlichen aus dem Ort. Aus einem Wortgefecht, das die Zivilgarden nach Aussagen von Zeugen (die im Prozess nicht aussagen dürfen) begonnen haben, entwickelte sich eine Prügelei am frühen Morgen des 15. Oktobers 2016 in der Bar Koxka. Dabei wurden der Offizier und der Unteroffizier leicht nach reichlich Trinksport verletzt.

Zunächst hatte man auch in Madrid den Vorgang niedrig gehängt. Der damalige Innenminister Jorge Fernández Díaz sprachzwar schon von einem "Hassdelikt", aber es sei ein "punktueller Vorfall". Obwohl er ein Hardliner war, wollte er keinen politischen Zusammenhang zur "kale borroka" (Straßenkampf) sehen, den es im Baskenland lange Jahre gab. Das hatte den einfachen Grund, dass es diesen seit vielen Jahren nicht mehr gibt, seit auch die Untergrundorganisation ETA 2011 den bewaffneten Kampf "definitiv" eingestellt hat. Denn im Baskenland folgt man dem Beispiel Katalonien und setzt ganz auf friedliche Mittel zur Durchsetzung der politischen Ziele.

Doch plötzlich gab es einen Schwenk in Madrid und Politiker der Volkspartei (PP) wollten plötzlich doch "Terrorismus" in dem Vorgang sehen und das Ministerium für Staatsanwaltschaft - also die Regierung - bezog sich plötzlich auf den neuen Strafrechtsparagraphen 573, den auch Sonderberichterstatter der UNO als "übermäßig breit ausgelegt und schwammig formuliert" kritisieren. Das Verfahren wurde dem lokalen Gericht in Pamplona entzogen und dem Madrider Sondergericht zugeteilt, wo sich die Richterin Carmen Lamela auch noch eigenmächtig als "zuständig" erklären konnte.

Präzedenzfall für das Vorgehen gegen Proteste

Eine Körperverletzung, die mit gravierenderen Folgen an jedem Wochenende überall passieren kann, wurde von der Regierung durchihre Hardlinerin Lamela am Sondergericht politisiert und will nun ein Exempel statuieren und erstmals zu Verurteilungen kommen. Basken bieten sich da besser an als Puppenspieler in Madrid oder auch die Straßenblockaden in Barcelona, wo sogar ein Richter am Sondergericht im Fall von Tamara Carrasco, Mitglied eines Komitees zur Verteidigung der Republik (CDR), (noch?) keinen Terrorismus erkennen konnte, während die Staatsanwaltschaft auch in diesem Fall die breite und massive Kriminalisierung von Protesten beabsichtigt.

Es ist auch den Katalanen klar, dass in Madrid nun eine Vorentscheidung im Fall der acht Basken fällt. Wird der Terrorbegriff in diesem Fall festgeklopft, wird sich die Repression gegen die Proteste in Katalonien weiter massiv verschärfen und es wird bei jedem Anlass, wenn Bürger Widerstand gegen Polizei oder Paramilitärs leisten, dann auch Terrorismusanklagen hageln. Das soll offensichtlich an dem Sondergericht geschehen, da fast alle Zeugen der Verteidigung vom Gericht abgelehnt wurden, weshalb die Verteidiger und die Familien der Angeschuldigten davon sprechen, dass sie sich praktisch nicht verteidigen können. Sie beklagen eine "absolute Machtlosigkeit" und ein "offensichtliche Verletzung eines wirksamen Rechtsschutzes".

Deshalb wird der Fall der "Acht aus Altsasu" auch in Katalonien verfolgt. Dort wenden sich viele Menschen, die sich heute zu einer der riesigen Demonstrationen der Unabhängigkeitsbewegung zusammenfinden, auch gegen die Repression gegen die Basken. Sie findet sechs Monate nach der Inhaftierung von Jordi Sànchez und Jordi Cuixart statt.