Der Militärschlag spaltet die EU

Außenminister Heiko Maas kann die deutsche Position auf EU-Ebene nicht mehrheitsfähig machen. Die "Führungsrolle", die Deutschland sonst gerne in Europa beansprucht, ist nicht mehr erkennbar. Bild: EU

Die Außenminister lehnen es bei einem Krisentreffen in Luxemburg ab, den Einsatz in Syrien nachträglich gutzuheißen. Sie wollen eine Eskalation vermeiden und eine "diplomatische Lösung" suchen

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EU-Ratspräsident Donald Tusk meldete sich als Erster zu Wort. Die EU stehe geschlossen hinter den westlichen Militärschlägen in Syrien, verkündete der liberale polnische Politiker bereits am Samstagmorgen in Brüssel.

"Die Angriffe der USA, Frankreichs und Großbritanniens machen deutlich, dass das syrische Regime zusammen mit Russland und dem Iran nicht mit dieser menschlichen Tragödie fortfahren kann, zumindest nicht ohne Folgen", teilte Tusk per Twitter mit. "Die EU wird mit ihren Verbündeten auf der Seite der Gerechtigkeit stehen."

Zwei Tage später stellt sich heraus: Tusks Statement war irreführend und sachlich falsch. Denn die EU steht keineswegs wie ein Mann hinter der Militäraktion. Ganz im Gegenteil. Die Mehrheit der EU-Außenminister lehnte es bei einem Krisentreffen am Montag in Luxemburg ab, Amerikanern, Briten und Franzosen einen Blankoscheck auszustellen.

Die Außenminister äußerten zwar "Verständnis" für die Luftschläge. Mehrere EU-Länder sträubten sich jedoch dagegen, die nicht abgesprochene - und völkerrechtlich umstrittene - Attacke noch nachträglich gutzuheißen. Nach Angaben von Diplomaten waren vor allem die Nicht-Nato-Mitglieder auf der Hut. Genannt wurden Schweden, Österreich, Finnland, Irland, Malta und Zypern.

Einige dieser Länder - allen voran Österreich - hatten bereits nach der Giftgasattacke auf den früheren russischen Doppelspion Sergej Skripal in Großbritannien Zurückhaltung geübt. Nun warnen sie vor einer militärischen Eskalation. Die Sorge vor einer möglichen Konfrontation mit Russland wird sogar von einigen Nato-Ländern geteilt. Vor allem Italien mahnt zu Mäßigung, auch Belgien gibt sich zurückhaltend und nachdenklich.

In Luxemburg standen sich deshalb nun vier Gruppen gegenüber: Frankreich und Großbritannien, die militärisch vorgeprescht sind; Deutschland und die Mehrheit der Nato-Staaten, die den Militärschlag befürworten; vorsichtige Nato-Mitglieder wie Italien sowie - als vierte Gruppe - die neutralen Länder. Die EU ist wieder einmal gespalten.

Doch sie will sich dies nicht eingestehen. Denn das würde ja bedeuten, auch das eigene Scheitern einzuräumen. Trotz jahrelanger Bemühungen gibt es weder eine gemeinsame Syrien- noch eine konsistente Russland-Politik. In Syrien zählte Frankreich von Anfang an zu den Hardlinern; schon Ex-Präsident Francois Hollande forderte Luftschläge. In Russland zählte Italien stets zu den "verständnisvollen" Ländern - nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen.

Doch beide Positionen waren in der EU nie mehrheitsfähig. Und eine Strategie, die die widerstrebenden Interessen auffangen könnte, gibt es bis heute ebenfalls nicht. Nun drohen die Widersprüche offen auszubrechen - zumal Ratspräsident Tusk versucht, die "Führung" in der EU-Außenpolitik zu übernehmen und die Staaten für eine harte Linie zu vereinnahmen, die sie so nie beschlossen haben.

Verständnis, aber kein Einverständnis

Die angebliche Zustimmung zu Militärschlägen in Syrien ist nur das jüngste Beispiel. Vorher hatte Tusk bereits die Massenausweisung von russischen Diplomaten angekündigt und so getan, als gehe die EU geschlossen gegen Russland vor. Dabei gibt es keinen solchen EU-Beschluss; die Ausweisungen wurden von den Mitgliedsstaaten auf nationaler Ebene angeordnet und bloß auf EU-Ebene koordiniert. Trotz massiven Drucks der europäischen "Partner" haben sich neun Mitgliedsstaaten den anti-russischen Maßnahmen bis heute verweigert - und keine Diplomaten ausgewiesen. Auch in der Syrien-Politik regt sich Widerstand gegen Tusk und die Hardliner aus Paris und London. Zwischen den Zeilen zeigt sich dies auch an der Erklärung der Außenminister, die am Montag in Luxemburg vorgelegt wurde.

Die EU "versteht, dass die gezielten Luftschläge auf Chemiewaffen-Einrichtungen in Syrien spezifische Maßnahmen waren, die alleine das Ziel hatten, den weiteren Einsatz von Chemiewaffen oder chemischen Substanzen durch das syrische Regime zur Tötung seiner eigenen Bevölkerung zu verhindern", heißt es darin.

Das "Verständnis" (kein Einverständnis) bezieht sich also lediglich auf die mutmaßlichen syrischen Angriffe mit Chemiewaffen. Ein Blankoscheck für weitere militärische Interventionen ist es nicht. Die EU-Mitglieder Frankreich und Großbritannien können sich nicht darauf berufen, um bei weiteren Verstößen noch mehr Gewalt einzusetzen.

Maas kann die deutsche Position nicht mehrheitsfähig machen

Die EU-Erklärung liegt nicht einmal auf der Linie der deutschen Bundesregierung, die den Militäreinsatz "erforderlich und angemessen" genannt hatte. Für den neuen Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) ist dies ein klarer Misserfolg. Maas spielte schon vor und bei den westlichen Militäraktionen nur eine Statistenrolle.

Nun schafft es der Novize auf dem diplomatischen Parkett nicht einmal, die deutsche Position auf EU-Ebene mehrheitsfähig zu machen. Die "Führungsrolle", die Deutschland sonst gerne in Europa beansprucht, ist nicht mehr erkennbar. Im Gegenteil: Maas sorgt in der Syrien-Politik sogar noch für zusätzliche Verwirrung.

So plädierte er vor dem Treffen in Luxemburg dafür, eine Friedensinitiative für Syrien notfalls auch ohne die Vereinten Nationen zu starten, da Russland im Uno-Sicherheitsrat bisher jeden Vorstoß blockiert habe. Dann sagte er, Russland müsse aber trotzdem dabei sein, denn sonst könne man den Friedensprozess nicht in Gang setzen.

Nach dem Krisentreffen erklärte er dann überraschend, dass die Uno doch eine zentrale Rolle spielen soll. Man suche nach Möglichkeiten, Wegen und Formaten, um den Friedensprozess ihm Rahmen der internationalen Organisation anzustoßen, sagte er nun. "Das ist der Weg, den wir gemeinsam gehen wollen." Bleibt nur noch zu klären, wen Maas meint, wenn er "gemeinsam" sagt. Bisher spricht er nur für sich …