"Die Krankheit zur Waffe machen"

Screenshot aus dem Trailer zum Film "SPK-Komplex" / Realistfilm

Mit dem SPK-Komplex kommt am 19. April ein Film in die Kinos, der nicht nur aus historischem Interesse interessant sein könnte

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"Der Stein, den jemand in die Kommandozentrale des Kapitals wirft und der Nierenstein sind austauschbar. Nehmt Euch vor Nierensteinen in Acht." So lautete eine der Thesen von Wolfgang Huber. Der Arzt hat gemeinsam mit 53 Psychiatrie-Patienten im Februar 1970 in Heidelberg das Sozialistische Patientenkollektiv gegründet.

"Die Krankheit zur Waffe machen", war das Motto. In der SPK-Publikation "Patienteninfo" hieß es im Juni 1970: "Das System hat uns krankgemacht. Geben wir dem kranken System den Todesstoß." Die Aufforderung richtete sich an Menschen, die oft jahrelang in der Psychiatrie erniedrigt und entrechtet wurden und im Zuge des gesellschaftlichen Aufbruchs von 1968 dagegen aufbegehrten.

Doch das SPK wird aus dem 1968er Erbe ausgegrenzt. Schließlich passt es nicht zu der Erzählung, die von vielen sich 50 Jahre später zu Wort meldenden Protagonisten der 68er-Bewegung verbreitet wird. Es sei doch nur um die Zivilisierung Deutschlands gegangen. Und dann hätte der bürgerliche Aufstand gegen den Nominalsozialismus in Osteuropa 1989 endgültig die eigentlichen Ziele der 68er-Bewegung offenbart, so der Spin der altgewordenen 68er in allen Medien und Parteien.

Nur hatte der Bürgeraufstand in Osteuropa so wenig mit emanzipatorischen Zielen zu tun wie der Stalinismus mit Sozialismus. Daher ist es das Bestreben all derer, die die Bundesrepublik zivilisieren wollte, alles was nach Revolution und Umsturz klingt, aus der Bewegung auszusondern. Damit wollte man nichts zu tun haben. Es ist klar, dass das Sozialistische Patientenkollektiv gleich mit entsorgt wird.

SPK-Komplex zeigt ein anderes 68

Da ist es umso erfreulicher, dass mit SPK-Komplex von Gerd Kroske ein Film in die Kinos kommt, der Gelegenheit gibt, etwas über die Motivation einiger derer zu erfahren, die sich im SPK oder dessen Umfeld engagierten.

Zu Wort kommen Menschen, die auch heute noch bei aller Kritik, dem SPK als Verdienst zurechnen, einer Psychiatrie den Krieg erklärt zu haben, die nicht nur ein Großteil des Personals, sondern auch viele der Zwangsmaßnahmen aus der NS-Zeit übernommen zu haben. Besonders Carmen Roll, die im Film häufig zu Wort kommt, verteidigt so die ursprüngliche Intention des SPK, die Verhältnisse in der Psychiatrie anzugreifen.

Roll ging wie einige andere SPK-Aktivisten später zur RAF. Bei ihrer Festnahme in Augsburg wurde Thomas Weisbecker erschossen. Nach ihrer Haftentlassung engagierte sich Roll in Italien für eine Psychiatriereform, die wesentlich von Franco Basaglio eingeleitet wurde.

Schon im Herbst 1971 waren einige SPK-Mitglieder auf der Suche nach Solidarität zu dem international bekannten Psychiatriekritiker gereist. Zu diesem Zeitpunkt war das SPK bereits zur kriminellen Vereinigung erklärt worden und ein Großteil ihrer Aktivisten saß im Gefängnis oder war untergetaucht. Damals gab es allerdings sowohl im In- als auch im Ausland noch Unterstützung für das SPK.

Jean-Paul Sartre setzte sich ebenso für die Psychiatriekritiker ein, wie Peter Brückner, Horst Eberhardt Richter und sogar der ehemalige Leiter der Heidelberger Universitätspoliklinik Dieter Spazier. Anfang der 1970er Jahre wurden auch mehrere Bücher veröffentlicht, die sich mit der Theorie und Praxis des SPK sowie den staatlichen Reaktionen befassten.

Einige an der Verfolgung beteiligte Polizeibeamte und Juristen kommen im Film ebenfalls zu Wort. So erfährt man, dass ein Teil der Fotos für die Fahndungsplakate der RAF-Mitglieder damals von der Heidelberger Polizeiwache geschossen wurde, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum SPK-Zentrum befunden hat.

Wie weit die Abwertung von als Irre stigmatisierte Menschen in den staatlichen Ermittlungsbehörden noch verbreitet war, erfährt man im durch die Aktennotizen zum SPK, die im Film verlesen werden. Dabei handelt es sich um Auszüge aus der Korrespondenz zwischen Polizei, der Leitung des medizinischen Instituts der Universität Heidelberg und dem Innenministerium von Baden-Württemberg sowie um Observationsprotokolle.

Dabei ging es darum, Wege zu finden, wie man das SPK illegalisieren kann. Da schrieb ein Mitarbeiter des Innenministeriums, dass das gar nicht so einfach ist, weil Wolfgang Huber approbierter Mediziner ist. So diskutierten die Behörden, ob es möglich wäre, den Arzt für verrückt zu erklären. In den Dokumenten liest man dann, dass man erkunden sollte, ob es Indizien gibt, dass Huber "geistig minderwertig" ist.

Hier zeigt sich, wie weit der NS-Jargon in den 1970er noch in den Staatsapparaten verbreitet war. Es war also keineswegs Verfolgungswahn, wenn das SPK wie zahlreiche weitere linke Gruppen in den 1970er Jahren davor warnten, dass der Faschismus eher aus den Staatsapparaten als von Straßennazis drohe.

Wie präsent die NS-Geschichte in den 1970er Jahren noch war, berichtete im Film auch Lutz Taufer, der über das SPK zur RAF gekommen war und viele Jahre in Isolationshaft verbringen musste.

Deshalb freute er sich zunächst, dass er in der JVA Schwalbach Zellennachbarn hatte. Bis er feststellen musste, dass es sich dabei um verurteile NS-Täter darunter einen in Auschwitz tätigen Sanitäter handelte.