Gutachten des Bundestags: Luftangriffe in Syrien nicht vom Völkerrecht gedeckt

Bild:: Sana

Wissenschaftliche Dienste widersprechen der Einschätzung der Bundesregierung zu den Militäraktionen der USA, Großbritanniens und Frankreichs

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Luftangriffe der USA, Großbritanniens und Frankreichs waren völkerrechtswidrig, das wurde zwar bereits herausgestrichen (an dieser Stelle hier: Völkerrechtswidriger Angriff auf syrische Ziele), aber wenn die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags zu diesem Ergebnis kommen, so hat das eine eigene Qualität und Aussagekraft.

Den besonderen politischen Dreh bekommt das Ergebnis eines Gutachtens, das nicht nur der "Tagesschau vorliegt", sondern der interessierten Öffentlichkeit im Netz zugänglich ist, dadurch, dass sich die Bundesregierung vor allem treu, aber weniger reflektiert, als man es von einer Regierung mit Ansprüchen ("Mehr Führung wagen, mehr Verantwortung", von der Leyen et al.) erwarten müsste, hinter die Militäroperationen ihrer Nato-Verbündeten in Syrien gestellt hat.

Der Militäreinsatz war erforderlich und angemessen, um die Wirksamkeit der internationalen Ächtung des Chemiewaffeneinsatzes zu wahren und das syrische Regime vor weiteren Verstößen zu warnen.

Angela Merkel

Das Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste zerlegt die argumentative Basis der Einschätzung "erforderlich und angemessen". In der juristischen Expertise findet sich zwar nicht die explizite Aussage, dass die Angriffe der USA, Großbritannien und Frankreichs völkerrechtswidrig waren, aber es wird eindeutig dargelegt, dass die vorgebrachten Argumente für den Militärschlag nicht mit dem Völkerrecht in Einklang zu bringen sind.

Es geht um den "Sachstand", so das Anliegen des Papiers mit dem Titel: "Völkerrechtliche Implikationen des amerikanisch-britisch-französischen Militärschlags vom14. April 2018 gegen Chemiewaffeneinrichtungen in Syrien".

Völkerrechtlichen Legalität argumentativ im Hintergrund

Die politisch und moralisch aufgeladene Debatte erzeuge ein Spannungsfeld, "bei dem die Frage nach der völkerrechtlichen Legalität der Militäroperation zugunsten der politisch-moralischen Legitimität des Handelns argumentativ in den Hintergrund tritt", lautet die Anfangsfeststellung. Die sachlich geführte Kritik am Vorgehen orientiert sich am fürs Völkerrecht wesentlichen Grundsatz des Gewaltverbots (Art. 2, Nr 4 UN-Charta) und den Ausnahmen, die geltend gemacht werden.

So wird für die Luftangriffe am 14. April argumentiert, dass es um Vergeltung für den Einsatz von Chemiewaffen durch die syrischen Regierung gehe. Dazu äußert sich das Gutachten eindeutig:

Völkerrechtliche Repressalien (Gegenmaßnahmen in Form von militärischen Vergeltungsschlägen) gegen einen Staat sind grundsätzlich unzulässig. Dies gilt auch dann, wenn eine Regierung eine zentrale Norm des Völkerrechts verletzt hat, die einen Staat gegenüber allen anderen Mitgliedern der Staatengemeinschaft verpflichtet und an dessen Einhaltung alle Staaten ein rechtliches Interesse haben (sog. erga-omnes Normen).

Das grundsätzliche Repressalienverbot gilt auch dann, wenn ein Staat einen internationalen Vertrag wie die Chemiewaffenkonvention und entsprechende VN-Resolutionen (wie die Sicherheitsratsresolution 2118 (2013)) verletzt und mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen ein Kriegsverbrechen begangen hat. Die Verletzung einer Völkerrechtsnorm durch einen Staat begründet keinen "Blankoscheck für unilaterale Zwangsmaßnahmen" seitens einer "Koalition der Willingen".

Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags

Das Völkerrecht sehe "rechtsförmige Mechanismen" vor. Dass die Durchsetzung durch die Situation im Sicherheitsrat, wo Vetos Russlands, wie moniert wird, zu Blockaden führen, tue, wie auch die Schwierigkeiten, Untersuchungen der OPCW im syrischen Douma durchzuführen, "der völkerrechtlichen Bewertung keinen Abbruch".

Umso mehr fällt in diesem Zusammenhang ins Gewicht, dass im Falle der alliierten Militärschläge vom 14. April 2018 die Ergebnisse der OPCW-Untersuchungen in Syrien nicht einmal abgewartet wurden.

Gutachten der wissenschaftlichen Dienste

Der Einsatz militärischer Gewalt gegen einen Staat, um die Verletzung einer internationalen Konvention durch diesen Staat zu ahnden, stelle einen Verstoß gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot dar. Repressalien seien demgegenüber nur "im Rahmen eines bereits andauernden internationalen Konflikts nicht per se unzulässig" - wenn auch in ganz beschränktem Umfang. Das treffe aber im Fall der Luftangriffe vom 14. April nicht zu, "weil sich die drei Alliierten nicht in einem direkten bewaffneten Konflikt mit dem syrischen Zentralstaat befinden".

Argument der "humanitären Intervention" nicht haltbar

Auch das Argument der "humanitären Intervention" hält das Gutachten im Fall der amerikanisch-britisch-französischen Luftangriffe für nicht haltbar. Einmal weil die dafür erforderlichen "Tatbestandsvoraussetzungen" nicht erfüllt würden.

Zur "Doktrin der humanitären Intervention" gehört laut der Expertise, dass die internationale Gemeinschaft als Ganzes überzeugt sei, dass es 1. eine extreme humanitäre Notlage gebe, der unmittelbar und unverzüglich abzuhelfen sei, dass es 2. keine praktikable Alternative zur Gewaltanwendung gebe und die 3. Gewaltanwendung notwendig und verhältnismäßig sei.

Großbritannien, so das Gutachten, habe die "humanitären Intervention" als Begründung herangezogen, könne aber "nicht überzeugen":

Abgesehen von der fehlenden Kohärenz der "humanitären Anteile" dieser Argumentation - erstens ist fraglich, ob die Militärschläge wirklich geeignet sind, weiteres Leiden zu verhindern, insbesondere mit Blick auf die mutmaßlich künftigen Opfern des andauernden Syrienkonflikts; zweitens ist fraglich, warum gerade der Chemiewaffeneinsatz angesichts eines sieben Jahre währenden Bürgerkriegs in Syrien das qualitativ entscheidende Ereignis darstellt, um eine humanitäre Intervention zu begründen - stellt der britische Ansatz lediglich eine weitere "Spielart" der Rechtsfigur der sog. "humanitären Intervention" ohne Sicherheitsratsmandat und dem Konzept der völkerrechtlichen Schutzverantwortung (R2P) dar.

Wegen der bestehenden Missbrauchsgefahr ist die Zulässigkeit einer humanitären Intervention bis heute völkerrechtlich ausgesprochen umstritten und erscheint als gewohnheitsrechtliche Ausnahme vom völkerrechtlichen Gewaltverbot jedenfalls nicht tragfähig.

Gutachten Wissenschaftliche Dienste

Dass Frankreich und die USA gar nicht explizit mit dem Rechtsargument der humanitären Intervention plädiert hätten, verweise darauf dass sich die alliierten Luftangriffe "im Ergebnis eher als unverhohlene Rückkehr zu einer Form der - völkerrechtlich überwunden geglaubten bewaffneten Repressalie im 'humanitären Gewand'" darstellen.

Nachzureichen wäre noch ein Fehler in der Argumentation Großbritanniens, der einer Täuschung der Öffentlichkeit gleichkommt, ein Argument, das auch von Macron öffentlich geltend gemacht wurde: Dass der Militärschlag rechtens sei, weil eine UN-Resolution 2118 "einen militärischen Einsatz als Reaktion auf einen Einsatz von Chemiewaffen unterstütze".

Dazu hat die Expertise folgende Korrektur:

Resolution 2118 (2103), welche die Vernichtung aller syrischen Chemiewaffen durchsetzen sollte, droht dem Assad-Regime zwar mit dem Einsatz von Gewalt, behält eine Entscheidung darüber aber dem VN-Sicherheitsrat selbst vor.

Gutachten Wissenschaftliche Dienste