Griechenland: Das Comeback des Flüchtlingsthemas

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Die griechischen Behörden registrieren, dass der Landweg über den Evros Fluss gegenüber dem Seeweg über die griechischen Inseln an Attraktivität gewinnt

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Allein am Montag kamen 153 Flüchtlinge über die Landgrenze der Türkei nach Griechenland. Die Abgeordneten der oppositionellen Nea Dimokratia haben derweil eine parlamentarische Anfrage gestellt, in der von 300 täglichen Grenzübertritten über den Landweg die Rede ist.

Die Nachrichten im Land überschlagen sich. Ein Aufsehen erregendes Urteil des griechischen Staatsrats hebelte kurzfristig eine der Bestimmungen des EU-Türkei-Flüchtlingsdeals aus. Künftig, hieß es in der vergangenen Woche, genießen Asylbewerber in Griechenland wieder eine absolute Bewegungsfreiheit.

Wenige Tage später war das Bild bereits anders. Die Bewegungsfreiheit wurde durch eine neue Bestimmung der Asylbehörde erneut eingeschränkt. Am Wochenende fand schließlich eine Art Pogrom auf der Insel Lesbos statt. Die Polizei nahm die Opfer der Angriffe fest.

Das Urteil

Der Staatsrat, Griechenlands höchstes Verwaltungsgericht, urteilte, dass es illegal und verfassungswidrig sei, registrierte Asylbewerber auf den Inseln festzuhalten, bis die Asylbehörden über das Verfahren entschieden hätten. In der Praxis hebt dies einen der Grundpfeiler des EU-Türkei-Pakts aus. Denn diesem gemäß sollten Asylbewerber bis zum Entscheid in den Lagern auf den Inseln bleiben, auf denen sie bei ihrer Flucht angekommen waren.

So sollten Abschiebungen leichter vonstattengehen. Die Internierung der Neuankömmlinge in kargen Lagern wirkte abschreckend. Teilweise müssen die Insassen dort mehr als Jahr verbringen, bevor sie aufs Festland dürfen. Die vollkommen überfüllten Lager haben sich jedoch für die betreffenden Inseln zum Dauerproblem entwickelt. Die ansässige Bevölkerung, noch im Sommer 2015 mit einer bespielhaften Willkommenskultur ausgezeichnet, entwickelte aufgrund der Dauerbelastung fremdenfeindliche Reflexe.

Der Entscheid des Staatsrats Nr. 805/2018 hebelt die Bestimmung der Asylbehörde 10464/31.5.2016 für all jene aus, die nach dem Gerichtsentscheid auf den Inseln ankommen. Diejenigen, die früher und nach dem 20. März 2016 als Stichtag des EU-Türkei-Deals dort ankamen, müssen der Urteilsbegründung gemäß weiter in den Lagern verharren.

Dies wiederum führte auf Lesbos dazu, dass die "alteingesessenen" Asylbewerber sich benachteiligt fühlen und aus Protest den zentralen Platz der Inselhauptstadt besetzt halten. Sie protestieren darüber hinaus gegen die Zustände im Lager Moria auf Lesbos. Auch sie verlangen nun freie Reisemöglichkeiten innerhalb Griechenlands.

Dieses Recht trat erst nach der Amtsübernahme des ersten Kabinetts von Alexis Tsipras im Januar 2015 in Kraft. Bis dahin waren alle Asylbewerber, die nicht regulär über die Grenze eingereist waren, mit dem Vorwurf des illegalen Grenzübertritts konfrontiert. Dies erlaubte den griechischen Behörden die Mobilität der Flüchtlinge und Immigranten einzuschränken.

Droht eine neue Flüchtlingskrise?

In Griechenland wird die damals gewährte Bewegungsfreiheit eng mit dem Ausbruch der großen Flüchtlingskrise 2015 in Verbindung gebracht. Beobachter fürchten, dass das Urteil des Staatsrats wie eine Einladung für die in der Türkei ausharrenden Syrer, Afghanen, Iraker und Iraner wirken könnte. Droht eine neue Flüchtlingskrise? Dies ist eine Frage, welche griechische Medien thematisieren.

Die Regierung reagierte prompt. Mit dem im Staatsanzeiger veröffentlichten Erlass FEK 1366/20-4-2018 stellte der frische Chef der Asylbehörde mit einer seiner ersten Amtshandlungen den vorherigen Status Quo wieder her. Er war erst einen Tag vor dem neuen Erlass ins Amt berufen worden. Seine Ernennung wurde am gleichen Tag des Erlasses in einer weiteren Ausgabe des Staatsanzeigers verkündet.

Der neue Erlass beruft sich ausdrücklich auf den EU-Türkei Pakt als Grundlage für die Mobilitätsbeschränkung. Das Amt reagiert damit auf den Passus der Urteilsbegründung für den Entscheid 805/2018, der im vorherigen Erlass keine "übergeordnete Grundlage von staatlichem Interesse" für die Einschränkung der Rechte der Asylbewerber sehen konnte.

Eine Novelle über das Asylverfahren soll noch in der laufenden Woche im Parlament verabschiedet werden. Es geht darum, dass eine amtliche Ablehnung der Asylgewährung in zweiter Instanz zur sofortigen Abschiebung führen soll. Den Asylbewerbern wird damit - entgegen internationalem Flüchtlingsrecht - der Zugang zur Justiz verwehrt. Wenn sie gegen eine Ablehnung klagen möchten, dann können sie es künftig von ihren Heimatländern aus tun, meint die Regierung.