Zschäpe-Verteidiger: Leben im Untergrund, aber ohne Beteiligung an Morden

Tag zwei der Angeklagten-Pädoyers: Verteidigung bestätigt Anklage im Allgemeinen und widerspricht im Besonderen

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Am Tag zwei des Plädoyers der Hauptangeklagten (Tag 1: Zschäpe-Plädoyer begonnen - aber: NSU-Prozess vor Aufspaltung?) setzte sich die inzwischen bekannte Darstellung der NSU-Tatserie fort: Beate Zschäpes Neuverteidiger Hermann Borchert bestätigte die Version der Bundesanwaltschaft zur Hälfte und bestritt sie zur anderen - oder um genau zu sein: Er bestätigte sie zu zwei Dritteln (Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos) und bestritt sie zu einem Drittel (seine Mandantin).

Um das Spiel zu verstehen, muss man die Doppelbödigkeit der Bundesanwaltschaft (BAW) mit einbeziehen, wie sie auch in zahlreichen Plädoyers der Nebenklage aufgezeigt wurde. Laut Anklage war der NSU eine isolierte Dreierzelle, alle Taten - zehn Morde, 15 Raubüberfälle und drei Bombenanschläge - seien allein von den beiden toten Männern Böhnhardt und Mundlos verübt worden. Zschäpe sei als gleichberechtigter Teil der Gruppe zwar Mittäterin gewesen, sei aber bei keiner Tat dabei gewesen und auch bei den Ausspähungen der Tatorte nicht.

Die BAW zieht den Kreis um die Täter so eng, weil sie weitere Mittäter ausschließen möchte, darunter möglicherweise Informanten von Geheimdiensten. Diese Methode stand im Zentrum der Kritik von Seiten etlicher Opferanwälte.

Die Verteidigung von Beate Zschäpe akzeptiert nun die Grundzüge der Version der Anklagebehörde, schwächt lediglich das Tatwissen und die Tatbeiträge ihrer Mandantin ab. Die Arithmetik der Verteidigung geht also so: Die zwei Uwes des NSU-Kerntrios seien für alle Taten verantwortlich gewesen, Beate Zschäpe, die Dritte im Bunde, habe von den Morden und Bomben nichts gewusst, sondern lediglich die Überfälle mitgetragen, da sich alle drei seit Januar 1998 in der Illegalität befanden und sich irgendwie finanzieren mussten. Sie habe sich für ein Leben im Untergrund entschieden, aber nicht für den Terror, so Borchert.

In der Summe läuft die Methode kurioserweise darauf hinaus, dass die Anklage die Angeklagte sowohl belastet als auch entlastet - und umgekehrt, dass die Verteidigung die Ankläger nicht nur angreift, sondern faktisch hinsichtlich ihrer ungenügenden Ermittlungen auch entlastet. In gewisser Weise zwei Seiten derselben Medaille, strenggenommen aber eher Falschgeld als echte Münze.

Konkret sieht das zum Beispiel so aus: Die Bundesanwaltschaft behauptet, Zschäpe sei bei keiner einzigen Tat direkt dabei gewesen und habe keinen einzigen Tatort ausgespäht. Zschäpes Anwalt nimmt das dankend an, weil es seine Mandantin in seinen Augen entlastet. Mindestens für Dortmund gibt es eine Zeugin, die Zschäpe wenige Tage vor dem Mord an Mehmet Kubasik im April 2006 in der Stadt gesehen haben will. Im Fall des Mordes an Mehmet Turgut in Rostock im Februar 2004 geht der Anwalt der Familie nicht nur davon aus, dass Zschäpe beim Mord dabei war, sondern dass sie möglicherweise sogar selber geschossen hat. Er hatte sein Plädoyer mit dem Satz beendet: "Frau Zschäpe, haben Sie den Mut und sagen Sie umfassend und wahrheitsgemäß aus!"

Das Spiel geht auch umgekehrt

Die Bundesanwaltschaft kann ihre ausschließliche Zwei-Täter-Uwe-Uwe-Theorie nicht belegen. Im Fall der Bombe in der Probsteigasse in Köln gelang es dem Bundeskriminalamt nicht, die Täterschaft der zwei Männer nachzuweisen. Selbiges gilt für den Polizistenmord in Heilbronn.

Nun kommt der Anklage ausgerechnet die Angeklagte Zschäpe zu Hilfe, indem sie deren Version bestätigt: Böhnhardt und Mundlos seien auch für diese Taten verantwortlich. Sie entlastet die Behörde im Prinzip vom Vorwurf oberflächlicher und tendenziöser Ermittlungen. Beim ersten Raubüberfall auf einen Supermarkt in Chemnitz hat ein Zeuge drei flüchtende Täter gesehen, doch die Bundesanwaltschaft spricht nur von zweien - auch das bestätigt ihr Zschäpe. Ein Ping Pong-Spiel zwischen den beiden Prozessparteien.

Nun gibt es von Seiten der BAW nicht nur Entlastungen der Angeklagten, sondern auch Belastungen, die allerdings mutwillig erscheinen und damit wertlos werden können. Sei es der ungeklärte konkrete Beitrag Zschäpes am NSU-Propaganda-Video oder der Vorwurf, sie habe bei der Explosion der Wohnung in Zwickau bewusst das Leben einer Nachbarin gefährdet. Ein Ermittler war vom Gegenteil überzeugt, Zschäpe habe die Nachbarin warnen wollen.

Damit nützen die ungenügenden Ermittlungen wiederum der Angeklagten, deren Anwalt sie in sein Plädoyer einbaute. Warum ermittelte die Justiz denn Jahre lang in die falsche Richtung?, so Rechtsanwalt Borchert. Warum sollen denn die rassistisch motivierten Morde erst hinterher bekannt geworden sein?

Rhetorisch griff er immer wieder die Bundesanwaltschaft und vor allem Oberstaatsanwältin Anette Greger an, faktisch blieb er aber konservativ und bewegte sich auf dem Spielfeld, wie es durch Zschäpes Einlassung im Dezember 2015 vorgezeichnet wurde. Das heißt zum Beispiel: Zahlreiche Antworten des Tatkomplexes kann die Bundesanwaltschaft nicht und will die Angeklagte nicht geben.

Auf der Faktenebene scheint das Spiel festgezurrt zu sein

Die vielen Schusswaffen in NSU-Besitz. Nicht einmal die Bundesanwaltschaft behaupte, so Borchert, dass Zschäpe bei den Käufen dabei war. Kein Wunder, denn 17 der 20 Waffen sind nicht ermittelt. In insgesamt sieben Wohnungen habe das Trio nach seinem Untertauchen gelebt, so BAW und Zschäpe unisono. Zu einer möglichen bisher unbekannten konspirativen Wohnung, von der Ermittler ausgehen, äußert sie sich nicht.

16 Propaganda-Videos soll Zschäpe am 4. November 2011 nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos versandt haben - was sie einräumt. Wer ein Kuvert mit der DVD bei den Nürnberger Nachrichten in den Postkasten warf, will sie nicht sagen, und die BAW weiß es nicht. Zschäpe kann es nicht gewesen sein, sie war nachweislich auf ihrer viertägigen Flucht durch Deutschland nicht in Nürnberg. Zu dieser Reise äußerte sich Verteidiger Borchert mit keinem Wort. Was wollte Zschäpe wo von wem warum? Keine Antworten. Auf der Faktenebene scheint das Spiel also festgezurrt, Hinweise auf weitere Mittäter oder Helfer, darunter mögliche V-Leute, sind von diesen beiden Prozessparteien nicht mehr zu erwarten.

Ob von den Altverteidigern, die nach den Neuverteidigern reden werden, muss zwar abgewartet werden, ist aber fraglich.

Irgendwo muss es noch eine Unbekannte geben

Insgesamt muss das Plädoyer der Zschäpe-Verteidigung nicht an ihrer Kritik gegenüber der Anklagebehörde gemessen werden, sondern an der Kritik von Anwälten der Nebenklage oder an den Erkenntnissen, die Abgeordnete in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen gewonnen haben.

Unklar bleibt bisher - und auch das gilt seit ihrer Einlassung von Dezember 2015 -, was die Angeklagte davon hat. Jedenfalls spielt sie das Spiel, obwohl ihre Verteidigungsstrategie ein einziger Scherbenhaufen ist, bisher mit. Irgendwo muss es noch eine Unbekannte geben. Das Manöver, den Fall des Angeklagten André Eminger von der derzeitigen Hauptverhandlung abzutrennen, vorgebracht Hand in Hand von der Verteidigung des Angeklagten Ralf Wohlleben und der Bundesanwaltschaft gab eine Ahnung davon, wo diese Unbekannte zu finden sein könnte.

Am Donnerstag nimmt Borcherts Kollege Mathias Grasel, Zschäpes zweiter Neuverteidiger, die rechtliche Bewertung der vorgetragenen Punkte vor. Von ihm wird dann auch ein Antrag für das Urteil erwartet.

Noch eine Nachbemerkung: Das fünfte Mordopfer des NSU in Rostock hieß Mehmet Turgut. Anfänglich gab es eine Namensverwechslung mit seinem Bruder Yunus. Das ist aber längst klargestellt. Dennoch sprach die Bundesanwaltschaft in ihrem Plädoyer im Sommer 2017 weiterhin fälschlicherweise von Yunus Turgut. Opferanwalt Hardy Langer bemängelte das in seinem Plädoyer gleich zu Beginn explizit. Erfolglos, denn Zschäpe-Verteidiger Hermann Borchert benutzte erneut statt Mehmet den Namen Yunus. Respekt sieht anders aus.

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