Paparazzi-Paragraf zur Einschüchterung missbraucht? Hamburger Justiz unter Druck

Der Hamburger Justizsenator Till Steffen (Grüne). Foto: Mathias Schindler. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Behörden haben Mühe, zwei Hausdurchsuchungen zu begründen, die wegen einer Tatdokumentation angeordnet wurden

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Am 14. April tötete der bereits vorher durch Gewaltdelikte aufgefallene Mourtala M. auf einem Hamburger S-Bahnhof seine einjährige Tochter und deren Mutter mit einem Messer. Ein zufällig anwesender Gospelmusiker aus Ghana musste diese Tat mit ansehen und filmte den blutüberströmten Bahnsteig mit den Worten "Oh my God, oh Jesus, oh Jesus, oh Jesus, they cut off the head of the baby, oh my God, oh Jesus." Diese Tatdokumentation stellte er auf seinem Facebook-Profil ein, von wo aus sie weite Verbreitung fand.

Darauf hin gab es bei dem Musiker aus Ghana eine Hausdurchsuchung. Beantragt hatte sie, so die Pressestelle gestern zu Telepolis, der Hamburger Staatsanwalt Ulf Bornemann. Bornemann wurde im letzten Jahr bundesweit auch Nichtjuristen bekannt, weil er entschieden für Heiko Maas' Social-Media-Zensurgesetz NetzDG eintrat. Der Staatsanwalt stand dem Hamburger Blogger Heinrich K. zufolge, der das Video auf seinem YouTube-Kanal übernommen hatte, am 20. April um 6 Uhr 45 Uhr auch vor der Haustür seiner Wohngemeinschaft und ließ das Türschloss aufbohren. Danach beschlagnahmten er und sein Team einen Computer, ein Phablet zur Blutzuckerkontrolle und eine Digitalkamera.

Zu welchen Ergebnissen hätten Staatsanwaltschaften bei heute historischen Fotos kommen können?

Im Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Hamburg wird das mit dem Verdacht auf eine Verletzung der "höchstpersönlichen Lebensbereiche einer Person […] durch Bildaufnahmen" begründet. Diese Rechtsgrundlage findet sich im § 201a, dessen Anwendungsbereich vor drei Jahren von der Großen Koalition massiv erweitert wurde - mit der Begründung, man könne nur so gegen Paparazzi-Nackfotos von Prominenten vorgehen.

Die Fotografenvereinigung Freelens warnte damals vor neuer Rechtsunsicherheit (vgl. Fotografenvereinigung Freelens sieht Presse- und Kunstfreiheit in Gefahr. Ihre Bedenken bügelte man mit einem Verweis auf den Absatz 4 des Paragrafen ab, der sicherstellen sollte, dass die Vorschrift "nicht für Handlungen [gilt], die in Wahrnehmung überwiegender berechtigter Interessen erfolgen, namentlich der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dienen."

Da über den Hamburger Doppelmord nicht nur in deutschen, sondern auch in internationalen Medien wie der Washington Post breit berichtet wurde, lässt sich schwerlich argumentieren, hier läge kein zeitgeschichtliches Ereignis vor. Für eine Verurteilung des Gospelsängers und des Bloggers wird die Vorschrift deshalb kaum reichen. Warum hat sie dann für eine Hausdurchsuchung gereicht, von der der Blogger Hadmut Danisch glaubt, dass sie vor allem der Einschüchterung dienen sollte?

Dieser Verdacht scheint nicht ganz aus der Luft gegriffen: Wenn die Hamburger Justiz, wie sie behauptet, bei der Abwägung der Persönlichkeitsrechte der toten Mutter mit der in Artikel fünf des Grundgesetzes geschützten Meinungs- und Pressefreiheit zum Ergebnis kam, die Hausdurchsuchungen seien gerechtfertigt, zu welchen Ergebnissen hätten dann anderen Staatsanwaltschaft bei historischen Fotos kommen können, auf denen Personen "in einer hilflosen Lage" zu sehen sind (vgl. Selbst ist die Justiz)?

Staatsanwaltschaft: Auf Erkennbarkeit kommt es gar nicht an

Auf den Hinweis von Telepolis, dass auf dem Clip keinerlei Merkmale zu sehen sind, an denen man die Getöteten wiedererkennen würde, heißt der Staatsanwaltschaft, darauf komme es beim § § 201a auch gar nicht an. In Sozialen Medien spekuliert man deshalb, ob es der Staatsanwaltschaft vielleicht eher um die oben zitierte Tonspur des Videos gegangen sein könnte, in der der Augenzeuge von einer Enthauptung spricht. Im Durchsuchungsbefehl des Hamburger Amtsgerichts heißt es dazu, der Täter habe "seiner in einem Kinderbuggy sitzenden einjährigen Tochter in Tötungsabsicht und zur Durchsetzung seiner Macht- und Besitzansprüche mit einem unvermittelt aus seinem mitgeführten Rucksack gezogenen Messer von hinten einen Stich in den Bauch versetzt und ihr anschließend den Hals nahezu vollständig durchtrennt."

Eine weitere Merkwürdigkeit ist, dass die Hamburger Staatsanwaltschaft die von ihr behauptete Verletzung der "höchstpersönlichen Lebensbereiche einer Person […] durch Bildaufnahmen" auf die toten Opfer bezieht. Dass § 201a aktuell nicht für Tote gilt, zeigt jedoch eine Initiative des Bundesrats, die Gültigkeit auf genau diese Gruppe auszudehnen. Danisch und Telepolis gab man deshalb die Auskunft, es gehe nicht um das getötete Kind, sondern nur um dessen Mutter, die erst "später im Krankenhaus gestorben sei". Eine Auskunft, die der Blogger unter Rückgriff auf Auskünfte von Rettungssanitätern für einen möglichen "juristischen Kniff" hält.