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Microdosing: 75 Jahre nach seiner Entdeckung und 50 Jahre nach dem Verbot wird LSD in winziger Dosierung als "Denkwerkzeug" und Arbeitsdroge wiederentdeckt

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Am 16. April 1943 kam Dr. Albert Hofmann, dem Leiter der Naturstoff-Abteilung der Sandoz-Werke in Basel, während seiner Frühstückspause die Idee, eines der Alkaloid-Derivate des Mutterkorn-Pilzes noch einmal genauer anzuschauen, die er fünf Jahre zuvor isoliert hatte. Damals war er auf der Suche nach einem Wirkstoff für die Geburtshilfe, dem der auf Getreide lebende und schon in der mittelalterlichen Medizin erwähnte Pilz seinen Namen verdankt und das Medikament, das unter dem Namen "Methergin" bis heute in allen Kreißsälen in Verwendung ist.

Im Frühjahr 1943 nun, gerade von einem 3-monatigen Militärdienst an der italienischen Grenze an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt, war er auf der Suche nach einer kreislauf-stimulierenden Substanz und stellte das Lysergsäure-Di-Äthylamid (LSD) noch einmal her. Dabei muss er auf eine ihm selbst unerklärliche Weise mit der Substanz in Kontakt gekommen sein und spürte kurz darauf eine merkwürdige Benommenheit, so dass er sein Labor verließ und nach Hause ging.

"Zu Hause legte ich mich nieder und versank in einen nicht unangenehmen, rauschartigen Zustand, der sich durch eine äußerst angeregte Fantasie kennzeichnete. Im Dämmerzustand bei geschlossenen Augen (das Tageslicht empfand ich als unangenehm grell) drangen ununterbrochen phantastische Bilder von außerordentlicher Plastizität und mit intensivem, kaleidoskopartigem Farbenspiel auf mich ein. Nach etwa zwei Stunden verflüchtigte sich dieser Zustand."

So heißt es in Albert Hofmanns Protokoll über den ersten Selbstversuch, dem er drei Tage später im Labor einen weiteren folgen lies und 250 Mikrogramm der Substanz einnahm, die bis dahin als kleinste wirksame Dosis geltende Menge bei pharmakologischen Versuchen. Kurz darauf spürt er eine merkwürdige Benommenheit - "Beginnender Schwindel, Angstgefühl, Sehstörungen, Lähmungen, Lachreiz" - und fährt mit dem Fahrrad nach Hause. Er ahnt zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass er gerade die stärkste bewusstseinsverändernde Substanz überhaupt entdeckt hatte und glaubte, zu Hause angekommen, dass er wahnsinnig geworden sei.

Seine Wahrnehmung der äußeren Realität war völlig verändert und bei geschlossenen Augen zeigten sich farbige Bilder und Strukturen. Der herbeigerufene Arzt konnte keinerlei lebensbedrohliche Symptome feststellen, doch das Gesicht seiner Nachbarin, die ihm Milch zur Entgiftung vorbeibrachte, erschien ihm wie das einer schrecklichen Hexe. Als er nach einiger Zeit ruhiger wurde und sich sein Zustand langsam normalisierte, kam er aus dem Staunen nicht mehr heraus:

Alles strahlte in einer Intensität und Prägnanz, wie er sie nie wahrgenommen hatte, Geräusche verwandelten sich in Farben und Formen. Der Schrecken wich und "machte Gefühlen des Glücks und der Dankbarkeit Platz", wie Hofmann in seinem Protokoll schreibt. Er hatte den ersten "Horrortrip" der Geschichte überlebt und nach dem "Methergin" zur physischen Hilfe bei der Geburt eine Art psychischen Geburtshelfer gefunden. Während der eine die Gebärmutter kontrahierte und dem Kind in die äußere Welt half, erweiterte der andere das Bewusstsein und ermöglichte als "Teleskop in den Weltraum der Seele" (Stan Grof) Einsichten in die innere Welt.

Von 1948 bis zum internationalen Verbot des LSD im Jahr 1966 wurde die Substanz unter dem Namen "Delysid" von Sandoz hergestellt und weltweit von Ärzten, Psychiatern und Psychotherapeuten eingesetzt. In der "Sandoz Collection", die mittlerweile an der Universität Bern gelagert wird, sind über 4500 Berichte über die Verwendung von LSD als Medikament in der therapeutischen Praxis und Forschung versammelt.

"Zur seelischen Auflockerung bei analytischer Psychotherapie, besonders bei Angst- und Zwangsneurosen sowie zur experimentellen Untersuchung über das Wesen der Psychosen," vermerkte der Beipackzettel, zusammen mit der Empfehlung an die Ärzte, das neuartige Medikament vor der Abgabe an ihre Patienten erst einmal selbst zu nehmen. Als kleinste wirksame Dosis wurden 50 Mikrogramm angegeben, ein Fünftel dessen, was Albert Hofmann vor seinem ersten Trip genommen hatte.

Und so findet sich in diesen Berichten von Ärzten und Forschern nur sehr wenig über "Horrortrips", aber sehr viel über die erstaunlichen "seelischen Auflockerungen", die vorbereitete und in ansprechender Umgebung begleitete Klienten erlebten. Auch bei deutlich höheren Dosierungen, wie Hofmann sie bei seinem ersten gezielten Selbstversuch eingenommen hatte, ließen sich Panik und Angstzustände durch entsprechende therapeutische Begleitung vermeiden.