"In Bayern werden Kreuze nicht abgehängt, sondern aufgehängt!"

Corpus_-_panoramio.jpg:Bild: Richard Mayer/CC BY-SA-3.0

Markus Söder will sich und die CSU mit einer christlichen Identitätspolitik für den Wahlkampf gegen die AfD stärken und verbreitet alternative Fakten

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Die von Markus Söder entfachte Debatte über das Kruzifix, das nun in den bayerischen Amtsstuben als Symbol für die Zugehörigkeit Bayerns zur christlich-abendländischen Kultur und überhaupt zur Identität demonstrativ aufgehängt wird, ist schräg (Die Kreuzpflicht und das Kreuz mit der Landtagswahl). Identität, das neue Zauberwort der Rechten, das dem Begriffsinstrumentarium des Deutschen Idealismus entwendet wird, wo es mit Fichte tatsächlich auch mit dem entstehenden deutschen Nationalismus als Widerstand gegen die Feudalgesellschaft und zur emanzipatorischen Befreiung verbunden wurde, wurde zum Kampfbegriff, um einen Besitzstand gegenüber Veränderungen zu wahren.

Aber es ist nicht das Andienen an den rechtsnationalen Diskurs, das Söders schamlose machtstrategische Instrumentalisierung des christlichen Symbols zum Aufreger macht, sondern die Unterstellung, dass alle Bayern nun glücklich sein sollen, wenn die CSU-Regierung damit die "Selbstvergewisserung unserer kulturellen, gesellschaftlichen und immateriellen Werte" herstellen will.

"Unsere Werte", sagt Söder vereinnahmend und suggeriert, sie würden in der "eigenen Religion" verankert sein. Hinter dem Kreuz stehe ein "ideelles Wurzelgeflecht", wozu Religion, aber auch das gehöre, "was unser Land geprägt hat: die Kirchen, die Klöster, die Werte, die religiöse Erziehung, die kirchliche Prägung dieses Landes". Wie viele Vertreter der sogenannten abendländisch-christlichen Tradition wird mit solchen alternativen Fakten schlicht die gesamte Kulturgeschichte religiös verklärt - von Wissenschaft spricht man lieber erst gar nicht -, um dann aus dem Christentum Humanismus und Aufklärung abzuleiten, als wären diese aus den Kirchen gekommen und nicht mit Rückgriff auch auf nicht-religiöse, religionskritische und rationale Gedankenwelten der griechischen Antike entstanden, die in der Renaissance über die islamische Kultur erst wieder nach dem dunklen christlichen Mittelalter in Europa Eingang fanden.

CSU-Generalsekretär Markus Blume preschte, seinem Parteiamt und seinem Chef verpflichtet, noch weiter vor und verkündete letztlich noch weiter verklärend und verdrehend, alles Gute käme letztlich aus der Religion und dem Kreuz, wodurch die Nichtgläubigen und Atheisten, aber auch alle Andersgläubigen, zu Bösen werden: "Wer sich zum Kreuz bekennt, wer Kreuze aufhängt, der muss sich nicht dafür rechtfertigen, denn er bekennt sich gerade zu den notwendigen Wertegrundlagen unserer offenen Gesellschaft und liberalen Demokratie. Wer Kreuze abnimmt, der hängt Menschenwürde ab und Intoleranz auf." Und wehe, wer keine neuen Kreuze sehen will: "Bei den Kritikern haben wir es mit einer unheiligen Allianz von Religionsfeinden und Selbstverleugnern zu tun." Wird jetzt die CSU mit der Missionierung im Bayern beginnen?

Religionskritik und damit Skeptizismus, Aufklärung und die offene Gesellschaft entstehen nicht wesentlich aus der Religion, sondern im Kampf gegen sie, auch wenn im Christentum die mit dem Buchdruck einhergehende Aufspaltung durch die Reformation sie erleichtert haben dürften. Die Abwendung von der Religion auch selbst der Religion zugutezuhalten, während die Kirche ihre Werte verteidigte, indem sie Andersgläubige und Häretiker auf den Scheiterhaufen schickte, wäre vergleichbar mit dem Ansinnen einer Diktatur, für Befreiungsbewegungen und Oppositionen verantwortlich zu sein. Das trifft nur in dem Sinn zu, dass verhärtete Machtstrukturen Gegenbewegungen erzwingen, im Fall des Christentums innerhalb und außerhalb der Religion.

Es kam auch zu Kritik aus den Kirchen und aus religiöser Sicht. Verständlich, weil Söder das religiöse Symbol auch nicht im Sinne der Religion aufwerten will, sondern es nur für den politischen Zweck benutzt, um damit herauszustellen, dass Bayern und seine Amtsstuben sich von allen anderen Religionen und Religionsvertretern abgrenzen. Da Bayern, selbst wenn es nie dem Grundgesetz zugestimmt hat, aber doch ein Bundesstaat ist, in dem Kirche und Staat getrennt sein sollen, muss das religiöse Symbol dann als "Bekenntnis zur kulturellen Identität" dienen. Das Kruzifix der Gläubigen, deren Zahl fortlaufend verschwindet, was Söder dann auch der Religion zuschreiben müsste, die sich auflöst, wird letztlich zu einem leer schwebendes Zeichen des vermeintlichen Brauchtums wie Lederhosen (mit oder ohne Laptop), Dirndl, Volksmusik oder Gamshut. Das könnte die Religiösen erzürnen, allerdings ist natürlich auch das Kruzifix längst eine Ware wie alle anderen auch.

Weißwaschung der christlichen Religion

Dazu kommt die Weißwaschung des Christentums, dessen Werte "auch die Basis für den säkularen Staat, für die Menschenwürde" gewesen seien. So sollen auch Toleranz, Nächstenliebe, Respekt und Menschenwürde auf der "christlich-abendländischen Idee, geprägt von jüdischen und humanistischen Wurzeln", basieren, woraus man schließen muss, dass es ohne Christentum, mit dem auch Heiden niedergemetzelt wurden, eben diese Werte nicht gibt. So schön waren Religions- und Kirchengeschichte noch nie.

Frech ist, was die tatsächlich Gläubigen aufregen sollte, das Kreuz für politische Zwecke zu missbrauchen, aber auch, sich damit über die Trennung von Staat und Religion hinwegzusetzen. Die ist schließlich ein Ergebnis der abendländischen Tradition, die zumindest seit der Aufklärung auch gegen die die Macht der Kirchen und der Religion antrat. Und dann gibt es noch die Vielzahl der Deutschen und der Bayern, die wenig mit der Kirche und christlichen Religion zu tun oder sich als Atheisten davon ganz abgewendet haben. Auch das ist längst Tradition, die Söder in seiner Wahlkampfidentitätsstrategie begräbt. Wir wollen in einem Staat leben, in dem die Christen, wenn sie mögen, ihren Glauben leben und demonstrieren können, auch indem ruhestörend in aller Früh Glocken geläutet werden, aber wir wollen in Behörden und öffentlichen Institutionen nicht damit konfrontiert werden - ebenso wenig wie mit anderen religiösen Symbolen und Identitätskundgebungen.

Noch empörender ist, dass wir Bayern damit in eine völlig unkritische, angeblich kontinuierliche Tradition eingebettet werden sollen, als hätte es den Faschismus und die kaltblütige Massenvernichtung "unwerten Lebens" nie gegeben und als hätten die Kirchen mit dem Kreuz im Faschismus nicht auch weitgehend mitgespielt. Zudem steht das Kreuz auch für eine Märtyrer-massenbewegung, Endzeiterwartungen, Rassismus und Kreuzzüge, für viele Kriege, Sklaverei, Kolonialismus, machtstrategische Spiele und Repressionen, für vorherrschenden Antisemitismus, Zensur, autoritäre Herrschaft und brutale Verfolgung von Andersdenkenden. Und nicht zuletzt für die Dominanz der Männerherrschaft, früher exekutiert durch die Hexenverfolgung, aber selbst nach der Abspaltung durch Luthers Reformation noch bis zur Gegenwart von der katholischen Kirche weiter verteidigt.

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