Facebook muss alle technischen Möglichkeiten ausschöpfen, um den Abruf strafbarer Beleidigungen zu verhindern

Grafik: TP

Rechtsanwalt Steinhöfel hat im Fall Weidel ein Urteil erwirkt

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Die Pressekammer des Landgerichts Hamburg hat heute ein Urteil verkündet, in dem der Facebook Ireland Limited ein Ordnungsgeld von bis zu Euro 250.000 oder Ordnungshaft von bis zu zwei Jahren angedroht wird, wenn der Konzern eine nach § 185 StGB strafbare Beleidigung mit sexuellem und politisch-historischem Hintergrund auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland weiter verfügbar macht. Die Beleidigung, die Telepolis vorliegt und die gegen die AfD-Bundessprecherin Alice Weidel gerichtet war, ist deutlich grober als der Korruptionsvorwurf, wegen dem die inzwischen zum Glücksspielkonzern Novomatic gewechselte ehemalige österreichische Grünen-Vorsitzende eine Facebook-Äußerung weltweit löschen lassen wollte (vgl. Grüne fliegen aus Kärntner Landtag).

Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel, der das Urteil erwirkte, bezeichnet es gegenüber Telepolis als Erfolg, auch wenn noch keine schriftliche Begründung vorliegt. In der mündlichen Verhandlung am Freitag ließ das Gericht seinen Angaben nach nämlich erkennen, dass der Konzern alle technischen Möglichkeiten ausschöpfen muss, um den Abruf strafbarer Beleidigungen zu verhindern. Dass beinhaltet der Auffassung des Anwalts nach auch, zu verhindern, dass die Äußerung über Instrumente zugänglich ist, mit denen man auf deutschem Boden einen außerdeutschen Standort vortäuscht.

Mehrmals von Nutzern darauf aufmerksam gemacht

Außer dem Löschen der Beleidigung bleiben Facebook da kaum wirtschaftliche Optionen. Dann wäre die Äußerung, die ein Huffington-Post-Leser und Facebook-Nutzer am 10. September 2017 auf der Facebook-Seite des Portals hinterließ, auch in anderen Teilen der Welt, in denen die deutsche Sprache verstanden wird, nicht mehr abrufbar.

Eine andere Facebook-Nutzerin machte den Konzern am 10.09.2017 auf die Beleidigung aufmerksam, worauf Facebook jedoch lediglich mit einem Textbaustein reagierte, in dem es hieß:

Wir haben uns den Kommentar angesehen und festgestellt, dass er gegen keinen unserer Gemeinschaftsstandards verstößt.

(Facebook)

Dieser Vorgang wiederholte sich am 27. Januar 2018, als das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) vollständig in Kraft getreten war und die Nutzerin einen neuen Anlauf unternahm.

Am 29. Januar erfuhr dann die Beleidigte selbst von der Beleidigung und forderte Facebook über eine kostenpflichtige anwaltliche Abmahnung dazu auf, den Nutzerkommentar zu löschen. Der Konzern reagierte am 1. Februar mit einem Schreiben, in dem er Weidels Anwalt Steinhöfel mitteilte, auf den von ihm gemeldeten Inhalt könne nun "in Germany [sic] nicht mehr zugegriffen werden". "Dadurch", so Facebook, sei "dieses Problem unserer Auffassung nach behoben".

Mit "reiner Inkompetenz" nicht mehr erklärlich

Diese Behauptung war Steinhöfel zufolge insofern unwahr, als sich die nicht gelöschte, sondern lediglich geogeblockte Äußerung mit einfachen und weit verbreiteten Instrumenten zur Vortäuschung einer außerdeutschen Standorts weiterhin bis mindestens 28. März abrufen ließ.

Für den Rechtsanwalt ist das mit "reiner Inkompetenz" nicht mehr erklärlich, weshalb er das nun verkündete Urteil erwirkte. "Facebook", so Steinhöfel in einer Presseaussendung, "löscht immer wieder rechtswidrig legale Inhalte seiner Nutzer [vgl. Einstweilige Verfügung: Facebook darf legalen Kommentar weder löschen noch sperren]. Andererseits bleiben selbst eindeutig strafbare Inhalte online - dieser mindestens sechs Monate. Ein komplettes Versagen der Kontrollinstanzen des Unternehmens."

Als weiteres Zeichen für das Versagen dieser Kontrollinstanzen sieht man am Wochenende eigegangene neue strafbare Beleidigungen, die sich nun nicht mehr alleine gegen Weidel, sondern auch gegen Steinhöfel richten. Auch hier vertrat Facebook die Auffassung, diese Verstöße gegen den § 185 StGB würden nicht gegen die Gemeinschaftsstandards des Unternehmens verstoßen. Steinhöfel hat deshalb auch die Betroffenen in diesen Fällen mit Fristsetzung zum Donnerstag abgemahnt und kündigt an, "bei Ausbleiben einer Unterlassungserklärung auch hier gerichtliche Schritte gegen Facebook folgen [zu] lassen."

Ähnliche Vorwürfe gegen Twitter

In den USA hat ein dort ebenfalls diagnostiziertes Versagen der Facebook-Kontrollinstanzen inzwischen dazu geführt, dass sich Senat und Repräsentantenhaus mit diesem Problem beschäftigen (vgl. Facebook, Google und Twitter verweigern Erscheinen vor Zensurausschuss).

Ähnliche Vorwürfe gibt es gegen den Kurznachrichtendienst Twitter: So wurde etwa der Account des ehemaligen Piratenpartei-Politikers Robert Rutkowski, der kurz vor einem Farbanschlag auf den Lieferwagen der Tafel Essen die "Antifa" zu einem Besuch aufrief, bis jetzt nicht gelöscht. Gleiches gilt für den des Grünen-Politikers Matthias Oomen (vgl. Grünes Bombergate), der eine kritische (aber nicht beleidigende) Zuschrift mit bürgerlichem Namen "zuständigkeitshalber" an diese für Gewaltbereitschaft bekannte Gruppe weiterleitete und ergänzte: "Arbeitsteilung – so wichtig in der Moderne".