NSU: Linke Spitzel zum Schutz für rechtsextreme Spitzel?

Grafik: TP

Um die Hintergründe des NSU-Komplexes zu verstehen, muss man sich mit Methode und Logik des Verfassungsschutzes auseinandersetzen - Untersuchungsausschuss von Brandenburg gibt Einblicke

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Die Geschichte ist wahr, und sie ist ein Lehrstück. Ort ist eine Kleinstadt in der ostdeutschen Provinz, wo sich im Jahr 2000 ein Neonazi ansiedelt und ein szenegemäßes Ladengeschäft eröffnet. Was im Ort niemand weiß: Er tut das alles im Auftrag des Verfassungsschutzes, für den er seit Jahren konspirativ tätig ist. Der 30-Jährige ist in der rechtsextremen Szene ein Anführer, saß im Knast, gibt ein rechtsextremes Skinmagazin heraus und engagiert sich in der NPD. Um den Laden herum entstehen feste rechtsradikale Strukturen. Rechtsextreme Schläger verunsichern die Bürger und verändern die Stimmung in der Stadt.

Der Spitzel gilt seinem Dienstherrn als äußerst wichtige Quelle. Was der bei seiner Erfolgsbilanz aber gerne vergisst: Die rechtsextremen Umtriebe, über die der Agent berichtet, hat er selber mit erzeugt. Die rechtsextrem Gesinnten, die er verrät, hat er zuvor selbst angezogen und motiviert.

Das ist die erste Lektion, die wir vom bundesdeutsche Inlandsgeheimdienst aus dieser Geschichte lernen.

Immer mehr Bürger haben von den Glatzen, Demokratie- und Ausländerfeinden in ihrer Stadt genug. Sie wehren sich. Darunter ist auch ein Landtagsabgeordneter der damaligen PDS. Er unterhält enge Kontakte zur örtlichen "Antifa", wie sich Leute nennen, die für Antifaschismus stehen wollen. Doch was der linke Politiker denkt, mit wem er spricht, was er mit wem zusammen plant - auch das erfährt der Verfassungsschutz. Er hat nämlich nicht nur in der rechtsextremen Szene seinen Spitzel, sondern auch in der linken: eine Frau, Mitglied der PDS, aktiv bei der Antifa, persönlich bekannt mit dem Abgeordneten, vom Landesamt offiziell geführt als "Gewährsperson" (GP).

Die Informationen, die der Dienst von diesem linken Spitzel über die Gegner der Rechtsextremen erhält, helfen ihm, seinen rechten Spitzel abzusichern. Der darf auf keinen Fall auffliegen. Zu wissen, was man "links" weiß und gegen "rechts" plant, ist da von Vorteil. Wenn der Geheimdienst also Zuträger in entgegengesetzten Milieus platziert, ist das nicht etwa ein Widerspruch, sondern hat Methode. Es geschieht aus ein und demselben Interesse heraus, eine Strategie, die sich ergänzt und vervollkommnet. Der Verfassungsschutz kann mit extrem-rechter Flagge marschieren oder mit extrem-linker Flagge - es bleibt ein und dieselbe Quelle, ein und derselbe Player. Der Einsatz von Spitzeln folgt nur seinen Interessen, die lagebedingt angepasst werden. Ein Spitzel linksaußen kann also bedeuten, einen Spitzel rechtsaußen zu schützen.

Das ist Lektion Nummer zwei, die uns auch deshalb interessiert, weil sie anzunehmenderweise noch heute im Jahr 2018 gilt. Aber dazu später.

V-Mann "Piatto"

Zurück ins Jahr 2000. Im Sommer wird der rechtsextreme Anführer als Spitzel von amtswegen abgeschaltet. Wenige Tage darauf wird er enttarnt. Seitdem soll er sich im Zeugenschutzprogramm des Verfassungsschutzes befinden, 18 Jahre bereits, über die Hälfte seines Erwachsenenlebens. Sein Name: Carsten Szczepanski alias V-Mann "Piatto", im NSU-Komplex inzwischen eine bekannte Größe, einer der wichtigsten V-Leute. Der linke Landtagsabgeordnete, damals PDS, heißt Stefan Ludwig und ist heute Justizminister im Land Brandenburg. Den Namen der Informantin in der Antifa, die Ludwig abgeschöpft hat, erfährt man nicht, weil die Frau tot sei und sich nicht mehr wehren könne. Bei der Kleinstadt handelt es sich um Königs Wusterhausen südlich von Berlin, das nach der Wende in der DDR in den 1990er Jahren eine Hochburg rechtsextremer Aktivitäten war.

Die Bühne, auf der diese Geschichte erzählt wurde, ist der NSU-Untersuchungsausschuss des Landes Brandenburg, der der Rolle "Piattos" nachgeht. Der hatte im Jahr 1998 nämlich in Chemnitz Kontakt zum engsten Umfeld des untergetauchten späteren NSU-Kerntrios Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe, wusste, dass sie sich bewaffnen und berichtete das seinen V-Mann-Führern in Potsdam, von denen einer inzwischen zum Verfassungsschutzpräsidenten in Sachsen aufgestiegen ist.

Szczepanskis V-Mann-Karriere beim Verfassungsschutz von Brandenburg begann 1994. Möglicherweise hat er aber schon vorher mit einer Sicherheitsbehörde zusammengearbeitet. Auf jeden Fall war auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) über den Spitzel "Piatto" im Bilde, erhielt alle wichtigen Informationen, die der lieferte und war verantwortlich für dessen Einstufung als Topquelle der höchsten Kategorie "A" (vgl. Eine NSU-Mann von höchster Güteklasse).