"Obacht Söder, mir san grantig!"

Bild: Grüne Bayern/CC BY-SA-3.0

Am gestrigen Vatertag fand in München eine der größten Demonstrationen seit Jahren statt. Es ging um das von der CSU geplante neue Polizeiaufgabengesetz. Ein Kommentar

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Mit einer derart großen Zahl von Teilnehmern hatten selbst die Veranstalter nicht gerechnet, die von möglicherweise sechs- bis siebentausend Beteiligten ausgegangen waren, um dann 10.000 anzumelden. Am Ende waren es mehr als 30.000 Demonstranten.

Durchgeführt wurde die Veranstaltung von der noPAG-Initiative, einem Bündnis von derzeit mehr als 80 Organisationen und Parteien. Das Spektrum reicht von linken Gruppen und Parteien über den Bayerischen Journalistenverband, die Grünen, die FDP, die Jugendorganisation des Bund Naturschutz, den Kreisjugendring München Stadt, die Löwen-Fans gegen Rechts, über die SPD Bayern bis zu Verdi München. Das noPAG-Bündnis ist noch relativ jung und wurde erst im April gegründet: "Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz verkündeten heute über 40 zivilgesellschaftliche Organisationen und Parteien die Gründung eines Bündnisses gegen das neue Polizeiaufgabengesetz (PAG) in Bayern. Ziel ist es, die Verabschiedung des Gesetzes im Landtag durch einen breiten Bürgerprotest zu verhindern und die im August 2017 beschlossene Einführung der "drohenden Gefahr" und der theoretisch möglichen unendlichen Haft zurückzunehmen."

Die Zusammensetzung des Bündnisses ist der CSU, wie nicht anders zu erwarten, natürlich ein Dorn im Auge: "Die CSU wirft SPD und Grünen (...) vor, mit Verfassungsfeinden gegen das neue Gesetz zu demonstrieren" ("CSU ändert Polizeigesetz", SZ vom 27. April 2018). Bezugnehmend auf die der Münchner Veranstaltung vorausgegangenen Demonstrationen in anderen Bayerischen Städten ließ die CSU zudem verlauten, dass am bisherigen Gesetzentwurf bereits vorgenommene Änderungen "nicht als Folge des heftigen Protests - am Mittwoch demonstrierten in Regensburg mindestens 4000 Menschen gegen das Gesetz - (...), sondern als Klarstellung" (SZ) zu verstehen seien.

Verständlich, denn Regierende pflegen immer dann, wenn sich öffentlicher Unmut massenhaft artikuliert, zu betonen, dass dem Druck der Straße grundsätzlich nicht nachgegeben werde, was ein Schlaglicht darauf wirft, wie sie ihren politischen Ermächtigungsauftrag zu erfüllen gedenken. Tatsächlich hatte die CSU ein paar besonders heikle Passagen im Entwurf des neuen Gesetzes erst kürzlich entschärft: U.a. soll das Filmen in Privatwohnungen der Polizei untersagt bleiben, Briefe sollen heimlich nur von einem Richter geöffnet werden, "Drohnen dürfen nicht bewaffnet werden". Letzterer Punkt gibt einen beredten Hinweis auf den Gehalt der Repressionsphantasien, die den Verfassern des neuen Polizeiaufgabengesetzes die Feder geführt haben!

Zurück zur Münchner Demonstration: Der Marienplatz als Ausgangspunkt des Demonstrationszuges war bereits proppenvoll, als immer noch neue Teilnehmer und Gruppen ankamen. Den Zug, der sich durch das Tal hinab zum Isartor und weiter über den Altstadtring zum Odeonsplatz bewegte, führten ein gutes Dutzend linker Helle Panke-Altrocker auf ihren schweren Maschinen an - ein eher ungewohntes Bild bei Anlässen dieser Art.

Auffallend auch, dass die übergroße Mehrheit der Demo-Teilnehmer im Alter zwischen 20 und 30 Jahren angesiedelt war. Dies lässt den Schluss zu, dass sich besonders junge Erwachsene von den durch das PAG zu befürchtenden Bedrohungen und Einschränkungen betroffen fühlen. Diese mögen einerseits politisch begründet sein, sich also aus der von den teilnehmenden Gruppen und Organisationen geleisteten politischen, sozialen oder ökologischen Arbeit ergeben. Andererseits könnte auch eine eher persönlich motivierte, auf entsprechenden Erfahrungen beruhende kritische bis ablehnende Einstellung der Polizei gegenüber als Vertreterin der staatlichen Exekutive - sprich der Staatsgewalt - eine Rolle spielen, wenn es um das PAG und dessen absehbare Folgen geht.

Ältere Bevölkerungskreise wiederum dürften sich, sofern sie nicht eine ohnehin eher kritische Haltung gegenüber staatlichen Gesetzesverschärfungen (Endlosthema: Sicherheit) pflegen, durch die neuen Gesetzesvorlagen eher beruhigt fühlen nach dem Motto: Wer nichts anstellt, hat auch nichts zu befürchten.

Die schon vor Beginn des Umzugs spürbare Aufgekratzheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer verweist auf einen hohen Grad der Betroffenheit der Beteiligten. Eine starke Ablehnung des PAG war auch außerhalb der Organisationsblöcke zu erkennen. Das Ganze hatte teilweise den Charakter eines großen Festival-Events, wobei die Slogans einerseits das politische Anliegen transportierten, andererseits aber auch die Lust am Protest vermittelten. Die Erfahrung von Solidarität unter Gleichgesinnten ("Solidarität vertreibt die Angst", zit. nach Dogan Arkanle) hat zweifellos motivierenden Charakter und vermittelt Erfahrungen, die hierzulande eher selten durch Alltagserlebnisse abgedeckt sind. Sie kann auch eine Triebfeder sein, sich weiterhin für eine Durchsetzung der eigenen Interessen zu engagieren.

Die Vielzahl der teilnehmenden Gruppen, Organisationen und Unorganisierten spiegelte sich in den sehr unterschiedlichen Transparenten und Slogans wider, die lautstark und während des gesamten Demoablaufs skandiert wurden: "Söder trumpt auf", "CSU is wathing you", "Das PAG ist scheiße, weil es uns die Freiheit klaut", "Ganz Bayern haßt das PAG", "Keine neue Gestapo", um nur eine kleine Auswahl zu zitieren. Der bereits seit längerem im Umlauf befindliche Aufkleber "FCK AfD" fand in weiteren Varianten seine massenhafte Verbreitung: "FCK CSU" und "FCK PAG".

Besonders linke Gruppierungen beließen es in ihren Flugblättern und Parolen nicht beim Thema der Veranstaltung, sondern stellten beispielsweise auch Bezüge zur Flüchtlingsthematik her. Der PAG-Entwurf wurde zudem als Vorbote eines neu herausziehenden Faschismus thematisiert. Man mag dem zustimmen oder nicht, eine sich entwickelnde diesbezügliche Grundstimmung scheint jedenfalls vorhanden zu sein. Erkennbar war auch, dass sich die CSU bei den Teilnehmern der Veranstaltung durch den PAG-Entwurf den Status eines neuen Feindbildes erarbeitet hat. Sie wird nun auf eine Stufe mit der AfD gestellt. Es wird interessant zu beobachten, ob und wie sie sich daraus wieder befreien können wird bzw. ob sie dies überhaupt versuchen wird. Jedenfalls hinterlässt die Münchner Demo den Eindruck, dass die CSU einen nicht unbeträchtlichen Teil der jungen Erwachsenen mit dem PAG massiv gegen sich aufgebracht zu haben scheint.

Ob der bayerische Innenminister Joachim Hermann, der ungeachtet der Proteste das Gesetz verteidigt, seiner Sache einen Dienst erweist, wenn er heute von "Lügenpropaganda" sprach, was an "Lügenpresse" der AfD erinnert, bleibt abzusehen: "Ich bin vor allen Dingen überrascht davon, dass die zum Teil auch Lügenpropaganda der letzten Wochen wohl auch manch unbedarfte Menschen in die Irre geführt hat", sagte er.

Die no-PAG-Initiative kritisiert, "die schweren Grundrechtseingriffe richten sich nicht nur gegen tatsächliche oder vermeintliche Terrorist*innen, sondern können gegen alle Menschen, sozialen Bewegungen, Proteste oder Streiks gerichtet werden" (noPAG-Flugblatt). Der Pflege eines beliebig erweiterbaren Verdachtswesens werden dadurch Tür und Tor geöffnet. Der Präventionsgedanke, getrieben von dem Bemühungen, eventuell als strafbar geltende Handlungen bereits weit vor ihrer tatsächlichen Umsetzung in dem ihnen vorausgehenden Planungsverhalten zu identifizieren, treibt hier seine durchaus logischen Blüten. Die Möglichkeiten modernster Instrumente der Überwachung und Datenanalyse müssen den Verfechtern einer umfassenden Kontroll- und Überwachungskultur ja geradezu in den Fingern jucken. Kein Wunder, wenn sie in ihren gesetzgeberischen Vorschlägen diese Möglichkeiten - da sie technisch nun mal zur Verfügung stehen - diese dann eben auch verwirklicht sehen wollen.

Die Verabschiedung des PAG steht kurz bevor. Die CSU-Oberen und -Parlamentarier werden sich durch den anschwellenden Protest allenfalls beeindrucken, aber keinesfalls von der Gesetzesverabschiedung abhalten lassen. Ob der in relativ kurzer Zeit aufgekommene Protest erfolgreich fortgesetzt werden, d.h. wenigstens zu einer längerfristigen Einbindung der aufgeschreckten Bürger in organisatorische Zusammenhänge gleich welcher Art genutzt werden kann, um dadurch auch die Basis des Protest zu verbreitern und zu verstetigen, wird über den weiteren Fortgang dieser sich möglicherweise abzeichnenden neuen Bewegung entscheiden. Das Oberthema des Anwachsens neofaschistischer Tendenzen, deren Folgen ja bereits überall dort erkennbar werden, wo sie mit Erfolg eine entscheidende Bevölkerungszahl hinter sich gebracht haben, lässt Befürchtungen, ähnliches könnte hierzulande auch auf uns zukommen, durchaus nicht nur mehr als Hirngespinste eines alarmistischen Politikverständnisses erscheinen.