Israel: Der Umzug der US-Botschaft als "Wegstation zum Frieden" und über 50 Tote

"Hamas ruft zur Zerstörung Israels auf." Bild: Israelisches Außenministerium, Twitter

Proteste von 40.000 Palästinensern und ein hartes Vorgehen der IDF, das mit Terrorakten der Hamas begründet wird

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Die heutigen Feierlichkeiten in Jerusalem hatten etwas Entrücktes. Das war an den geladenen Gästen abzulesen, unter denen sich die "kontroversen Prediger" (CNN) John Hagee und Robert Jeffress befanden, die mit seltsamen Aussagen aufgefallen sind: "Ebola ist die Rache Gottes, weil Obama versucht, Jerusalem zu teilen" (Hagee) oder dass Religionen wie der Islam, das Judentum, der Hinduismus und das Mormonentum "in die Hölle führen" (Jeffress). Beide Priester haben ein gewisses Standing bei den Wählern Trumps und beim Präsidenten selbst. Ihre Ansichten sind sehr speziell.

Auch dass der Schwiegersohn eines Präsidenten als dessen politischer Vertreter vor Ort ist wie früher bei Königlichen üblich, ist Anfang des 21. Jahrhunderts für eine moderne Demokratie speziell. Der Mann von Ivanka Trump hat eine große Aufgabe: Jared Kushner ist zuständig für den großen Friedensplan zwischen Israel und den Palästinensern.

Die größte Entrückung steckt nach Stand der Dinge in der Arbeitshypothese Kushners, der den Umzug der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem als eine Station auf dem Weg zum Frieden im Nahen Osten darstellt. Am selben Tag wird von über 50 Toten bei Protesten berichtet.

Geht es nach Kushner handelt es sich um eine win-win-Situation, die nur nicht richtig begriffen wurde:

Wir sind davon überzeugt, dass es beiden Seiten möglich ist, mehr zu bekommen als sie hergeben - so dass alle Menschen in Frieden leben können - geschützt vor Gefahr, frei von Angst und imstande, ihre Träume zu verfolgen.

Jared Kushner

Im Nahen Osten ist derzeit vieles möglich. Wer kann schon gänzlich ausschließen, dass es mit starkem Druck aus Saudi-Arabien ("Ultimatum"), Jordanien und anderen Verbündeten nicht möglich sein könnte, den Palästinensern ein Angebot zu unterbreiten, das sie nicht ablehnen können, besonders wenn die israelische Regierung, wie das dann in den Medien als großer Preis dargestellt würde, schmerzhafte Konzessionen macht.

Aber wahrscheinlich klingt der Friedens-Traum, den Kushner verfolgt, in der augenblicklichen Konstellation nicht.

Die Wahrheit?

Die Kluft zwischen der Perspektive der israelischen Regierung und den Palästinensern ist nicht kleiner geworden. Aus israelischer Sicht ist der Umzug der US-Botschaft nach Jerusalem die "Anerkennung einer Wirklichkeit" - dass Jerusalem faktisch schon lange Hauptstadt ist. Palästinenser-Vertreter sehen das anders. Auch sie reklamieren Jerusalem als Hauptstadt und empören sich über die Wirklichkeit der politischen Macht, die hinter der symbolischen Handlung steckt.

Sie haben sich in der Folge der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels aus den Verhandlungen zurückgezogen und die Verlegung der Botschaft zum Signal für das Ende des Friedensprozesses erklärt. Die heutigen Proteste direkt vor der US-Botschaft zeigen, dass dies keine Meinung einzelner ist.

Eines Tages werde man feststellen, dass der Friede im Nahen Osten damit begonnen habe, dass die Wahrheit anerkannt wurde, sagt Kushner mit Blick auf Trumps Entscheidung, die Botschaft nach Jerusalem zu verlegen.

n-tv

Proteste von 40.000 am Sicherheitszaun

Die Menge der Palästinenser, die sich dem Protest im Gazastreifen am Grenzzaun zu Israel angeschlossen haben, wurde heute von israelischen Medien mit Zahlen zwischen 35.000 und 40.000 angegeben. Auf palästinensischer Seite wird vorgebracht, dass am Anfang des "langen Marsches der Rückkehr" die Idee eines friedlichen Protests der Zivilgesellschaft stand.

Aus israelischer Sicht wurde die Organisation von der Hamas übernommen und ihren Zielen unterstellt; Äußerungen von Hamas-Mitgliedern deuteten auch früh darauf hin (der Bericht hier dürfte wesentliche Punkte und Bedenken der israelischen Sicherheitskräfte widerspiegeln). Die israelische Armee erklärt, dass Personen, die heute getötet wurden, im Zusammenhang mit Terrorakten der Hamas stehen. Die palästinensische Gesundheitsbehörde spricht von über 50 Toten und über 770 Verletzten durch Schüsse.

Aus der Hamas-Führung kommen harte Drohungen: "We’ll turn the nakba [catastrophe] that ended Palestine to a nakba that ends the Zionist enterprise." Inwieweit die Hamas den "zivilen Graswurzel-Protest" komplett gekapert hat, wie ihr von israelischer Seite vorgeworfen wird, ist, wie so häufig, nicht genau zu sagen. Auch die SZ stellte kürzlich fest: "Der Protestmarsch wurde zunächst von einer angeblich politisch unabhängigen Gruppe in Gaza organisiert. Doch schon bald drängte sich die radikalislamische Hamas immer stärker in den Vordergrund."

Dass die israelische Armee derart hart und "überproportional" agiert, ist ebenfalls nicht untypisch. Das Konzept besteht in der Abschreckung. Wer hart genug auf den Tisch haut, der bekommt Respekt im Nahen Osten. Die Maxime wird auch beim Vorgehen gegen Iran verfolgt.

Befürchtungen

Dem unterliegen Ängste vor einer kampferfahrenen und gut ausgerüsteten Hizbollah in Syrien - und im Fall der Proteste am Sicherheitszaun zwischen Gaza-Streifen und israelischem Gebiet die Befürchtungen der Sicherheitsbehörden und der von Bewohnern der unmittelbar angrenzenden Wohngebiete angesichts von mehreren zehntausenden Wütenden, die den Zaun durchbrechen und auf sie zumarschieren könnten.

Die USA wählen einen provokanten Zeitpunkt

Anlass für den Protest mit dem Titel "langer Marsch der Rückkehr" ist die Katastrophe, arabisch Naqba - je nach Perspektive die Vertreibung oder Flucht von 600.000 bis 700.000 Palästinensern aus ihrer Heimat - deren 70. Jahrestag morgen begangen wird.

Heute wurde mit dem feierlichen Akt der Botschaftseröffnung der 70. Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung Israels gefeiert. Manche befürchten, dass sich die Situation die nächsten Tage noch weiter erhitzen könnte.

Dass die USA genau jetzt den Umzug angesetzt haben, spricht dafür, dass es der derzeitigen Regierung daran gelegen ist, möglichst offensiv und provokant vorzugehen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass derjenige, der auf Stärke setzt und seine Interessen als unbedingt vorrangig, im Nahen Osten Erfolg hat. Inwieweit dies der Realität entspricht oder entrückt ist, wird sich zeigen.